Malte Glotz von der WNZ interviewt Superintendenten zum Reformationsjubiläum:
Welche Erfahrungen und Erkenntnisse das Reformationsjubiläum den Menschen in den Kirchenkreisen Braunfels und Wetzlar gebracht hat, dafür interessiert sich auch unsere Lokalzeitung. Malte Glotz, Koordinator bei der Lokalredaktion der Wetzlarer Neuen Zeitung (WNZ) hat dazu die Superintendenten Roland Rust und Jörg Süß interviewt.
Im Wetzlarer Rentamt in der Turmstraße 34 ging es dabei um Themen wie aktuelle Reformationsthesen, um moderne Angebote von Sinn und Spiritualität und wie evangelische Kirche sich dazu stellt, um Ökumene und Freikirchen, die Frage, ob eine protestantische Kirche verbindliche Werte vermitteln kann und wie es mit dem Gottesdienstbesuch der Kirchenmitglieder aussieht. Ganz wichtig auch: die Rolle der Bibel für evangelische Christen.
„Ihr seid frei“ und „Ihr dürft aufatmen – diese Sätze würden Jörg Süß und Roland Rust als Thesen an die Kirchentür nageln, wenn sie sich an ihre Gemeinden wenden.
In einer Gesellschaft, der alles Mögliche als wichtig erscheint, hätten Menschen ein Recht, durchzuatmen, weil sie eine grundlegende Geborgenheit haben, meint Roland Rust. Sein Wetzlarer Kollege sieht es ähnlich: „Bei Gott bin ich so angenommen, wie ich bin“, erklärt Jörg Süß. „Ich bin zur Freiheit befreit, das ist die Botschaft, die Luther aus der Bibel erkannt hat und die das Jubiläum deutlich in den Mittelpunkt rückt.“
„Als Kirche sind uns auch Kompetenz und Bildung wichtig“, führt Rust weiter aus. Der positive Kern der Botschaft müsse den Menschen deutlich klar gemacht werden. Im Jahr des Reformationsjubiläums hätte vertieft werden können, „wer wir eigentlich sind“.
Auf die Frage, wie der Gottesdienst zu einem lockenden Angebot werden kann, antwortet Roland Rust: „Wir haben nicht den Auftrag, etwas zu verkaufen, wir sind keine Macher.“ Wichtig sei vielmehr, den Menschen in je ihrer Situation nachzugehen und ihre existentiellen Fragen wahrzunehmen. Zum einen gebe es andere Formen von Gottesdiensten wie Motorradgottesdienste oder die „Nacht der 1.000 Lichter“ im Advent für Jugendliche. „In Biskirchen haben beispielsweise 50 Kinder mit der Gemeinde im Anschluss an Kinderbibeltage einen gemeinsamen Gottesdienst gefeiert“, ergänzt er. „Der Gottesdienst ist zu einer Zielgruppenveranstaltung geworden“, so Jörg Süß. Er müsse mit dem Freizeitmarkt konkurrieren. Doch fänden 70 Prozent der Menschen Gottesdienstfeiern weiterhin wichtig.
Und was kann evangelische Kirche anderen, zum Beispiel esoterischen Angeboten von Sinn und Spiritualität entgegensetzen? „Unsere Angebote werden nicht mehr von allen wahrgenommen“, erläutert Jörg Süß. „Aber wir haben Glaubensgrundkurse, bieten Pilgern und Gebetskreise an.“ Einen Anknüpfungspunkt für Jugendliche sieht Roland Rust in Veranstaltungen wie dem Wittenberger Konficamp in diesem Jahr, an dem er selbst teilnahm und das aus seiner Sicht den Jugendlichen viele spirituelle Impulse gab.
Die Stärke der evangelischen Kirche gegenüber den Freikirchen sei es, dass sie sich an alle wende – unabhängig von einer persönlichen Glaubensentscheidung, betont Jörg Süß. „Es gibt keine bestimmten Voraussetzungen, wenn man zum Glauben dazu gehören will.“ Und zum Thema Ökumene verweist der Theologe auf das Johannesevangelium, Kapitel 17, Vers 21, wo Jesus darum bittet, „dass sie alle eins seien“: „Die Trennung ist kein gottgewollter Zustand.“ „Ökumene war für Luther kein Thema“, pflichtet Roland Rust ihm bei. „Luther wollte die Kirche reformieren, die unterschiedlichen Strömungen sind später entstanden.“ Es gehe nicht darum, sich wechselseitig den Glauben abzusprechen. „Wir leben nicht mehr in Abgrenzung, sondern in Ergänzung.“
Und was ist anders bei den Katholiken? „Die katholische Kirche definiert jeweils, was richtig ist“, erläuterte Superintendent Süß. Luther habe demgegenüber das „Ich“ entdeckt und es gleichzeitig an die biblischen Grundlagen gebunden.
Wie steht es aber mit verbindlichen Werten in der evangelischen Kirche? „Wir haben kein Lehramt und müssen uns selber anstrengen“, sagt Roland Rust dazu. Dies führe zu einer Vielfalt von Gewissensentscheidungen. Jeder sei als Einzelner vor Gott verantwortlich, aber eingebunden in die Gemeinde.
Für den eigenen Glauben und als Amtsträger nehmen beide Superintendenten gute Erfahrungen aus dem Jahr des Reformationsjubiläums mit:So erinnert sich Roland Rust mit viel Gewinn an das Konficamp in Wittenberg mit mehr als 60 Jugendlichen aus beiden Kirchenkreisen, die sich von den Angeboten sehr angesprochen fühlten. Persönlich gestärkt fühlt er sich auch von den Erfahrungen beim Abschluss des Kirchentages in Wittenberg beim Campen mit hunderten von Menschen und Taizé-Andacht sowie bei einer Bibelarbeit in Erfurt, in der zum Ausdruck kam, wie die Kirchenglocken den Menschen im Stasi-Knast Halt gaben.
„Im Chor Gospel+, in dem ich mitsinge, haben wir ein Jahr lang ein Konzert zum Thema „Bekenntnis“ vorbereitet“, erzählt Jörg Süß über die Begegnung mit Menschen aus seiner Gemeinde. „Viele sind nicht kirchlich sozialisiert, singen aber inzwischen inbrünstig das Lied mit dem rheinischen Motto des Reformationsjubiläums „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit.“ Das hat ihn sehr beeindruckt.
Im Anschluss an das Interview überreichte Superintendent Rust für beide Kirchenkreise mit herzlichen Worten eine revidierte Lutherbibel in der limitierten Ausgabe von Fußballtrainer Jürgen Klopp an Redakteur Malte Glotz.
bkl
Bild 1: Intensiv im Gespräch miteinander: Malte Glotz, Redakteur der WNZ (r.) interviewt die Superintendenten Jörg Süß und Roland Rust (v.l.).Bild 2: Sehen sich und die Menschen in ihren Kirchenkreisen bereichert durch das Reformationsjubiläum (v.l.): die Superintendenten Roland Rust und Jörg Süß.