Wort zum Sonntag – Jahr 2024
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Wort zum Sonntag – Jahr 2022
Wort zum Sonntag – Jahr 2021
„Das Beste kommt zum Schluss“
So titelt ein interessanter Film mit Jack Nicholson und Morgan Freeman aus dem Jahre 2007. Beide lernen sich auf der Krebsstation als Patienten kennen. Der eine überaus reich und Besitzer des Krankenhauses, der andere Automechaniker, der eigentlich Philosophie studieren wollte. Beide schauen dem Sterben entgegen. Und sie schreiben eine Liste, so der Originaltitel: „The Bucket List“.
Im Deutschen würde man von der „Löffel-Liste“ sprechen. Also eine Liste von Sachen, die man noch machen möchte, bevor man „den Löffel abgibt“. Interessant. All das, was man schon immer mal machen wollte, aber nie dazu kam. Weil man mit anderen Sachen ach so beschäftigt war.
„Das Beste kommt zum Schluss“ – muss das so sein? Oder ist es anders nicht besser? Gerade in diesem Jahr fällt es einem ja nicht leicht davon zu reden, dass das Beste zum Jahresschluss kommt. Das Gegenteil scheint doch der Fall zu sein. Die Einschränkungen der Pandemie-Bekämpfung werden immer stärker und die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit immer mehr eingeengt.
Man muss aber nicht so denken, man kann auch anders. Trotz aller Verletzungen und Konflikte sehe ich eine große Solidarität unter den meisten Menschen. Auch unsere Gesellschaft sehe ich nicht als gespalten an, sondern erlebe sehr viel Rücksichtnahme aufeinander. Bei den meisten. Diese erlebte Solidarität hat viele Formen: Solidarität im Impfen, Solidarität im Kontakte reduzieren, Solidarität im Umeinander-Sorgen, Solidarität im Gebet, Solidarität unter Nachbarn und Bekannten, …
Vielleicht ist es wirklich so, dass in schwierigen Zeiten bei vielen die Solidarität wieder wächst. Dass viele sich abwenden von egoistisch-individuellen Freiheitsvorstellungen, welche die Freiheitsrechte anderer missachten. Solidarität ist das Beste, was wir in dieser Zeit erleben – neu einüben – können. Oder gar noch mehr?
Manche erwarten noch mehr! Frank Sinatra hat einen seiner letzten Songs mit „The Best Is Yet To Come“ betitelt. Und er hat es dann auf seinen Grabstein schreiben lassen: „Das Beste kommt noch!“
Als Christinnen und Christen schauen wir optimistisch in die Zukunft – und zwar nicht als Vertröstung in ein Jenseits, sondern aus Erfahrung gelebter Solidarität in dieser Welt. Und das von höchster Stelle her: Gott ist in die Welt gekommen um uns das Heil zu bringen – um sich mit den Menschen zu solidarisieren. Ganz und gar – einmal und immer wieder. Dies ist Weihnachten und so beginnt das neue Jahr. Die Zusage Gottes hat Hand und Fuß bekommen, die fleischgewordene Liebe schenkt Hoffnung für alle Menschen: „Das Beste kommt noch!“
Peter Hofacker, Pfarrer der katholischen Pfarrei Unsere Liebe Frau, Wetzlar
Weihnachten steht auch dieses Jahr wieder unter einem großen Schlagwort: Corona. Das Thema begegnet uns in fast jeder Schlagzeile, in allen Nachrichten. Corona bestimmt das Leben der Menschen – ob sie es wollen oder nicht. In unserer Zeit ist es Corona, damals, beim allerersten Weihnachten, war es die Volkszählung.
Kaiser Augustus in Rom verfügte: Alle sollen sich in ihre Heimatstadt begeben, um sich in Steuerlisten eintragen zu lassen. Und alle Welt war in Aufruhr. Auch der Zimmermann Josef und seine Frau Maria aus der kleinen Stadt Nazareth. Sie mussten nach Bethlehem. Maria ist hochschwanger, die Reise eigentlich viel zu anstrengend für sie. Doch die Teilnahme an der Volkszählung ist Pflicht.
Bis hierhin ist die Geschichte von damals unserer Geschichte von heute gar nicht so unähnlich. Ein Thema – und alles ordnet sich ihm unter. Aber dann kommt alles anders. Das große Thema tritt in den Hintergrund. Es geht nicht mehr um den Kaiser in Rom und seine Anordnung. Es geht um Maria und Josef. Es geht um Hirten, die in dieser Nacht den Himmel offen sehen und die Engel singen hören. Die ganze Aufmerksamkeit richtet sich auf ein Kind in Windeln.
Unser aller Leben spielt sich meist nicht auf den Bühnen dieser Welt ab. Dennoch lassen wir unseren Blick meist von den großen Schlagzeilen leiten und bestimmen. Wir schauen auf die da oben: auf Politiker, Experten, Prominente, Schauspieler.
Die Weihnachtsgeschichte zeigt uns aber etwas anderes: Gott interessiert sich nicht für das Rampenlicht, für Macht und Einfluss. Er sieht dahin, wo wir leben. Ja, noch mehr: Er kommt in unser Leben. Dort, wo du feierst, dich freust, aber auch dorthin, wo du dich sorgst.
Wir müssen Abstand halten. Und wir sollen uns nicht treffen. Aber an Weihnachten feiern wir, dass der Abstand aufgehoben ist. Den Abstand zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und uns Menschen, den gibt es nicht mehr.
In Jesus hat Gott seinen Platz in der Welt gefunden. Und Weihnachten ist die große Einladung, das neu zu entdecken und darüber zu staunen. Gott kommt uns in diesem Kind ganz nah. Er will in unser Herz kommen und es mit Liebe und Hoffnung füllen.
Manuela Bünger, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinden Dorlar und Atzbach
Es ist wieder Krippenspiel-Saison. Schon zum zweiten Mal nach 2020 macht Corona den Kindern, Jugendmitarbeitenden, Pfarrerinnen und Kirchengemeinden das Leben schwer. Kann man es wagen? Kreativität ist gefragt.
In diesem Jahr handelt das Krippenspiel von der Begegnung des Lichtes der Welt mit den Sternen des Universums. Also, es ist am Ende kein richtiges Krippenspiel mit Kommen und Gehen geworden. Corona hat es in den letzten Wochen immer kleiner und bescheidener werden lassen. Aber etwas ist übriggeblieben für den Gottesdienst: Maria und Josef sitzen – mit Abstand und Masken – an der Krippe und freuen sich über ihr Kind. Flöten und Orgel begleiten das Singen. Und die Sterne aus der Weite des Universums kommen mit ihren Texten in die Kirche: Morgenstern und Polarstern, der kriegerische rote Mars und – neben vielen namenlosen Sternen – natürlich auch der Stern von Bethlehem. Die Botschaft ist weihnachtlich: Oben und unten verkehren sich; Gott kommt auf die Erde und wird Mensch, wird das Licht der Welt.
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe! Mit dem Bibelwort zum 4. Advent aus dem Philipperbrief, Kapitel 4, Verse 4 und 5b werden wir alle eingeladen, das Weihnachtsfest und damit das Kommen Gottes zu erwarten.
Wenn das Licht der Welt einzieht in unser Leben, dann kann Freude aufkommen, auch wenn vieles in unserer Zeit keinen Anlass zum Jubeln bietet. Das Weihnachtsfest ist nicht nur etwas für Kinder, die auch in diesem Jahr gern in Rollen geschlüpft wären und ein richtiges Krippenspiel aufgeführt hätten. Es ist auch etwas für Erwachsene, die wissen, wo es langgeht, die den Ernst des Lebens kennen und sich tausend Gedanken machen, wie sie Weihnachten 2021 richtig feiern können.
Dem Licht der Welt zu begegnen bedeutet, dass es uns Menschen Orientierung anbietet: Ich will deinen Weg und deine Gedanken erhellen, so dass du Entscheidungen treffen kannst, die gut sind für dich und die Deinen, aber auch für den Ort, an dem du lebst, und die ganze Gesellschaft. Ich will dein Leben verändern, die Sehnsucht nach Barmherzigkeit und Frieden in dein Herz legen.
Freuet euch! Der Herr ist nahe! Oder wie es der Polarstern im Krippenspiel sagt: Oben wird unten! Ich wünsche Ihnen eine gesegnete vierte Adventswoche.
Alexandra Hans, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Wettenberg
Liebe Leserin, lieber Leser,
In den vergangenen Tagen sah ich im Fernsehen einen Reisebericht einer jungen Frau, die sich einen Lebenstraum erfüllte. Sie fuhr in Begleitung eines jungen Mannes, der russisch sprechen konnte, von Moskau aus mit der Transsibirischen Eisenbahn Richtung Osten.
Die Fahrt führte über Kirow, Pem, Omsk, Nowosibirsk, Krasnojarsk nach Irkutsk an den Baikalsee. Der Mann kannte an der Strecke mehrere befreundete Familien und hatte sein Kommen mit der jungen Frau jeweils angekündigt. Die junge Frau erfuhr bei den Familien eine herzliche Aufnahme und Gastfreundschaft. Mehrmals gab es als Hauptgericht Fleischfrikadellen mit Kartoffelpüree und Tee – und in Maßen Wodka. Die Landaufenthalte waren zeitlich meist kurz bemessen, erholen konnte man sich ja im Zug. Aber auch das Zugpersonal – häufig waren es Frauen – war sehr aufmerksam. Man richtete die Betten im Zug für die Übernachtung her und half im Speisewagen beim Servieren der Speisen. Eine Fahrt mit einem Luftkissenboot auf dem See ist mir in Erinnerung geblieben und eine Fahrt mit Schlittenhunden. Traurig stimmte mich die Tatsache, dass in Irkutsk die dort errichteten Häuser allmählich im Boden versinken, weil der Permafrost durch steigende Temperaturen auftaut. Im Sommer, so habe ich es in einem Trauergespräch jüngst erfahren, kann es in Sibirien auch mal 30 Grad werden.
Warum ich das erzähle? Die Menschen wussten, es kommt eine junge Frau aus Deutschland zu Besuch. Sie bereiteten sich vor, richteten sich ein, öffneten die Türen ihrer Häuser und ihre Herzen. Sie wussten, was sie zu tun hatten – und das geschah wie selbstverständlich.
„Was sollen wir tun?“ So wurde Johannes der Täufer gefragt, nachdem er einen besonderen Gast angekündigt hat. Die Menschen im Heiligen Land erwarteten den Messias. Und sie nahmen mit Recht an, dass Johannes der Täufer eben diesen Messias gemeint hat. Johannes ermahnt seine Zeitgenossen zu sozialem Handeln und gibt auch berufsspezifische Anweisungen, denken wir an die Zöllner und die Soldaten. Die Menschen sollen andere Menschen in den Blick nehmen und nicht sich selbst in den Vordergrund stellen.
Johannes der Täufer macht es beispielhaft vor: Er hält sich nicht für wert, dem Kommenden die Schuhe aufzuschnüren, was ja wohl ein Sklavendienst war. Johannes wirkte so, dass die Menschen merkten, es steht eine Entscheidung an. Die Spreu sollte vom Weizen getrennt werden. Der Weizen meint da wahre, sinnvolle Leben, die Spreu meint das vergeudete sinnlose Leben. Für die Menschen damals im Heiligen Land sollte diese Trennung mit dem Kommen des Messias eintreten.
Aber auch für uns Menschen heute steht die Entscheidung in unserem irdischen an. Auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben – sozusagen irgendwann einmal zu glauben und Gott in sein Leben einzulassen und die Menschen in den Blick zu nehmen – das würde Johannes dem Täufer nicht recht sein. Zum irdischen Leben gehört Entschiedenheit und Klarheit in der inneren Ausrichtung des Lebens, nicht Beliebigkeit und Unentschiedenheit.
Wer so handelt, wie Johannes der Täufer es vorgibt, der scheut sich nicht, Gott in den Blick zu nehmen, der weicht ihm nicht aus. Gott behält uns jedenfalls immer im Blick. Das tut uns Menschen gut so wie es die russischen Familien mit den deutschen Gästen im Film getan haben.
Bibeltexte: (Zefanja Kpt. 3, Vers 14-17 / Philipper Kpt. 4, Vers 4-7 / Lukas Kpt. 3, Verse 10-18)
Heinz Ringel, Pfarrer der katholischen Pfarrei St. Anna, Biebertal
Wort zum 2. Advent, 5. Dezember 2021
Das Kirchenjahr beginnt nicht mit einem besonderen Ereignis, sondern mit dem Warten darauf. Das, worauf Christen zum Beginn des Kirchenjahres warten, ist das Fest der Menschwerdung Gottes.
Sein Kommen in diese Welt vor 2000 Jahren war sehr unspektakulär. In einem Kirchenlied heißt es: „Wachet auf, ruft uns die Stimme.“ Einst rief auch Johannes der Täufer den Menschen seiner Zeit zu: „Wacht auf und kehrt um!“. Bewirkt hat sein Rufen wenig. Zwar hat ein ganzes Volk seit Generationen auf die Geburt des Messias gewartet, doch sein Kommen wurde trotzdem voll und ganz übersehen.
Warum? Was ist da falsch gelaufen? Hat der Schöpfer die Art, wie seine Schöpfung tickt, als auch das, worauf die Menschen warteten verkannt?
Ich glaube, dass auch damals die Blicke und die Hoffnungen der Menschen auf die Paläste ausgerichtet waren, denn wenn die Rettung kommt, dann kommt sie sicherlich „von oben“! Daran hat sich seit damals kaum etwas verändert, denn dir, dem „kleinen Mann“, traut man Großes selten zu.
Und Gott? Er traut uns mehr zu, als wir uns selber zutrauen und Gott überrascht uns immer aufs Neue, wenn er nicht durch die „Hauptportale“, sondern immer wieder durch die „Hintertüren“ zu uns Menschen kommt.
Das Licht, dass dir den Weg zu dieser „Hintertür“ erleuchten kann, kommt gewiss nicht von den Kerzen auf deinem Adventskranz. Suche dieses Licht, finde dieses Licht und trage es zu denen, die noch im Dunkel sind.
Dies zu tun ist eine echte Herausforderung. Wer aber Jesus an Weihnachten finden will, muss sich dieser Herausforderung stellen. Bist du dazu bereit? Die entscheidende Frage ist: Bist du bereit zu dienen oder lieber willst du bedient werden?
„Wachet auf, ruft uns die Stimme…“ Wach auf, verpasse nicht deine Möglichkeit, die Welt zu verändern. Schließlich wirst du selber davon profitieren, wenn die Welt von Morgen besser, friedlicher, gerechter und menschlicher wird.
Ich wünsche uns allen den nötigen Mut dazu.
Herzlich, Ihr Diakon i.R. Janusz Sojka
Die Schönheit des Glaubens
Eigentlich ist es ungeheuerlich, was wir in der Adventszeit behaupten: Gott wird Mensch, damit er unter uns wohne und ein Zeichen des Friedens und der Erlösung in unserer Mitte sei. Kann man das glauben?
Ich frage zurück: Spielt das eine Rolle? Die Vorstellung, dass es so etwas wie Wärme und Zuneigung für uns gibt, ist einfach schön! Sie macht unsere sehnsuchtsvolle Seele satt. Der Glaube, dass es mehr gibt als nur die oberflächliche Gewinnsucht und Anhäufung von nutzlosen Dingen, verleiht uns den Atem des Lebens und weist uns den Weg in die Unergründlichkeit unserer selbst.
Paulus hat diese Sehnsucht unserer Herzen auf poetische Weise im sogenannten Hohelied der Liebe formuliert. Er spricht von einem Glauben der Liebe. Ohne Liebe bleibt Glaube kalt und tot – wie ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
Jetzt sehen wir die Welt dunkel und gebrochen wie durch ein blank poliertes Stück Metall. DANN ABER sehen wir endlich klar. DANN ABER – diese beiden Worte sind das Ziel unserer Tage. Sie sind Advent und Weihnachten zusammen, denn sie verheißen uns, dass Wahrheit und Gerechtigkeit und Liebe trotz aller Trostlosigkeit auf uns warten. Diese beiden Worte sind wie ein glimmender Funke, der von der Dunkelheit niemals verschluckt wird: DANN ABER wird man nicht mehr aus der Angst heraus handeln, sondern aus dem Vertrauen, dass der andere es wirklich gut mit mir meint – eine Verheißung, die wir in diesen Tagen besonders nötig brauchen, da unsere Gesellschaft gespalten ist wie nie zuvor.
Sich im Vertrauen in die Hände des anderen geben – genau das hat Gott getan. So glauben wir an Weihnachten. Gott gibt sein Wertvollstes in unsere Hand bangend und hoffend auf eine Antwort des Herzens. Weihnachten ist die Frage nach dem, was unser Leben wertvoll macht: Wie werden wir antworten? Die Aussicht auf Schönheit und Reichtum, Unergründlichkeit und Tiefe unseres Lebens wären Grund genug, ja zu sagen zu einer Liebe, die sich auf ewig mit uns verbinden möchte.
Tilo Linthe, Pastor der Baptistengemeinde Wetzlar
Ein neuer Himmel und eine neue Erde
Manchmal träume ich von einer Welt, in der es keine Leiden mehr gibt. Keine Schmerzen, keine Tränen. Einer Welt, in der der Tod seine Schrecken verliert.
Der letzte Sonntag des Kirchenjahres ist geprägt von diesem Traum, von der Vision, wie sie im letzten Buch der Bibel geschildert wird: Gott wird abwischen alle Tränen, der Tod wird nicht mehr sein. Gott wird bei den Menschen wohnen. Alles wird neu. Ein neuer Himmel und eine neue Erde, himmlisches Jerusalem. (Offenbarung 21)
In den schönsten Bildern wird das Ende der Zeit beschrieben.
Ich vertraue darauf, dass diese Worte mehr mit unserer Wirklichkeit zu tun haben, als ich ahne und vermute.
Dabei weiß ich um die Schmerzen und Leiden, die wir Menschen erleben. Mitunter grausam und voller Rätsel. Ich denke an Abschiede, Abbrüche, zerbrochene Hoffnungen. Zurückgelassene Schuld. Leben, die der Tod plötzlich und gewaltsam zum Stillstand bringt.
Ich erlebe Trostlosigkeit, die ausgehalten und getragen werden will. Versuche, Gründe und Antworten für das Geschehene zu finden, helfen nicht weiter und scheitern.
Die Verheißung dieser neuen Zeit kann uns den Blick weiten. Wir brauchen nicht wegzuschauen von Elend, Schmerz, Trauer, Sterben und Tod. Das alles braucht offene Augen, Ohren, die zuhören und Arme, die bergen können. Zugwendete Zeit.
Doch ich vertraue darauf, dass die Bilder vom neuen Himmel und der neuen Erde uns darüber hinausblicken lassen.
Einen Augenblick lang kann sich ein Tor öffnen, durch das strahlendes Licht fällt. Frische, klare Luft.
Mein enges und verzagtes Herz kann aufgehen und Linderung erfahren.
Gott selbst wird als unser Gott bei uns sein. Wie eine Mutter wischt er mit zärtlicher Hand die Tränen ab. Der Tod wird nicht mehr sein. Die Angst vor Schmerzen vorbei.
Wie schön, wenn wir diese Worte wirken lassen können.
Nehmen wir sie mit, wenn wir in diesen Tagen die Gräber der Angehörigen besuchen. Die Gottesdienste, in denen der Verstorbenen gedacht wird. Nehmen wir die Bilder hinein in unsere Angst vor dem Morgen. Sie können uns etwas Ruhe schenken.
Diese Erde ist nicht alles. Längst nicht alles.
In der Hoffnung, dass Gott wahrmacht, was er verspricht, kann unser Herz weit und unser Leben anders werden.
Die neue Zeit ist Gott allein. Er selbst wird unserer Zeit ein Ende setzen.
Ich bin aufgehoben. Ich werde getragen. In den Himmel, der kommt.
Pfarrer Hans-Dieter Dörr, Seelsorger im Klinikum Wetzlar
Gerichtstermin
Gerichtstermin, auch das noch. Da geht wohl niemand gerne hin. Und trotzdem steht der Termin im Kalender. „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richtstuhl Christi.“ (2. Brief des Paulus an die Korinther, 5, 10a ).
Diese Ankündigung gibt uns der Wochenspruch für die nächsten Tage mit auf den Weg. Und da zuckt man beim Lesen erstmal unwillkürlich zusammen, egal wie gut man sich sonst findet.
Wenn ich diesen Vers aber in seinem Zusammenhang lese, fange ich an, mich zu wundern. Denn Paulus baut mit dem Hinweis auf das Gericht keine Drohkulisse auf, wie das nach ihm Jahrhunderte lang getan wurde. Er weiß auch, dass Angst am Ende niemals etwas Gutes bewirkt. Und deshalb macht er seinen Leuten nicht „die Hölle heiß“. Nein, als Bild gemalt fällt mir dazu eher ein anbrechender Sonnenaufgang ein, der denen, die noch in der Dunkelheit unterwegs sind, schon Licht auf den Weg gibt.
Wir können jetzt schon wissen, welche Punkte bei der Verhandlung auf der Liste stehen werden, weil Jesus uns das selbst gesagt hat: mit denen teilen, die hungrig, durstig und ohne Kleidung sind, Fremde gastfreundlich aufnehmen, Kranke und Gefangene besuchen.
Paulus ergänzt an anderer Stelle: Rücksicht auf die Schwachen nehmen, Respekt vor einer anderen Meinung haben, niemandem boshaft Steine in den Weg legen und vor allem: nicht andere ab-urteilen, sondern erstmal die Dinge bei sich selbst in Ordnung bringen. Das klingt alles ziemlich alltäglich und machbar? Stimmt: Jesus sagt voraus, dass diejenigen, die so gelebt haben, sich das selber noch nicht einmal als etwas Großartiges anrechnen.
Der Blick auf diesen Gerichtstermin stellt uns keine Hinrichtung vor Augen. Gott will das aufrichten, was durch den Geist des Unfriedens und der Vergeltung zu Schaden gekommen ist. Dazu gehört auch, dass die Menschen, die durch Bösartigkeit, Gewalt, Hass und Krieg zu Opfern geworden sind, zu ihrem Recht kommen werden. Und Jesus will uns ausrichten auf den Geist der Liebe und des Friedens. Nicht mit großen Programmen, sondern in unseren alltäglichen Entscheidungen, die Folgen haben für andere.
Paulus lebt von der Hoffnung, dass Gott am Ende alles so ins Licht stellt, wie es nach seinem Willen sein sollte. Und das ist heute schon erhellend für die Frage, wie wir unser Leben gestalten wollen.
Pfarrer Michael Lübeck, Schulreferent des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill
Der neblige graue November, der mit den Gedenktagen Allerheiligen und Allerseelen in der vergangenen Woche begonnen hat, stimmt mich herausfordernd nachdenklich und melancholisch, geht es doch um Leben und Tod, um Erinnern und Innehalten.
Manchmal tauchen aber von scheinbar irgendwoher Bräuche auf: Halloween zum Beispiel. Das heißt ursprünglich: „All-Hallow`s-Eve“ und bedeutet „Abend vor Allerheiligen“, an dem man in Irland schon im Mittelalter ausgehöhlte Rüben als Windlichter zu Ehren der Verstorbenen auf ihre Gräber stellte. Man wollte damit ausdrücken, dass das ewige Licht Ihnen leuchten möge. Und es war bestimmt ein schönes Bild, wenn in der Dunkelheit die Lichter auf dem Friedhof brannten. Vielleicht wirkte es bei Nebel sogar ein wenig gespenstisch und wenn der Wind noch um die Mauern pfiff, konnte man sich direkt ein bisschen gruseln.
Aus den Rüben wurden dann nach der irischen Auswanderungsbewegung in Nordamerika große Kürbisse, die sich viel leichter aushöhlen ließen. Auch der Brauch an diesem Abend von Tür zu Tür zu gehen und „Süßes oder Saures“ zu wünschen, hing mit den Verstorbenen zusammen. Denn in Zeiten von Hungersnöten gingen arme Menschen einst in Irland von Haus zu Haus, erbaten Essbares und versprachen den Spendern am darauffolgenden Tag Allerheiligen für ihre verstorbenen Angehörigen zu beten und für sie ein Licht zu entzünden.
An Allerheiligen besuchte ich die Gräber meiner geliebten Angehörigen, weil ich sie niemals vergessen möchte und weil sie mir Vorbilder nicht nur im Glauben waren. Es ist ein Fest zu Ehren all der Menschen, die heilig waren und heilig lebten, ohne dass sie je offiziell heiliggesprochen wurden, ein Tag, für all die ungekannten Heiligen, für die es keinen Gedenktag im Kalender gibt.
Gott erinnert sich an jeden und jede. Die Chancen stehen gar nicht schlecht, dass unter unseren verstorbenen Angehörigen Heilige anzutreffen sind. Jedenfalls hatte das der Apostel Paulus so behauptet. Denn für ihn waren die Heiligen keine anderen als Menschen, die an Jesus Christus glauben und solche, die sich bemühen nach seiner Botschaft zu leben.
Der Apostel Paulus würde uns heutzutage genau das raten: Seid bitte noch etwas heiliger, Ihr, die ihr an das Gute im Menschen glaubt und von der Botschaft Jesu ergriffen seid, setzt Euch noch mehr ein, bringt ganz viel Licht ins Dunkle, tröstet , wo Ihr trösten könnt, begleitet da, wo Ihr gebraucht werdet, sorgt für eine bessere Atmosphäre untereinander, macht Allerheiligen zum Welttag vorbildlicher Menschen , die ethische Wegweiser sind oder wie Kyrilla Spieker sagt: „Seid wie Stimmgabeln in einer verstimmten Welt“.
Beate Mayerle-Jarmer, Studienleiterin im Amt für Katholische Religionspädagogik, Wetzlar
- Oktober – Reformation feiern! Aber was feiert man da?
Heute vor 504 Jahren hat Martin Luther als Theologieprofessor 95 Thesen veröffentlicht. Ein datiertes Begleitschreiben, mit dem Luther seine Thesen verschickte, macht uns sicher, dass wir mit dem 31. Oktober den richtigen Tag getroffen haben.
Und was ist daran feierlich? Beim Lesen der ersten und berühmtesten These, werden wir es nicht sofort entdecken. Sie lautet: “Als unser Herr und Meister Jesus Christus sagte: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Buße sei.”
Statt feierliche Gefühle hervorzurufen denkt man vielleicht eher: Das ganze Leben als Buße … Katastrophe! Genau das dachte Luther auch! Die Vorstellung davon, was Buße bedeutet, hatte sich über lange Zeit in der Kirche entwickelt und sie erschien dem Theologieprofessor als Katastrophe.
Zur Buße gehöre – so lehrte man – 1. Reue, dass ich also traurig und betrübt bin, 2. Beichte und 3. Genugtuung, also das Erfüllen der Gesetze und das Erdulden der Strafen für die Übertretung.
Nach diesem Dreischritt der Buße sollte ich dann auf einen gnädigen Gott hoffen dürfen. Es funktioniert aber schon beim ersten Schritt, der Reue, nicht. Woher soll man wissen, ob die Traurigkeit echt war und nicht gespielt? Und, wer wird einen Gott lieben, der das fordert? Wird man ihm nicht eher heimlich feind sein? Und dennoch hat sich bis heute diese Idee hartnäckig gehalten, dass man in der Kirche – vor allem beim Abendmahl – Gefühle der Reue und der Traurigkeit haben müsse. Katastrophe!
Luther versteht Buße stattdessen als Rückkehr zur Taufe. Als Erinnerung und als Freude darüber, dass Gott mir zugesagt hat: Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen. Also nichts mit Traurigkeit. Im Gegenteil!
Außerdem sind wir auf der sicheren Seite, wenn wir uns nicht auf eigene Kraft, nicht auf unser Gewissen, nicht auf unser Gefühl, nicht auf unser Tun verlassen, sondern auf das, was Gott tut, in Jesus Christus. Denn Gott ist verlässlicher, als wir es je sein könnten.
Das ganze Leben als Freude über Gottes Zusage bei meiner Taufe. Das könnte man feiern, würde Gott lieben und der Mensch würde in seinem Leben und Tun neu werden. Probieren Sie´s aus!
Pfarrer Christian Silbernagel, Evangelische Kirchengemeinde Wetzla
Das ging jetzt aber mal gründlich daneben. Bis zuletzt habe ich noch gehofft, dass die Sache anders ausgeht. Naja, irgendwie bin ich auch selbst mit dran schuld, ich hätte das anders angehen sollen. Aber jetzt ist es zu spät, da kann ich nichts mehr dran ändern. Und das tut weh. Aber irgendwie war am Ende auch alles zu viel.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Man fühlt sich geschlagen, bedrückt, am Ende, ausgebrannt wie eine verlöschende Kerze, ist im wahrsten Sinne des Wortes geknickt. Und dann nagt auch noch die Frage: ist das nicht auch deine Schuld? Hättest du nicht …?
Der Prophet Jesaja kennt diese Situation ganz gut. Und er weiß auch, dass man sich alleine aus dieser Gefühlslage schlecht befreien kann. Er hat aber eine gute Nachricht: Du bist in deiner misslichen Lage nicht alleine. Gott sieht, wie es dir geht und schickt jemanden, um dich zu trösten. Und den beschreibt Jesaja so:
„Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht löscht er nicht aus.“ ( Jesaja 42, 3 )
Ich sehe das bildlich vor mir: zwei Hände legen sich schützend um den noch glimmenden Docht. Das geknickte Rohr wird behutsam wieder gerichtet. Vorsichtig, jetzt bloß nicht das kaputt machen, was noch ist. Und ich habe das Gefühl: da geht einer behutsamer und liebevoller mit mir um als ich mit mir selbst.
Als christliche Gemeinde sehen wir diese Ankündigung des Jesaja im Kommen von Jesus Christus als erfüllt an. Jesus kommt nicht, um uns in einer elenden Lage auch noch kritisch zu bewerten oder zu verurteilen. Er kommt, um Gottes grenzenlose Liebe und Zuwendung in unserem Leben gegenwärtig werden zu lassen. „Kommt alle zu mir, die ihr belastet und am Ende seid. Bei mir könnt ihr zur Ruhe kommen und aufatmen“, so lautet seine Einladung.
Wo ich so bedingungslos angenommen und geliebt werde, darf ich das, was daneben gegangen ist, dann auch mal abhaken. Da kann ich auch mit mir selber fürsorglich umgehen, kann auf das achten, was noch schwach glimmt und mich aus meiner geknickten Position wieder aufrichten.
Das tut nicht nur gut, das setzt auch neue Kräfte für die Zukunft frei. Und damit kann ich gestärkt weitergehen: mit neuer Zuversicht, einem Vertrauen auf Gott und zu mir selbst, das trägt und Halt gibt.
Pfarrer Michael Lübeck, Schulreferent des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill
Gibt es etwas, wonach wir uns im Augenblick ganz besonders sehnen?
Ganz bestimmt! Denn in jedem Menschen schlummern Sehnsüchte. Wir haben Sehnsucht nach einem anderen Menschen – nach Orten, die uns viel bedeuten und an denen wir alles hinter uns lassen können. Nicht umsonst ist in unserer Zeit so oft von „Sehnsuchtsorten“ die Rede.
Wir sehnen uns nach einem Lichtblick, nach etwas, das unserem Leben Halt gibt. Wir suchen nach etwas, das uns aufatmen lässt – uns das Gefühl vermittelt, in dieser unberechenbaren Zeit keine Angst haben zu müssen und optimistischer in die Zukunft gehen zu können.
Sehnsucht ist mehr als der Wunsch nach Erfüllung aller Träume. Sehnsucht hat etwas damit zu tun, tief in sich zu spüren, dass da etwas fehlt, was das Leben rund macht – es zu einem erfüllten, glücklichen Leben werden lässt. Es ist ein unterschwelliges Gefühl, dass da etwas nicht im Lot ist, ein Gespür für die Unstimmigkeiten. Gerade im Moment gibt es ganz viel, das in unserer Welt nicht stimmt. Deshalb sind die Sehsüchte ja auch so groß.
Da ist das große Verlangen, dass es mit Corona endlich ein Ende hat, Sehnsucht nach Sicherheit und Stabilität, dem Fortbestand altvertrauter Gewohnheiten, aber auch der tiefe Wunsch nach einem anderen, faireren Umgang miteinander. Nicht gnadenloses Lauern und Niedermachen sehnen wir herbei, sondern mehr gemeinsames Ringen um Lösungen, auch weniger Gewalt und Ungerechtigkeit.
Wir empfinden einen großen Mangel. Dieses Gefühl wird in einem Lied aufgenommen: „Da wohnt ein Sehnen tief in uns!“ Ein Sehnen, ein Durst nach Glück, nach Liebe wird benannt – der tiefe Wunsch nach Frieden, Freiheit, Hoffnung – Heilung, Ganzsein, Zukunft.
Unsere Sehnsüchte bekommen eine Adresse: Gott wird angesprochen, Gott als Ziel unserer Sehnsucht. Gott ist da, wo ich Sehnsucht verspüre. Er wohnt mit mir in meinem Sehnen. Er hält mit mir aus. Er ist mir gerade da nahe, damit ich Geborgenheit erfahre.
„Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir!“ so hat es der Psalmbeter formuliert. Das ist ein heilsamer Ausblick, der mich darauf vertrauen lässt, dass es hinter allem, womit ich mich auseinandersetzen muss, noch etwas anderes gibt. Die Sehnsüchte, die in mir schlummern, haben ihre Berechtigung, lassen mich achtsam werden, wo etwas nicht stimmt, und haben mit Gottes Hilfe eine Aussicht, gestillt zu werden.
Eine ermutigende Aussicht in Zeiten, in denen Sehnsüchte ganz besonders laut werden!
Pfarrerin Cornelia Heynen-Rust, Evangelische Kirchengemeinden Biskirchen
„Man kann sich den ganzen Tag ärgern, aber man ist nicht dazu verpflichtet.“ Ein weises Wort! Wie oft regen wir uns am Tag auf, meistens über andere Menschen und ihre Unarten: Da gibt einer immer seinen Senf dazu. Eine andere erzählt nur von ihren Krankheiten. Einer parkt so, dass er gleich zwei Parkplätze einnimmt und wir nicht mehr daneben passen. Oder ein Familienmitglied hat wieder einmal einfach das schmutzige Geschirr in der Küche stehen gelassen…
Oft sind es die Kleinigkeiten, die uns stören und die uns auf die Nerven gehen. Dabei sind übrigens wir es selbst, die darunter leiden. Denn meistens bekommt der andere von unseren Emotionen gar nichts mit.
Der Theologe und Buchautor Max Lucado hat dafür ein schönes Bild gewählt. Stellen wir uns einen Eimer voller Tischtennisbälle vor. Dieser stellt unser tägliches Kontingent an Freude und Zufriedenheit dar. Und jedes Mal, wenn wir uns aufregen, verschwindet ein Ball aus unserem Eimer und wieder einer und wieder einer und wieder einer. Und am Ende bleibt unsere Zufriedenheit gänzlich auf der Strecke. Mit so einem Loch im Eimer wirken wir dann auch nicht besonders freundlich auf andere.
Glücklicherweise finden wir in der Bibel eine heilsame Gegenstrategie: „Seid dankbar in allen Dingen“ so heißt es im 1.Thessalonicher 5,18. Wer sich in Dankbarkeit übt und nach den Segensspuren Gottes in seinem Leben Ausschau hält, ist besser gelaunt und kann mit den Macken anderer viel leichter umgehen.
Am kommenden Sonntag feiern wir das Erntedankfest, vielleicht ja wieder einmal eine Gelegenheit den Blick weg von allen Ärgernissen auf die kleinen und großen Geschenke Gottes zu lenken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen „vollen Eimer“.
Pfarrerin Manuela Bünger, Evangelische Kirchengemeinden Dorlar und Atzbach
Die Bundestagswahl steht an. In Wettenberg dürfen wir auch noch einen neuen Bürgermeister und einen Landrat / eine Landrätin für den Kreis Gießen wählen.
Es ist nicht ganz leicht, zu entscheiden, wer und welche Partei die Interessen von mir als einzelner Wählerin und der Gesamtheit der Kommune, des Landkreises oder gar der Bundesrepublik Deutschland am besten vertreten wird. Man kann sich informieren, Parteiprogramme lesen, Fernseh-Trielle anschauen, Wahlkampfveranstaltungen besuchen.
Man kann auch das Wahl-O-Mat-Programm im Internet nutzen, das einem am Ende mitteilt, wieviel prozentuale Übereinstimmung man in bestimmten Fragen mit welcher Partei hat. Ich habe das in diesem Jahr erstmals getestet. Von Tempolimit über Wahlrecht ab 16 Jahren, von Bildungspolitik über Kirchensteuer bis zu Verteidigungsetat oder Asylpolitik werden verschiedene Fragen gestellt. Man kann zustimmen, ablehnen oder sich neutral verhalten, also keine dezidierte Meinung äußern. Interessant, aber nicht erschöpfend, auch wenn viele verschiedene Bereiche zur Entscheidung gestellt werden.
Am Ende muss ich mich entscheiden – und da spielt noch anderes eine Rolle als die Prozente, die der Wahl-O-Mat errechnet. Was habe ich in Verantwortung für die Zukunft als richtig erkannt, wie sympathisch sind mir Kandidaten und Kandidatinnen, was ist mit meinen sonstigen Einstellungen und meinem Glauben besonders kompatibel?
Für Sonntag lesen wir in den Herrnhuter Losungen folgendes Bibelwort: Gott gebe euch erleuchtete Augen des Herzens, damit ihr erkennt, zu welcher Hoffnung ihr von ihm berufen seid. (Epheserbrief, Kapitel 1, Vers 18).
Die Hoffnung, die uns Gott in Jesus Christus schenkt, hat etwas zu tun mit umfassendem Frieden, der die Gemeinschaft von Gott und Mensch und Schöpfung umfasst; Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, Verantwortung und Aufrichtigkeit, Freiheit und Lebensperspektiven, all das folgt aus einer Beziehung zu Gott. Dem Herzen folgen und dabei den Verstand gebrauchen.
Ich hoffe, dass ich bei meiner Entscheidung mit erleuchteten Augen des Herzens in die Wahlkabine gehen kann.
Pfarrerin Alexandra Hans, Evangelische Kirchengemeinde Wettenberg, Ortsteil Wißmar
Liebe Leserin, lieber Leser,
Kinder stehen in unserer Gesellschaft sehr hoch im Kurs. Menschen sagen, Kinder sind unsere Zukunft. Ich erinnere mich daran, dass viele Eltern schon früher sagten: „Unsere Kinder sollen es einmal besser haben als wir“. Viele Eltern heute setzen viel Energie ein, um ihren Kindern eine schöne und glückliche Kindheit zu schenken. Neuerdings gibt es Bestrebungen, Kinderrechte zu formulieren und sie in Verfassungstexte aufzunehmen.
Bedenklich finde ich es allerdings, wenn Eltern ihre Kinder dermaßen vorprägen, indem sie ihre Wünsche und Ideale ihren Kindern aufdrücken. Ist der Vater beispielweise ein bekannter Sportler, dann muss es auch der Sohn sein. Manchmal will es der Sohn aber gar nicht. –
Als Jesus mit seinen Jüngern nach Kafarnaum kam, fragte er sie: „Worüber habt ihr unterwegs gesprochen?“ Sie schwiegen – beschämt. Sie hatten unterwegs miteinander darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei. Das ist eine Versuchung, die in unserer Gesellschaft allenthalben beobachtet werden kann. Jeder möchte mit seinen Vorzügen und Fähigkeiten glänzen, um anerkannt und geehrt zu werden. Manche Fernsehsendungen – sogenannte Shows – tun ein Übriges dazu, um die Selbstdarstellung zu fördern. Es gibt ja dank modernster Technik sogenannte „Selfies“, wo man sich selbst mittlerweile der ganzen Welt zeigen kann. Man schaut gerne nach oben, will dort stehen, um bewundert zu werden.
Vergessen diese Menschen nicht einfach, dass ihnen Vorzüge und Fähigkeiten, dass ihnen ihre Talente zuallererst geschenkt sind? Denn Gott hat sie ihnen gegeben!
Jesus holt seine „größenwahnsinnigen“ Jünger herunter durch eine Art Zeichenhandlung. Er stellt ein Kind in ihre Mitte, nimmt es in seine Arme und sagt zu Ihnen: „Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf“.
Jesus lehrt uns sozusagen den Blickwinkel Gottes, nämlich nach unten zu schauen. Kinder lehren die Menschen, ihre Kleinheit zu begreifen. Sie lehren uns, offen zu sein für Christus Jesus, den wir als Christen aufnehmen sollen und durch ihn Gott selbst einen Platz in unserem Herzen bereiten sollen.
(Markus Evangelium Kapitel 9, Verse 30-37)
Pfarrer Heinz Ringel, Katholische Pfarrgemeinde St. Anna, Biebertal
Zu Markus 8, Verse 27 bis 35:
Wer ist Jesus für Sie / Dich? Ein Humanist, Revoluzzer, Prophet, guter Mensch …?
So sahen ihn nicht nur damals vor 2000 Jahren sehr viele. Einer seiner Weggefährten, Petrus, wagte zu bekennen: „Du bist Messias, Gottes Sohn!“
Und weil er als Messias einen unberührbaren aber auch unbesiegbaren Anführer und Befreier versteht, reagiert er entsprechend klar auf Jesu Leidensankündigung! Um Gottes Willen – meint Petrus, das lassen wir niemals zu! Es ist doch äußerst menschlich, für jemanden, der in Lebensgefahr gerät, sich einzusetzen, um ihm zu helfen und ihn zu retten, und ich denke, eben das und nichts anderes hatte Petrus im Sinne, als er Jesus wehrt, den er vom Leiden und Tod retten will.
Doch Jesu Verständnis von Messias ist grundsätzlich anders. Für ihn ist Messias kein unverwundbarer Held, der mit dem Schwert um Menschenwürde und Freiheit kämpft, sondern ein sich hingebender Diener, dessen Grundsatz heißt: Die Spirale der Gewalt mit gewaltlosem Widerstand zu brechen!
Vielleicht erklärt dies seine Reaktion, in der er für Petrus statt Dankbarkeit nur schroffe Worte und Ablehnung findet. Jesus ist kein Messias, der für Gerechtigkeit und Frieden mit Gewalt – wie die vielen Messiasse dieser Welt kämpft, und genau deshalb lehnt er die Haltung von Petrus so entschieden ab!
Wie damals für Jesus, so auch für jede / jeden, die / der ihm folgen will, führt kein Weg an Gewaltlosigkeit und Hingabe aus Liebe vorbei. Jesus verspricht zwar: Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es retten, doch diesem Versprechen bei der Entscheidungsfindung zu folgen, fordert ganz, ganz viel Mut und Vertrauen heraus!
Manchmal ist es schon schwierig genug die Nächsten zu lieben, doch von Christen wird noch vielmehr gefordert, nämlich: Liebt eure Feinde! Ich wünschte, nicht nur wir Christen würden in dieser so angespannten geopolitischen Lage dazu bedingungslos fähig und bereit.
Ihr Janusz Sojka, katholischer Diakon im Ruhestand (ehemals St. Markus Wetzlar)
Ströme lebendigen Wassers
Am vergangenen Mittwoch war der Ökumenische Schöpfungstag. Weltweit wurden in Kirchen verschiedenster Traditionen Gottesdienste zum Thema: „Damit Ströme lebendigen Wassers fließen“ gefeiert.
Die Kirchen machen auf das drängendste Problem unserer Zeit aufmerksam: Die Zerstörung der Natur als unserem Lebensraum. Die Corona-Pandemie, so sagen Klimaforscher, ist eigentlich die Folge der Ausbreitung des Menschen in die entlegensten Winkel der Erde. Wir verdrängen alle anderen Lebewesen, geraten in sehr intensiven Kontakt mit ihnen und damit auch mit Erregern und Krankheiten, die es vorher nicht gab.
Die Größe des Problems kann einem Angst und Bange machen. Wie soll man diese Herausforderung je meistern?
Hier ist ein hilfreicher Vers:
Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. (Joh. 7,38)
Hilfreich ist dieser Vers erst auf den zweiten Blick. Diese Worte sagt der auferstandene Christus und er spricht von sich selbst: Er ist Quelle der Hoffnung. Genau die brauchen wir – Hoffnung. Wir erstarren wie die Kaninchen vor der Schlange angesichts der unlösbar scheinenden Aufgabe und der Widerstände in Politik und Wirtschaft oder wir verzagen in Mutlosigkeit. Wir brauchen Zuversicht – und die kann uns der Glaube geben. Zum Beispiel der Glaube daran, dass ein Leben mit und nicht gegen die Natur möglich ist.
Oder der Glaube daran, dass wir selbst zu Urhebern des Guten werden können, weil wir selbst aus dem Guten schöpfen. Von uns könnten Ströme lebendigen Wassers ausgehen. Dazu müssten wir diese Ströme nur anzapfen und in uns fließen lassen. Die meisten Menschen suchen an der falschen Stelle. Sie verwechseln Besitz mit Fülle. Überfließende Fülle kann man aber nicht besitzen. Sie wird uns geschenkt in der Zuwendung des anderen. Sie entsteht zwischen uns – in unseren Beziehungen.
Wenn wir zu „überströmenden“ Menschen werden, haben wir eine Chance. Also: Nur Mut! Packen wir ’s an!
Tilo Linthe, Pastor der Baptistengemeinde Wetzlar
Die kleine Figur auf meinem Schreibtisch erinnert mich an eine Geschichte, die so nicht hätte ausgehen müssen. An dem bitter kalten Silvesterabend des Jahres 1717, so wird erzählt, zog ein Bettler von Haus zu Haus, um für sich und seine Familie um Lebensmittel zu bitten. Die Menschen waren durchweg in Feierlaune, hier und da bekam er einen Schnaps angeboten – aber jetzt nach Lebensmitteln gucken, die man ihm mitgeben könnte? „Komm morgen wieder oder nächste Woche, dann wollen wir schauen.“ Und so musste er jedes Mal ohne etwas Essbares in seinem Beutel wieder hinaus in die Nacht. Einer der Bürger bereute sein Ver-halten kurz danach, und er packte ein großes Lebensmittelpaket. „Morgen,“ so nahm er sich vor, „gleich nach dem Frühgottesdienst werde ich den Bettler suchen und ihm dieses Paket geben.“ Am nächsten Morgen musste er nicht lange suchen. Vor Beginn des Gottesdienstes fand die Gemeinde den Bettler vor der Kirchentür, verhungert und erfroren in der kalten Nacht.
Im Wochenspruch für die kommende Woche sagt uns Jesus: „Was ihr für einen meiner Brüder oder eine meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind – das habt ihr für mich getan.“ (Matthäusevangelium, Kapitel 25 Vers 4, Übersetzung der BasisBibel) Ich bin mir sicher, dass Jesus damit auch gemeint hat: „ … und tue es sofort.“
Für mich erzählt diese Geschichte vor allem eines: Die Menschen sind in dieser Nacht nicht hartherzig und egoistisch. Sie erkennen die Not und wollen auch helfen – aber bitte nicht gerade jetzt im Moment. Im Moment passt es leider so gar nicht. Das Anliegen läuft ja nicht weg, darum können wir uns morgen auch noch kümmern.
Jesus geht es in der Beziehung zu anderen Menschen, und besonders zu Hilfsbedürftigen, aber nicht um das, was wir uns vorgenommen haben – sondern um das, was wir getan haben. Denn viele große und kleine Tragödien entstehen nicht aus mangelnder Hilfsbereitschaft sondern wegen ausbleibender Soforthilfe.
Um das nicht wieder zu vergessen, haben damals die Bürger der Stadt eine lebensgroße Statue des Bettlers gestiftet und sie vor der Kirche aufgestellt. Und dort steht sie heute noch und er-innert an die Einsicht: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.“ Und das am besten gleich.
Pfarrer Michael Lübeck, Schulreferent des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill
Ein halb kaputtes Kabel nervt. Mal geht´s und mal nicht. Es wird bei der nächsten Gelegenheit ausgetauscht. Eine Kerze, die nicht mehr brennt, aber noch glimmt und rußt, nervt auch. Finger und Daumen nass gemacht und der Docht ist aus.
Erstaunlicherweise schickt der Gott der Bibel einen Abgesandten in die Welt von dem er sagt: “Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.” (Jesaja 42,3a). So viel Geduld!
Wenn Jesus Menschen begegnet, erfahren sie, wieviel Geduld er mit ihnen hat. Unser großer deutscher Denker Immanuel Kant meinte: “Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.”
Darum haben Menschen immer wieder versucht, eine für alle bekömmliche Gesellschaft zu bauen. Soziale und politische Verhältnisse zu schaffen, die für die Begabungen und die Begrenzungen unvollkommener Menschen möglichst günstig sind.
Weil Menschen nicht wissen ob sie krank werden, werfen sie ihre Risiken zusammen und zahlen in eine Krankenversicherung ein. Wie das Leben so spielt, bezahlen am Ende die Gesunden für die Kranken. Ein System menschlicher Solidarität, weil der Mensch “aus krummem Holze” gemacht ist.
Eine weitere Notwendigkeit, die sich daraus ergibt, betrifft alle, die Eltern sind. Es ist die Offenheit für das Unerbetene. Kinder bedeuten viel. Wir können uns nicht aussuchen, welche wir wollen. Wir müssen das Unerbetene ertragen und mit Unstimmigkeiten leben. Solidarität und Offenheit für das Unerbetene machen uns menschlich. Wir brauchen sie, weil das Leben nicht planbar ist.
Es wäre gut, diese menschlichen Eigenschaften zu erhalten, auch wenn wir immer mehr in der Lage sind, das “krumme Holz” gerade zu richten. Immer mehr kann der Mensch sich selbst verändern. Immer mehr kann man sich aussuchen, welche Kinder man möchte. Ob wir auf diesem Weg perfekte Individuen werden, die jeden Knick ausbügeln können?
Gott jedenfalls kann es aushalten und kann damit umgehen, dass jemand noch nicht oder nicht mehr so ist, wie es sein sollte. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ (Jes 42,3). Da bin ich froh.
Pfarrer Christian Silbernagel, Evangelische Kirchengemeinde Wetzlar
Salz der Erde – Es kommt auf die Dosis an
Von einem berühmten Schokoladenfabrikanten erzählte man, jeden Tag sei er zum großen Bottich gegangen, in dem die feine Schokolade gerührt wurde. Dort habe er eine Prise weißen Pulvers hineingestreut, doch niemandem das Geheimnis verraten. Erst zum Ende seines Lebens sei herausgekommen, das ominöse Pulver sei einfaches Kochsalz gewesen. Das hatte der Schokolade den guten Geschmack und die unverwechselbare Qualität gegeben.
Salz gibt manchem im Leben die entscheidende Würze.
Salz ist ein kostbarer und lebenswichtiger Stoff. Unser Organismus braucht es. Zu wenig davon ist nicht gut für die Gesundheit. Zu viel davon schadet ihr.
Jesus sagte: Ihr seid das Salz der Erde. (Matthäus 5,13)
Das ist die Beschreibung eines Zustandes. Das ist ein Lob. Christinnen und Christen sind für das Leben in der Welt unverzichtbar. Sie haben einen unschätzbaren Wert.
Das kostbare Gut kommt aus Gottes Hand. Es nützt nichts es in der Vorratskammer zu lagern, wenn es nicht genutzt wird. Seinen Geschmack wird es zwar nicht so schnell verlieren, aber es ist dann nutzlos.
So wie Salz lebensnotwendig ist, sind Menschen nötig, die Jesus nachfolgen. Die ihr Leben gemeinsam so gestalten, dass die Welt Geschmack, das Leben Würze und Kontur bekommt.
Dabei ist es wichtig, dass wir es vernünftig dosieren.
Wenn Christinnen und Christen sich einmischen, wenn sie aktiv für Gerechtigkeit eintreten und das Unrecht beim Namen nennen, können sie Salz der Erde sein.
Schweigen wir nicht, wenn Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilt werden. Treten wir ein für den sozialen Frieden. Zeigen wir Wege auf, das zu teilen, was wenige im Überfluss und andere kaum oder gar nicht haben.
Verleihen wir damit unserer Welt Geschmack.
Versöhnen und entfeinden wir, wo immer es möglich ist. Treten wir ein für Versöhnung, wenn wir Unversöhnlichkeit erfahren und erleben.
Schweigen wir nicht, wenn Feindbilder und Vorurteile aufgebaut werden, mit denen Menschen abgewertet und ausgegrenzt werden.
Tun wir das unsrige die Schöpfung zu bewahren, damit das Überleben für uns und unsere Kinder möglich bleibt.
Früher hat man mit Salz auch verderbliche Lebensmittel konserviert. Überlegen wir, was es gemeinsam zu bewahren gilt und wie wir Gottes Wort bewahren und weitergeben können.
Jesus hat gerade den Menschen Heil zugesagt und gebracht, die andere außen vorließen: Armen, Kranken und Außenseitern.
Erzählen wir und leben wir, wie Jesus von Gottes neuer Welt gesprochen und sie gelebt hat.
Dieses Salz kann uns und der Welt Geschmack und Würze verleihen. Doch denken wir daran, die Dosis macht´s.
Pfarrer Hans-Dieter Dörr, Seelsorger am Klinikum Wetzlar
Allgemeingültige Anstandsregeln und sozial-menschliche Wertmaßstäbe für ein gelingendes Zusammenleben scheinen sich mehr und mehr aufzulösen, besonders wenn man auf die Verrohung der Sprache, auf das rücksichtslose Verhalten im Straßenverkehr und auf Hass- und Drohbotschaften gegen Politiker/innen und auf die aggressive Behinderung von Rettungskräften schaut.
Die (un-)sozialen Medien und Netzwerken scheinen die menschenverachtenden Grobheiten salonfähig zu machen und die Illusion zu verbreiten, dass eine solch` hasserfüllte Menschenverachtung und Respektlosigkeit ganz normal sei.
Da könnte man fast den Glauben an das Gute im Menschen verlieren.
Wir brauchen viele sichtbare Zeichen für mehr Respekt. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet: Zurück schauen. Wie ich selbst betrachtet werden will, so schaue ich auch auf die anderen. Wortwörtlich: Respekt
Den habe ich vor so vielen Menschen, die anderen in schweren Zeiten bis zur Erschöpfung zur Seite stehen, wie gerade in den letzten Wochen in den Überschwemmungsgebieten, die ganz selbstverständlich ihre Hilfe anbieten, die mit ihrer Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und Menschenfreundlichkeit für ein gutes und gesundes Miteinander sorgen, die sich solidarisch für die Schwächeren einsetzen, die in den Krankenhäusern, Pflegeheimen, Hospizen, Kirchengemeinden und sozialen Initiativen der Nächstenliebe ein Gesicht geben.
Menschen, die sich einsetzen für Barmherzigkeit und Wahrhaftigkeit, sich in Bündnissen gegen Antisemitismus, Rassismus und gegen jegliche Formen von Verrohung und Menschenverachtung wehren.
Das ist ganz im Sinne Jesu, der gesagt hat: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)
Das sind die Grundwerte des christlichen Glaubens und einer humanen Gesellschaft.
Wenn jede und jeder sich dafür einsetzt, brauchen wir den Glauben an das Gute im Menschen nicht zu verlieren. „Sei Du selbst der Grund, warum andere den Glauben an das Gute im Menschen nicht verlieren“, lautet ein Spruch.
Ich glaube an einen Gott, der nicht müde wird, an das Gute im Menschen zu glauben, weil er uns zutraut, dass wir uns selbstkritisch betrachten, damit wir unsere wahren menschlichen Talente zum Einsatz bringen können.
Beate Mayerle-Jarmer, Studienleiterin im Amt für Katholische Religionspädagogik, Wetzlar
„C’est ça la vie – genau so ist das Leben! Es kommt fast nie so wie man sich das denkt. Die Phantasie liegt immer knapp daneben. Doch das, was passiert, funktioniert – irgendwie! C’est ça la vie!“- Diese Worte aus einem Schlager der letzten Jahre scheinen unsere Situation oftmals genau widerzuspiegeln. Wir machen Pläne, gerade auch in der Urlaubszeit. Es hätte alles so schön werden können. Aber dann wird einem ein Strich durch die Rechnung gemacht. Plötzliche Wendungen lassen alles in eine andere Richtung laufen. Umstände verändern sich so, dass Geplantes unmöglich wird. Die Situation läuft aus dem Ruder: Dinge verkomplizieren sich, Kräfte lassen nach, Mitstreiter verabschieden sich, Unvorhergesehenes geschieht – so dass man auf einmal mit ganz anderen, neuen Gegebenheiten konfrontiert wird und umgehen muss: Man hätte sich das Ganze doch ein wenig anders vorgestellt! Aber – so ist das Leben! Wir haben nicht immer alles in der Hand. Im Gegenteil! Die Situation wird uns oft aus der Hand genommen. Aus dieser Lebenserfahrung heraus stellt die Bibel fest: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg. Aber der Herr allein lenkt seinen Schritt!“- „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg!“ Doch es kommt fast nie, so wie man sich das denkt. Erstaunen, Kopfschütteln, Resignation – aber auch Traurigkeit und Enttäuschung können zurückbleiben. Aber erstaunlich ist die Tatsache, dass es dabei nicht bleibt. Wenn des Menschen Herz mit der Situation konfrontiert wird, dass das, was es sich erdacht hat, nicht verwirklicht werden kann, dann muss das nicht das Ende bedeuten. „Der Herr allein lenkt seinen Schritt!“ Er schafft dadurch das Vermögen, dass es weitergehen kann. Auch wenn wir den Eindruck haben, dass es nur irgendwie geht, staunen wir manchmal, was funktionieren kann. Es geht weiter – anders als gedacht – aber es geht weiter. Dieses Vertrauen mag uns leiten, wenn es wieder einmal anders kommt als man sich das denkt. Denn der Herr lenkt unseren Schritt. „C’est ça la vie!“
Pfarrerin Cornelia Heynen-Rust
Evangelische Kirchengemeinde Biskirchen
„Sintflutartige Regenfälle“
Liebe Leserinnen und Leser,
eine uns kaum vorstellbare Katastrophe hat Teile unseres Landes ereilt. Etwas, was wir sonst fast nur aus dem Fernsehen kennen: Wassermassen stürzen vom Himmel und begraben Menschen, Tiere und Gebäude unter sich. Traurigkeit und Entsetzen. Leid und Tod. Von „sintflutartigen Regenfällen“ war die Rede. Überschwemmungen, Springfluten, Tsunamis sind Katastrophen in der Natur, die uns Menschen und unsere Welt zerstören. Rechtspopulistische oder fundamentalistische Kommentatoren sprechen leise oder laut von der Strafe Gottes. Also doch erste Anzeichen einer neuerlichen Sintflut?
Die Geschichte der Sintflut endet mit dem Segen Gottes über alle Geschöpfe: „ Ich richte meinen Bund mit euch auf: Nie wieder sollen alle Wesen aus Fleisch vom Wasser der Flut ausgerottet werden; nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben.“ (Gen 9,11)
Gott will keine Flut, Gott will, dass alles Leben gedeiht und wächst. Gott ist ein Freund des Lebens. Er ist dort, wo Leben mehr wird und nicht weniger. Er ist nicht der Zerstörer des Lebens, er ist der Bewahrer. Selbst in der schlimmsten Katastrophe schenkt er Hoffnung auf Leben.
Davon berichtete Esther Bejarano, die Ausschwitz überlebte und kurz vor den Unwettern 96 -jährig verstarb. Die Zeitzeugen dieser schlimmsten Katastrophe der deutschen Geschichte gehen jetzt von uns. Und ihre Berichte – auch Hoffnungsberichte. Ich habe sie selbst erlebt, sie war Hoffnungsträgerin. Oder Dichter wie Paul Celan. Er hat Worte gesucht für das unaussprechliche Leid in der Verfolgung, in der Hölle der Konzentrationslager. „Kann man nach Ausschwitz noch an Gott glauben?“ „Es kam eine Stille, es kaum auch ein Sturm, es kamen die Meere alle“ (Celan, Todesfuge). „Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm, niemand bespricht unsern Staub. Niemand. Gelobt seist Du, Niemand. Dir zulieb wollen wir blühn. Dir entgegen.“ (Celan, Psalm). Einige versuchen Antwort: Er – Gott – er war mitten im Leid, er war mitten in der Zerstörung. Hat Hoffnung auf Leben gesät. Aufblühen lassen. Gott mitten im Leid – und manche finden in ihm Hoffnung.
„Kann man nach Ausschwitz noch an den Menschen glauben?“ – diese Frage ist genau so zu stellen. Läuft der Mensch immer blindlings in das eigene Verderben? Wann lernen wir Menschen, dass unser Tun Konsequenzen hat? Was denken die nachfolgenden Generationen über unser Handeln? Was sagt uns Mutter Erde über unser Verhalten?
Gott will das Leben – er ist ein Freund des Lebens. Alle Menschen guten Willens sind aufgerufen diesem Beispiel Gottes zu folgen. Mut zu bringen in Verzweiflung, Hilfe zu bringen in der Not, Solidarität zu leben in Ungerechtigkeit, Leben zu fördern statt Tod.
Pfarrer Peter Hofacker, katholischer Bezirksdekan, Region Wetzlar
An diesem Wochenende geht in Hessen das alte Schuljahr zu Ende. Die Sommerferien beginnen. In jedem Jahr eine Zeit, auf die viele sehnsüchtig warten!
Jetzt ist allerdings schon das zweite Jahr, in dem sie „coronabedingt“ nicht unbeschwert und unbelastet erlebt werden kann. Dabei sind die Ferien immer eine „ganz besondere Zeit“ im Jahr. Wir verbinden sie mit Urlaubszeit: Tagen, die anders sind. Tagen, in denen wir uns aus dem gewohnten Lebensraum lösen, wegfahren und an einem anderen Ort Luft holen.
Da ist auch das Bedürfnis, einfach einmal nichts tun zu müssen. Dieser Hang zum Nichts-tun ist früher mit Sorge betrachtet worden. Noch 1890 gab Kaiser Wilhelm II zu bedenken, „es liege in der Beschränkung der Arbeitszeit die Gefahr des Müßiggangs“. Und – das ist allgemein bekannt: „Müßiggang ist aller Laster Anfang!“ Das ist eine ganz spezielle, negative Sicht auf den Müßiggang – auf eine Zeit, in der es einmal ruhiger zugeht.
Demgegenüber stellt der Dichter R.M. Rilke fest: „Ich habe mich oft gefragt, ob nicht gerade die Tage, die wir gezwungen sind, müßig zu gehen, diejenigen sind, die wir in tiefster Tätigkeit verbringen“. Im Urlaub sind wir zwar nicht gezwungen, müßig zu gehen. Aber in Zeiten, in denen die alltäglichen Abläufe unterbrochen werden – Zeiten, in denen wir äußerlich zur Ruhe kommen – brechen oft all die Fragen, Sorgen, Erlebnisse und Ängste auf, die wir im alltäglichen Getriebe wegschieben oder unterdrücken – all das, womit wir keine Zeit hatten, uns zu beschäftigen. Im seelischen Untergrund rumort es ja weiter und kommt dann wieder zum Vorschein.
Deshalb brauchen wir Zeiten des Ausruhens. Äußerliche Ruhe ist dann manchmal eine Zeit höchster Anstrengung. Aber diese Zeit brauchen wir – als Zeit für unsere Seele. Wir tun damit unserer Seele etwas Gutes.
Auch Gott ruhte am siebten Tag von allen seinen Werken und ließ das Geschaffene auf sich wirken. Zeit der Ferien sollte Zeit sein, in der unsere Seele aufatmen kann – an einem anderen Ort oder zu Hause. Denn diese Erfahrung ist nicht an einen Ort gebunden. Diese heilsame Ruhe brauchen wir. Sie setzt neue Kräfte frei.
Sie ist notwendig, weil sie Raum gibt für neue Gedanken und stärkt für den Alltag, der bald wieder beginnt. Als eine solche Zeit der Ruhe wird uns die Ferienzeit geschenkt. Wir dürfen sie so nutzen und einen anderen Blick auf das Leben gewinnen, damit wir gestärkt neuen Herausforderungen begegnen können.
Pfarrerin Cornelia Heynen-Rust, Evangelische Kirchengemeinde Biskirchen
In einem Buch berichtet der Theologe Jörg Ahlbrecht von zwei älteren Männern aus seiner Gemeinde. Sie haben ein ähnliches Alter und einen relativ ähnlichen Lebenslauf. Sie sind im gleichen Ort aufgewachsen, lebten dort mit ihren Familien und besuchten die gleiche Kirchengemeinde. Beide waren im Krieg, mussten die Gefangenschaft miterleben und kehrten in ihre Heimat zurück.
Der eine von ihnen wird von allen liebevoll „Onkel Artur“ genannt, und er ist auch ein liebevoller, humorvoller, knuffiger und weiser alter Mann. Er ist voller Lebensfreude und positiv gestimmt; selbst die Jugendlichen mögen und ehren ihn, denn auch für sie hatte er ein offenes Ohr.
Der andere Mann wird nur „Der alte Schmidt“ genannt. Um ihn machen sonntags die Leute einen Bogen; er hat immer etwas zu meckern und lässt an keinem Menschen etwas Gutes stehen.
Ich weiß natürlich, dass Gene eine Rolle spielen und schwierige Erlebnisse unterschiedlich verarbeitet werden. Aber dieses Beispiel kann uns dennoch zum Nachdenken bringen. Denn es geht auch immer um die Frage: Wie verändert der Glaube unser Leben?
Im Brief an die Kolosser steht der Satz: „Alles was ihr tut, mit Worten und mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.“
Das ist die Herausforderung: Unser geistliches Leben betrifft nicht nur einzelne Handlungen oder Aussagen, sondern wirklich unser gesamtes Leben – jede Minute, jedes Detail davon. Eben „alles“. Gott lädt uns dazu ein, jeden Moment jedes Tages als Chance zu sehen, mit ihm unterwegs zu sein und von ihm zu lernen.
Ob ich putze, mit den Hunden unterwegs bin oder ein Gespräch führe – kein Bereich ist vor Gott heiliger als der andere. In jedem dieser Bereiche entscheidet es sich, ob ich Christus ein klein wenig ähnlicher werde oder eben nicht. „Was würde Jesus jetzt tun?“ Diese Frage hilft mir übrigens besonders dabei, Jesu Wesen in meinen Lebenszusammenhängen zu erfahren.
Manuela Bünger, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinden Dorlar und Atzbach
Der neue Konfirmandenjahrgang hat begonnen, endlich können sich die Jungen und Mädchen wieder vor Ort in ihren Gruppen treffen.
Eine große Gruppe ist es in diesem Jahr geworden, die sich in mehrere Kleingruppen aufteilt. Ja, noch verzichten wir nicht ganz auf die Masken, aber es ist allemal besser, sich mit Masken zu treffen, als ohne Masken nur von Bildschirm zu Bildschirm zu kommunizieren. Man kann einfach mehr machen, man kann anders miteinander reden. Man kann Fragen stellen und sofort erkennen, wenn eine Konfirmandin in der Bibel statt des Markusevangeliums irgendeine Seite im Alten Testament aufschlägt. Man sieht nicht nur Gesichter, sondern erlebt Menschen. Auch wenn wir immer noch einen gewissen Abstand halten, ist doch wieder eine Nähe möglich, die uns lange gefehlt hat.
Im Bibelwort aus den Herrnhuter Losungen für den 3. Juli danken Menschen Gott, dass er nahe ist. In Psalm 75, Vers 2 heißt es: Wir danken dir, Gott, wir danken dir und verkündigen deine Wunder, dass dein Name so nahe ist. Und dann folgt ein Vers aus der Apostelgeschichte, Kapitel 17, Vers 27: Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns.
Gott ist nahe. Das können wir jetzt wieder mit den Konfirmandengruppen entdecken. Gemeinsam. Viel selbstverständlicher als im vergangenen Jahr. Wir singen draußen wieder, noch klingt es etwas verhalten. Wir beten und vertrauen darauf, dass Gott mitten unter uns anwesend ist. Als die, die den Unterricht verantworten, erleben wir, wie die Jungen und Mädchen interagieren, wer sich neben wen setzt und wer mit wem zu schwatzen beginnt.
Ich bin dankbar, dass sich ein wenig Normalität eingestellt hat. Ich bin auch dankbar, dass wir lange Zeit vorsichtig waren und es noch bleiben. Und ich bin dankbar, dass ich zu jeder Zeit wissen konnte, was die Psalmbeter und der Apostel Paulus in gute Worte gefasst haben. Gott ist nahe, er ist auf jeden Fall nicht ferne von einem jeden unter uns. Egal, wie die Zeiten gerade sind. Manchmal merkt man es. Manchmal nähert man sich nur an und versucht, es zu begreifen. Ich wünsche allen, Konfis und anderen, dass sie etwas davon für sich entdecken.
Pfarrerin Alexandra Hans, Evangelische Kirchengemeinde Wettenberg, Ortsteil Wißmar
Das Evangelium des heutigen Sonntags nimmt in den Fokus eine Erzählung aus dem fünften Kapitel nach Markus. In den Versen 22 und 23 heißt es dort: „Jaírus kam zu Jesus, fiel ihm zu Füßen und flehte ihn um Hilfe an; er sagte: Meine Tochter liegt im Sterben. Komm und leg ihr die Hände auf, damit sie geheilt wird und am Leben bleibt.“
Heute ruft man in solchen Fällen nach einem Priester. Die Frage ist: Zur Krankensalbung oder zu der letzten Ölung? Heilung fürs Diesseits oder Verabschiedung ins Jenseits?
Im Volksmund gilt die Krankensalbung oft als „Letzte Ölung”, weil sie meistens Sterbenden gespendet wird. Betrachtet man die Geschichte dieses Sakraments, dann zeigt sich ein vielschichtiges Bild. Während die biblischen Bezugsstellen eindeutig davon sprechen, dass Kranke gesalbt und geheilt wurden, hat sich der Fokus bei der Spendung der Krankensalbung mehr und mehr auf den Augenblick der Todesgefahr hin gewandelt.
Das Konzil von Florenz (1439) hielt fest, dass “die Letzte Ölung (…) nur einem Kranken gespendet werden (darf), dessen Tod befürchtet wird”. Vielfach wird die Krankensalbung immer noch als letzte Ölung betrachtet.
Ein Sakrament der Sterbenden also? Keineswegs, denn bei dieser biblischen Praxis geht es um Beistand der glaubenden Gemeinde bei den Kranken und um deren Heilung!
In der Zeit meines Dienstes in den Basisgemeinden in Brasilien habe ich oft erfahren, wie wohltuend und heilend die Präsenz der Gemeinde auf arme, kranke Menschen wirkte.
„Dein Glaube hat dir geholfen“ – heißt der Grundsatz bei den biblischen Heilungen. Ich träume von einer Kirche, in der ein Heil bringender Glaube zum Maßstab der Haltung und des kirchlichen Handelns wird. Ich träume von einer Kirche, die damit die Menschen bezaubert, in dem sie in der Lage ist, ritualisierte Handlungen dienend und betend zu „entzaubern“.
Ihr Janusz Sojka, katholischer Diakon i.R.
Verkrüppelt
Es gibt Gesetze und Verordnungen, die absurd sind und sogar im Widerspruch stehen zur Menschlichkeit.
Jesus macht in einer Geschichte darauf aufmerksam: Er heilt in der Synagoge einen Mann, der eine verkrüppelte Hand hat. Dagegen kann niemand etwas haben, oder? Es gibt eine Gruppe besonders Frommer, die der Meinung sind, dass Jesus das nicht darf. Der Grund ist einfach: Es ist Sabbat und am Sabbat darf man keine Kranken heilen. Am Sabbat darf man nichts tun, außer sich auszuruhen, weil das so in den Heiligen Schriften steht.
Jesus stellt ihnen die Frage: „Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses?“ (Markus 3,4)
Die Antwort ist sonnenklar und jeder würde sie geben ohne zu zögern: Natürlich soll man Gutes tun. Man kann den Mann unmöglich noch einen einzigen Tag länger leiden lassen, nur um eine fragwürdige Regel einzuhalten.
Es ist allerdings einfacher in der Theorie zuzustimmen, als in der Praxis so zu handeln. Jeder weiß, dass man mit Einschüchterung und Bedrängnis, mit Isolation und sogar Rufmord zu rechnen hat, wenn man sich gegen das Gesetz und auf die Seite der Menschlichkeit stellt. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Frommen nach dieser Heilungsszene den Tod von Jesus beschließen.
Nehmen wir eine provokative Aussage des Ökonomen und Soziologen Pierre-Joseph Proudhon: „Eigentum ist Diebstahl an der Allgemeinheit.“ Wenn in der Politik Regulierungen des Eigentums gefordert werden, stehen sofort die „Frommen“ von heute auf dem Plan, die im Sinne ihrer Religion des Neoliberalismus von kommunistischer Diktatur und Überregulierung faseln. Jesus würde ihnen vielleicht die Frage stellen: „Was ist wichtiger: Privateigentum oder Mitmenschlichkeit?“
Natürlich ist dieses Beispiel radikal und überspitzt. Ich habe es bewusst gewählt, um Sie zu irritieren: Wir dürfen unsere Engherzigkeit nicht über die Wahrheit Gottes stellen.
Und die Wahrheit ist, dass Gott warmherzig und gütig ist. Er würde jederzeit die Mitmenschlichkeit wählen.
Tilo Linthe, Pastor der Baptistengemeinde Wetzlar
Das klingt doch nach einer attraktiven Einladung: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken,“ sagt Jesus im Spruch zur kommenden Woche. (Matthäusevangelium 11, 28) Das klingt wie: Sich nach langer Wüstenwanderung mit gekühlten Getränken in die entspannte Stimmung im Schatten einer Oase fallen lassen. Und einen Moment lang nicht darüber grübeln müssen, dass es irgendwann wieder losgeht.
Ich selber bin jetzt gerade nicht in einer Wüste unterwegs und habe auch nichts Schweres von A nach B zu schleppen. Also was erwartet mich dann da? Oder umgekehrt gefragt: was erwarte ich eigentlich davon für mich? Mit den konkreten Erwartungen ist das so eine Sache. Zum ersten Teil des Verses, „mühselig und beladen sein“, bekommen die meisten von uns wohl ohne weiteres eine ganze Liste zusammen. Aber was erwarte ich denn von Gottes Zusage, „erquickt“, also als ganzer Mensch mit Körper, Geist und Seele gestärkt und ein Stück lebendiger zu werden?
Einen spürbaren Motivationsschub, das Gefühl von Freiheit, ein diffuses Wellnessprogramm, einfach mal ausschlafen, eine neue Perspektive in meinem Sinnhorizont, mein inneres Gleichgewicht (wieder)finden, einen geistlichen Impuls, in meinem Körper zu Hause sein, inneren und äußeren Ballast loswerden, das überwältigende Glücksgefühl, Gemeinschaft mit anderen, sich lebendig fühlen in der Natur als Teil von Gottes Schöpfung? Oder etwas ganz anderes?
Jesus macht uns hier kein Angebot für ein Entspannungs- oder Meditationsprogramm, sondern er spricht die Einladung aus, sich ihm anzuvertrauen und von ihm etwas zu erwarten. Und dazu gehört auch, dass ich mir die Zeit nehmen darf, darüber nachzudenken, was das für mich ganz persönlich bedeutet. Zeit, um dem nachzuspüren, was mir gut tut. Mich dankbar an das zu erinnern, was es mir in belastenden Situationen leichter gemacht hat. In aller Seelenruhe, denn diese Einladung enthält noch die Zusage: „so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.“ Jesus will uns (vielleicht endlich wieder?) in Kontakt mit Gott, mit ihm und uns selber bringen. Und deshalb lädt er uns ein: „Kommt her zu mir, die ihr müde seid von übermäßiger Last. Aufatmen sollt ihr und frei sein.“
Pfarrer Michael Lübeck, Schulreferent des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill
Es gibt eine Formel für Glück. Entwickelt hat sie Georg Fraberger, Psychologe am Universitätskrankenhaus in Wien.
Glück oder die Zufriedenheit der Seele stellt sich ein, wenn wir drei Dinge miteinander multiplizieren. Bevor ich die drei Dinge nenne, muss ich vorausschicken, dass eine Multiplikation bedeutet: das Glück steht und fällt nach dieser Formel mit dem schwächsten Glied. Wenn zwei Dinge gut oder sogar sehr gut entwickelt sind und das dritte aber bei Null steht, kommt als Ergebnis immer Null heraus.
Die Formel geht so: “Empathie x Selbstwert x Mut zum Scheitern”.
“Empathie” ist das Einfühlungsvermögen, das Mitgefühl. Lernen kann ich es, wenn ich bemerke, wie Jesus sich das Schicksal der Menschen zu Herzen gehen lässt. Sie sind arm oder reich, gesund oder krank, verzweifelt oder mutig, bekannt oder fremd. Jesus lässt sich ihr Schicksal zu Herzen gehen und macht daraus ein Gebet oder eine helfende Tat.
Den “Selbstwert” spüre ich nur, wenn mein Selbstwertgefühl gerade besonders hoch oder besonders niedrig ist. Es ist mit dem Selbstwert so, wie mit der Körpertemperatur. Die merke ich, wenn ich friere, oder Fieber habe, sonst nicht, obwohl sie immer da ist. Wie aber kann ich mich meines Selbstwertes vergewissern? Die Wissenschaft kann mir nicht helfen, denn sie folgt der Logik und nicht den Werten.
Gott ist der einzige, der den Menschen einen Wert gibt. Z.B. mit dem Satz: “Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!” (Jesaja 43,1).
Lange Zeit sind wir nur der Wissenschaft gefolgt und haben die Religion von einer Erlösungslehre in eine Handlungslehre verwandelt. Heute kennen wir den Wert der Wissenschaft und können es uns leisten, wieder auf die erlösenden Worte Gottes zu hören, die uns allein einen Wert geben können, der von unserem Gefühl unabhängig ist.
Der “Mut zum Scheitern” bringt das Abenteuer ins Leben. Und auch da ermuntert mich die Zusage Gottes, dass ich mich nach dem Scheitern wieder aufraffe. Z.B. wenn er sagt: “Sei getrost und unverzagt […] denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.” (Josua 1,9) Vielleicht suchen Sie sich Worte Gottes, die den Faktor, der in ihrer Formel zu klein ist, stärken können. Probieren Sie es aus!
Pfarrer Christian Silbernagel, Evangelische Kirchengemeinde Wetzlar
Raus ins Grüne
Diese Zeit ist für mich eine spannende Zeit. Warum? Weil in diesen Wochen das Grün für mich an Bedeutung gewinnt.
Wenn ich Besuche bei Patient*innen im Klinikum mache, benutze ich in der Regel auf dem Weg dorthin das Haupttreppenhaus. Von dort aus geht dann mein Blick häufig in Richtung des Waldes am Stoppelberg.
Ich freue mich darüber, wie die Bäume ausschlagen. Erst ganz zart, dann in voller Pracht.
Die Natur zeigt ihr Grün in vielen Schattierungen. Dieses Grün hat für mich etwas Ansteckendes. Ich nehme wahr: Neues Leben wächst und kann reifen. Ich bin Teil dieser Schöpfung und darf das genießen. Einfach so.
Das hat etwas Tröstliches und schenkt mir Hoffnung. Auch wenn ich um die Folgen des Klimawandels weiß.
Ich erfahre mich als aufgehoben und werde an den Schöpfer erinnert.
Diese grüne Vielfalt passt auch zur Kirchenjahreszeit. Seit dem Mittelalter steht Grün als Kirchenjahresfarbe für die Sonntage nach Trinitatis in den Monaten nach Pfingsten.
In den Wochen davor ging es um die Leiden Jesu Christi, seine Auferweckung und die Erfahrung des Heiligen Geistes.
Für die Kirchenjahreszeit schließt sich damit erst einmal ein Kreis. Neues tut sich auf.
So wie das Grün reift, kann jetzt in der Zeit nach dem Sonntag Trinitatis, dem Dreieinigkeitsfest, reifen, was gesät ist: Vater, Sohn und Heiliger Geist.
Hier geht es um das Ganze. Um den dreieinigen Gott, der als Vater, Sohn und Heiliger Geist wirksam ist.
Das kann sich, wie die Farbe Grün, in vielen Schattierungen zeigen. Der eine Gott begegnet uns Menschen auf vielfältige Weise. Dafür ist ein Sonntag zu wenig. Es braucht Zeit sich im Alltag darauf einzulassen. Denn das Besondere liegt im Alltäglichen und in der Vielfalt.
Lassen wir uns darauf ein, die heilsame Wirkung des Grüns zu erleben. Bei einem Spaziergang oder einer Wanderung im Grünen oder auch bei einem Gottesdienstbesuch. Immer mehr Gemeinden feiern in dieser Zeit Gottesdienste auch im Grünen.
Vielleicht wird dann etwas wahr von dem, was der Beter des 23. Psalms von seinem „Hirten“ Gott so bekennt: „Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“
Pfarrer Hans-Dieter Dörr, Krankenhausseelsorger am Klinikum Wetzlar
Die Coronapandemie und die damit verbundenen Auswirkungen auf alle Bereiche meines Lebens haben meine Wege eng und meinen Radius klein werden lassen. Meine Seele führt oft ein Eigenleben und leitet mich wie von selbst in die Zurückgezogenheit. Schwere Erkrankungen von geliebten Menschen betrüben mich zu dem noch sehr. Was ist es, was mir Halt und Zuversicht gibt?
Ich bete!
So inbrünstig, so flehend und regelmäßig oft, wie beinahe noch nie zuvor in meinem Leben.
Alle Dunkelheit, alle Angst, alle Sorge, alles Leid, aber auch Dankbarkeit und Glücksmomente fasse ich im Schein einer Kerze ins Wort, verbinde mich sozusagen wie mit einem unsichtbaren Goldfaden mit Gott und den Menschen, an die ich denke und die ich in mein Gebet einschließe. Und dabei ist eine unfassbare Verbundenheit. Da ist Hoffnung, Trost und Kraft zu spüren.
Ähnlich könnte es den Freundinnen und Freunden Jesu gegangen sein, als sie die 50 Tage nach Ostern das Unfassbare fassbar zu machen versuchten.
In der Zurückgezogenheit waren sie mit der Existenzfrage konfrontiert, wie es weitergehen soll. Sie hatten sich lange auch nicht ganz freiwillig verkrochen in ihre Häuser, in ihre Geschichten, in ihre Gedanken und trauerten vergangenen aktiven Zeiten nach.
Sie hockten für sich allein oder auch mal zusammen, aber zurückgezogen, wochenlang. Ich stelle mir vor, wie ihre Gedanken immer wieder um das Gleiche kreisten und ein Ausweg schien nicht in greifbarer Nähe zu sein, geschweige denn ein Neuanfang.
Doch in Apostelgeschichte 1,14 heißt es: „Sie verharrten einmütig im Gebet“, bis sie am Pfingsttag eine Kraft erreicht hat, von der sie nie geahnt hätten, dass es so etwas gibt.
Da saßen sie eben noch abgeschottet und perspektivlos zusammen, und plötzlich weitet sich ihr Blick. Etwas in ihrem Inneren kommt in Bewegung und bewegt ihr Gemüt: Es ist dieser tiefe Glaube: Gott ist bei uns. Die Sache Jesu geht weiter. Sie spüren seinen Geist, seine Botschaft, seine Liebe und die Kraft ihrer Gemeinschaft.
Das nimmt die bleierne Schwere, zwingt sie aber auch genau hinzusehen, auf welchem Grund sie ihr Leben gebaut haben und was sie wirklich trägt.
Es ist ihre solidarisch