Buchlesung als Auftakt zur Ökumenischen Friedensdekade:

Um die Frage nach der Legitimität von Atomwaffen und den entsprechenden radikalen christlichen Widerstand ging es bei der Auftaktveranstaltung zur diesjährigen Ökumenischen Friedensdekade, die unter dem Motto „Reichweite Frieden“ steht. Die Erfahrungen aus zwei Protestaktionen gegen Atomwaffen und ihre Folgen standen dabei im Mittelpunkt der Buchlesung „Brot und Gesetze brechen. Christlicher Antimilitarismus auf der Anklagebank“ in der Christuskirche Niedergirmes.

Anschaulich stellten die Wiener Herausgeber und Autoren Cristina Yurena Zerr und Jakob Frühmann zunächst die Geschichte der „Pflugscharbewegung“ vor, deren Name sich aus dem biblischen Wort „Schwerter zu Pflugscharen“ (Jesaja 2,4) herleitet. Entstanden ist die Bewegung aus einem Kreis friedenspolitisch engagierter katholischer Christen, insbesondere der Priester und Brüder Philip und Daniel Berrigan. Sie waren Ende der 60er Jahren im US-Bundesstaat Maryland in Büros eingedrungen, hatten dort hunderte Einberufungsakten zum Vietnamkrieg entwendet und sie öffentlich verbrannt, wie Zerr anhand eines Filmausschnittes berichtete. Aus dem Buch las sie die Rede der Tochter von Philip Berrigan, die diese für ihre ebenfalls verurteilte Mutter Elizabeth McAlister im letzten Jahr vor Gericht hielt. „Ich bin hier als Tochter, die nicht will, dass ihre 80jährige Mutter wieder ins Gefängnis zurückgeschickt wird und als Mensch, der sich fragt, wie sich jemals etwas ändern soll, wenn Menschen wie meine Mutter nicht bereit sind, dieses Risiko einzugehen“, so Frida Berrigan. Die Aktion der Brüder Berrigan habe in den USA hunderte Folgeaktionen nach sich gezogen, so Zerr, die freischaffende Filmemacherin ist und zum Thema Gewaltfreiheit und Antimilitarismus publiziert. Nach dem Ende des Vietnamkrieges richtete sich der Fokus der Pflugscharbewegung auf Nuklearwaffen und es gab auch außerhalb der USA Aktionen, auch im deutschsprachigen Raum.

„Die quantitative und qualitative Aufrüstung ist besorgniserregend“, erklärte Jakob Frühmann. Weltweit gebe es 13.000 nukleare Sprengköpfe. Die globalen Rüstungsausgaben hätten 2019 1917 Milliarden Euro betragen, sagte der Gymnasiallehrer, der auch Theologie studiert hat und sich bei Sea-Watch engagiert. Ziel des Buches sei es, „von jenen Menschen zu erzählen, die daran arbeiten und darum kämpfen, dass Staaten abrüsten, (Nuklear-) Waffen der Vergangenheit angehören und Kriege gebannt werden – mittels radikalen zivilen Ungehorsam“.

Als Beispiel führte er den Einbruch von sieben christlichen Aktivisten im Jahr 2018 auf einer U-Boot-Basis mit nuklearen Sprengköpfen in Georgia an.  Die Folge waren Prozesse und mehrjäh­rige Haftstrafen für die Betroffenen.

Zerr berichtete von 20 US-Atombomben nahe Büchel in der Eifel, die durch treffsichere Waffen ersetzt werden sollten. Bei einer Protestaktion am 15. Juli 2018 schnitten 18 Aktivisten Löcher in den Zaun des militärischen Sicherheitsbereiches und drangen auf das Gelände ein. Ziel sei gewesen, die Bevölkerung auf die Gefährlichkeit der Atomwaffen aufmerksam zu machen, sagte Cristina Zerr, die das Geschehen gefilmt hatte.

Auch das Ehepaar Sigrid Eckert-Hoßbach und Jürgen Hoßbach aus Beilstein, das dort gemeinsam mit Jugendlichen der Einrichtung „Albert Schweitzer-Kinderdorf“ zusammenlebt, hatte sich an dieser Aktion beteiligt. Beide engagieren sich seit 1988 im Widerstand gegen Nuklear-Bewaffnung, zuerst in Bellersdorf, wo sich ein sogenanntes Sondermunitionslager befand. Sie lasen aus ihren Verteidigungsreden im Gerichtsprozess am 22. Januar 2020 vor. „Ich schneide doch auch kein Loch in Ihren Gartenzaun“, habe der Richter argumentiert, erzählte Sigrid Eckert-Hoßbach. „Das fanden wir absurd. Schließlich haben wir in unserem Garten keine Atombomben.“ Jede einzelne der 20 US-Atombomben im Fliegerhorst Büchel sei um ein Vielfaches verheerender als die beiden Atombomben, die 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, heißt es in ihrer Rede vor dem Amtsgericht Cochem. „Wir haben es satt zu warten und mit der Angst zu leben, dass die angehäuften Massenvernichtungswaffen unsere Zukunft und die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel setzen“, zitierte Jürgen Hoßbach aus seiner Vereidigungsrede. “Heute ist wieder eine Gelegenheit, mit dem Warten aufzuhören. Einen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Hin zu einer atomwaffenfreien Welt.“

Die Begrüßung der Anwesenden hatte Ernst von der Recke übernommen. Der Vorsitzende des Arbeitskreises Frieden im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill erklärte, dass es beim Ausdruck „Brot brechen“ im Titel des Buches um die christliche Fähigkeit zur Vergebung und um einen neuen Bund gehe .

 

Das Buch „Brot und Gesetze brechen. Christlicher Antimilitarismus auf der Anklagebank“, herausgegeben von Jakob Frühmann und Cristina Yurena Zerr, ist im April 2021 im Mandelbaum Verlag erschienen (ISBN: 978385476-902-6), hat 284 Seiten und kostet 17 Euro.

Weitere Veranstaltungen zur Friedensdekade sind auf der Homepage des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill zu finden: https://evangelisch-an-lahn-und-dill.de/reichweite-frieden/

bkl

Bild 1: Die Akteure der Veranstaltung „Brot und Gesetze brechen“ vor der Christuskirche in Niedergirmes (v.l.): Ernst von der Recke, Sigrid Eckert-Hoßbach, Jürgen Hoßbach, Cristina Yurena Zerr und Jakob Frühmann

Bild 2: Mitherausgeberin Cristina Yurena Zerr las in der evangelischen Christuskirche Niedergirmes aus dem Buch „Brot und Gesetze brechen – Christlicher Antimilitarismus auf der Anklagebank“.

Bild 3: Über die Zielsetzung des Buches „Brot und Gesetze brechen“ sprach Mitherausgeber Jakob Frühmann.

Bild 4: Sigrid Eckert-Hoßbach las aus ihrer Verteidigungsrede vor dem Amtsgericht Cochem.

Bild 5: Jürgen Hoßbach berichtete über seine Erfahrungen bei der Protestaktion in Büchel.

Bild 6: In der Christuskirche Niedergirmes lasen (v.r.) Jürgen Hoßbach, Cristina Yurena Zerr, Jakob Frühmann und Sigrid Eckert-Hoßbach eigene Beiträge aus dem Buch „Brot und Gesetze brechen“. Ernst von der Recke (l.) begrüßte die Anwesenden.