Vokalensemble „Harmonie“ tritt für Flüchtlingshilfe im Dom auf:

Die Flüchtlingshilfe Mittelhessen hat ein Konzert mit dem russischen Vokalensemble „Harmonie“ aus St. Petersburg im Dom veranstaltet. Die professionellen Sänger stellten die Einnahmen des Abends einem Projekt der Flüchtlingshilfe zur Verfügung, die damit Kindern in der Ukraine zu einem Ferienaufenthalt verhilft. Die Leiterin der Flüchtlingshilfe, Bettina Twrsnick, erläutert, dass Künstler und Psychotherapeuten die Kinder ins Projekt „Zuflucht zur Kinderfreude“ einladen. 50 bis 60 Mädchen und Jungen könnten zwei Wochen abseits der Krieges miteinander leben und über ihre Fragen sprechen.

Dass russische Künstler für die Ukraine singen, ist eher ungewöhnlich. Dirigent Alexander Andrianov, der das Ensemble seit 1995 leitet, winkt ab. „Kinder freuen sich doch überall über Hilfe“. Dennoch ist das Engagement alles andere als normal. Wir erinnern uns an die Schlagzeilen, die der Auftritt der russischen Sängerin Anna Netrebko erzeugte. Einige Veranstalter wollten sie nicht mehr auf der Bühne sehen. In anderen Städten gab es Proteste auf der Straße. Ursache ist der im Februar 2022 begonnene Krieg Russlands gegen die Ukraine. Seitdem sind Künstler, Sportler und andere Personen aus Russland im Westen nicht sehr beliebt. Dies erlebt auch das Vokalensemble Harmonie. Im vergangenen Jahr haben etliche Veranstalter die Zusage für einen Auftritt abgesagt. Auch in diesem Jahr ist das Ensemble mit weniger Auftritten unterwegs. Dabei haben die Sänger, alle Absolventen oder Dozenten des St. Petersburger Konservatoriums, ihr Programm wegen des Krieges umgestellt. Sie singen nicht nur russisch-orthodoxe Lieder und russische Volksweisen. Zu ihrem Repertoire gehören heute ebenso Lieder aus der Ukraine.

 

Im Wetzlarer Dom sind sie nicht das erste Mal gewesen. Andrianov erinnert sich an einen Auftritt vor zehn Jahren. Auch in der Region Mittelhessen haben sie bereits in vielen Kirchen Auftritte gehabt. Zwei Mal im Jahr gehen die Sänger in Deutschland, der Schweiz und in den Niederlanden auf Tournee. Sie leben zum Teil in Deutschland und zum Teil in Russland. Nachteile in ihrer Heimat durch ihre Auftritte für die Ukraine haben sie nach Auskunft von Andrianov nicht.
„Das Konzert ist ein gutes Zeichen für Frieden“, erklärt zu Beginn die Leiterin der Flüchtlingshilfe, Bettina Twrsnick.
Im ersten Teil des Konzertes erklangen geistliche Lieder der russisch-orthodoxen Kirche. Dabei füllten die vier Sänger mit ihren mächtigen Stimmen den Kirchenraum des Domes. Das Publikum war fasziniert von der Klangschönheit und dem überwältigenden Klangspektrum vom hohen Tenor bis zum tiefen Bass. Die Bassstimme gehört Andrianov. Der hohe Tenor heißt Wladimir Matygulin, zweiter Tenor ist Viktor Smirnow. Der Vierte im Ensemble heißt Alexej Busakin und singt Bariton.
Die Sänger überzeugten nicht nur im Gesamtklang sondern auch in den Einzelstimmen. Ihr Name „Harmonie“ war Programm. Im ersten Teil der geistlichen Werke begannen sie mit einem weihnachtlichen Stück, dem Gesang der Engel „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“. Es folgte ein Werk aus dem 14. Jahrhundert („Wahrhaftig ist es Gott zu loben“). Während Viktor Smirnov den Text sang, hielten die anderen drei Musiker den Ton mit ihrer Stimme. In dem ersten Teil sangen sie ein Werk des bekannten Komponisten Dmitri Bortnjanski, der in der Ukraine geboren wurde, in Italien und Deutschland arbeitete und schließlich 1796 von Zar Paul I. zum Direktor der Hofsängerkapelle ernannt wurde: „Segne mir, oh Herr, mein Ende.“
Die Interpretation der Stücke von melancholisch bis heiter, von fröhlich-beschwingt bis zu nachdenklich ließ besonders die Erinnerung an die russische Heimat wach werden. Der Chor bot alles, was man mit der „russischen Seele“ verbindet – Inbrunst, Herz, Schmerz und Stimmkraft.
Doch das Ensemble beherrschte auch die leisen Töne. Etwa beim musikalischen Gebet „Vater unser“ in orthodoxer Weise.
Lustig ging es dann im zweiten Teil mit vielen Volksliedern zu. „Im dunklen Walde“ erzählte von einem Bauern, der seine Saat ausstreute und ein Sperling die Samenkörner wieder aufpickte. „Der Schwarzmeer-Schiffer“ war ein typisches ukrainisches Volkslied. Ebenfalls aus der Ukraine stammt das Lied „Die Glocken“, bei dem die Sänger diese Musikinstrumente nachahmten mit „Bomm, Bomm“. Auch „Die Eiche“ war ein Lied aus der Ukraine. Bei den ukrainischen Liedern brandete der Applaus besonders auf, waren doch einige ukrainische Geflüchtete im Publikum.
Bei der Zugabe überraschten die Sänger das Publikum, stimmten sie doch das Lied „Guten Abend, gute Nacht“ in deutscher Sprache an.
Zum Abschluss sangen sie noch einen orthodoxen Wunsch vor: „Auf viele Jahre“.
lr