Unsere Partnerschaften in aller Welt sind Jahresthema 2022 im Kirchenkreis an Lahn und Dill. Vertreterinnen und Vertreter der entsprechenden kreiskirchlichen Ausschüsse schreiben kleine eindrückliche Geschichten über ihre Erfahrungen.

Aus der Partnerschaft mit der Orthodoxen Diözese von Tambow/ Russland berichtet die stellvertretende Vorsitzende des Osteuropa-Ausschusses, Ursula Küppers:

Nina ist eine richtige Aussteigerin. Ihren guten Job als Chemie Dozentin an der Tambower Universität gab sie auf, weil ihr Mann Nikolaij, Apotheker, Ende der 80er Jahre Priester werden wollte.

Nach dem Tod seines Vaters, der diesen Beruf auch ausgeübt hatte zur Zeit von Stalin, Chruschtschow und Breschnew. Als Ende der achtziger Jahre die Archive für eine kurze Zeit geöffnet wurden und die Menschen Einsicht in die Familienakten haben konnten, war für Nikolaij Toropzew klar: die Arbeit meines Vaters muss ich  fortsetzen.

Und Nina Toropzewa nahm ihre neue Rolle mit Freude und großer Leidenschaft an. Vater Nikolaij und Mutter Nina hießen sie ab dann.

Ein verfallenes Kirchengebäude im Bereich des ehemaligen Himmelfahrtklosters sollten sie wieder aufbauen zusammen mit einer Gemeinde, die es zu der Zeit noch gar nicht gab. Äußerer und innerer Gemeindeaufbau, so nannte man das einmal bei uns. In Trümmern und Ruinen wurde täglich die Liturgie gefeiert.

Der Gemeindeaufbau gelang ihnen in wenigen Jahren. Alles begann mit einer Demonstration: die Stadt wollte um die ehemalige Klostermauer Hochhäuser bauen. Der Blick auf eine Kirche passte nicht ins Konzept. Sie hatte nicht mit der Frauenpower aus der sich in kurzer Zeit gebildeten Gemeinde gerechnet.

Eine lange Frauenkette um die Klostermauer behinderte die Bagger tagelang an ihrer Arbeit. Mutter Nina schrieb mehrere Eingaben an Gorbatschow. Ihr Protest half nichts, um so entschlossener trieb die wachsende Gemeinde an der Seite der Bauarbeiter den Wiederaufbau der Kirche voran.

Nach wenigen Jahren war aus der Ruine, in der sich die „Räuber und Mörder“ der Stadt getroffen hatten, eine blühende Gemeinde geworden. Mutter Nina leitete eine Sonntagschule, in der Sonntags nach der dreistündigen Liturgie mehr als 150 Kinder lernten: biblische Geschichte, Ikonenmalen, Liturgische Gesänge, Kirchengeschichte, Theaterspielen. Und ihre Eltern lernten gleich mit, denn die Katechese für Alt und Jung war Jahrzehnte verboten gewesen.

Matuschka Nina war der Motor für die vielen Partnerschaftsbegegnungen. An ihrem ovalen Küchentisch wurden am Abend Pläne für weitere Begegnungen geschmiedet und vor dem Frühstück vor der Ikone der Gottesmutter das Tagesgebet gesprochen, in gegenseitiger Achtung und Aufmerksamkeit. “Mein Haus ist auch dein Haus!” Das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Bei einer Pilgerfahrt auf der Krim im Herbst 2007 kam sie gemeinsam mit ihrem Mann, Vater Nikolaij, auf der Fahrt zum Flughafen bei einem Autounfall ums Leben. Die Unfallursache ist bis heute ungeklärt.

8. März 2022

Foto: Ursula Küppers

Nina Toropzewa und Nikoaij Toropzew bemühten sich nicht nur um den Kirchen- und Gemeindeaufbau, sondern auch um die Partnerschaftsbegegnung.