Gottesdienst der WALI und evangelischen Kirche am Buß- und Bettag:

Umdenken und Neuorientierung stehen in der evangelischen Kirche am Buß- und Bettag im Mittelpunkt. Am ersten Mittwoch nach dem Volkstrauertag  werden Versagen und Schuld sowie Fehlentscheidungen und Versäumnisse vor Gott zur Sprache gebracht. Auch gesellschaftliche Missstände wie Fremdenfeindlichkeit und die Ausgrenzung von Armen und Arbeitslosen gehören dazu. Seit 1995 ist der Tag in allen Bundesländern außer Sachsen als gesetzlicher Feiertag für die Finanzierung der Pflegeversicherung gestrichen. Dennoch erinnerten Protestanten in den rund 50 Kirchengemeinden in der Region an Lahn und Dill auch in diesem Jahr wieder an die Bedeutung dieses Gedenktages am Ende des Kirchenjahres.

Ein Vers aus der biblischen Geschichte von der kanaanäischen Frau, die sich nicht wegschicken lässt und Jesus schließlich erfolgreich um die Heilung ihrer Tochter bittet, bildete die Grundlage für die Predigt von Superintendent Dr. Hartmut Sitzler. „Schick sie weg, sie nervt!“, aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 15, Vers 23, stand als Motto über dem Gottesdienst, in dem es um das Ablehnen und Annehmen ging. Mit dem christlichen Glauben sei es zu einer Revolution in der Welt gekommen, erklärte der Theologe. Von da an sei der Glaube nicht mehr an ein bestimmtes Volk gebunden gewesen. Auch Hautfarbe oder Geschlecht spielten keine Rolle mehr, sondern allein, ob ein Mensch glaube oder nicht. Gott öffne nicht jede Tür, sagte der Theologe. Doch er lehne damit nicht den jeweiligen Menschen ab, sondern eine bestimmte Art des Glaubens: den religiösen Egoismus. Nicht auf Erwerb und Besitz komme es an, sondern auf Gnade und Dankbarkeit. „Wenn das, was den Menschen innerlich frei und gesund macht, das Leben aus der Gnade ist, ist eine Gesellschaft, der es nur um Besitz geht, eine kranke Gesellschaft“, so Sitzler. „Werdet frei und lebt aus der Gnade!“ forderte er entsprechend die Gottesdienstbesucher auf.

Wie man Ausgrenzung in Wetzlar konkret entgegenwirken kann, stellte Andrea Volk (SPD), Ortsvorsteherin in Naunheim, in ihrer Ansprache dar. Als Beispiele nannte sie die Einrichtung der WetzlarCard mit Vergünstigungen für die Inhaber, die Arbeit des Behindertenbeirates, die Tafelarbeit, die Flüchtlingscafés, inklusive Sportangebote, die Bistros der Lebenshilfe und der Diakonie, das Engagement der Caritas für Wohnsitzlose und die Arbeit der Arbeitsloseninitiative im Lahn-Dill-Kreis WALI. „Soziale Ausgrenzung hat viele Gesichter und trifft viele unterschiedliche Menschen“, hatte Volk zuvor ausgeführt. Der Wunsch nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe sei Teil der menschlichen Identität. Andere würden abgewertet um das eigene Selbstwertgefühl zu erhöhen. „Meine berufliche Tätigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe hat mir gezeigt, wie schwer es Kinder aus armen Familien haben, die auf Schwimmbadbesuche, Kino und Kindergeburtstage verzichten müssen und sich dadurch ausgegrenzt fühlen“, machte sie die Problematik an einem Beispiel deutlich.

Die Niedergirmeser Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht  und Pfarrer Ulrich Müller, Vorsitzender des kreiskirchlichen Ausschusses für Öffentliche Verantwortung sowie Gunther Schneider, Stefan Lerach, Susanne Sievers und Stefan Wagner hatten die liturgische Gestaltung des Gottesdienstes übernommen, während die Band der Kirchengemeinde Niedergirmes sowie Karin Bremer an der Orgel musikalische Akzente setzten.

Traditionell sprechen jeweils der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill und eine prominente Person aus dem Bereich „Politik und Gesellschaft“ beim zentralen Buß- und Bettagsgottesdienst in Wetzlar. Bereits seit einigen Jahren findet er, organisiert von der Arbeitsloseninitiative „WALI“ gemeinsam mit der evangelischen Kirche, in der Christuskirche Niedergirmes statt. In den Blick genommen wird jeweils ein sozialpolitisches Thema.

Auch mehrere Kirchengemeinden feierten am Buß- und Bettag besondere Gottesdienste. So gingen katholische und evangelische Christinnen und Christen in Burgsolms gemeinsam in die katholische Kirche St. Elisabeth, wo die „Wanderfriedenskerze“ im Mittelpunkt des Gottesdienstgeschehens stand. Gedacht wurde an die Kinder, die derzeit weltweit auf der Flucht sind. Gottesdienste angesichts der Flutkatastrophe feierten die Kirchengemeinden Bonbaden-Neukirchen-Schwalbach, Erda-Großaltenstädten und Hohensolms sowie Wettenberg. Präses Dr. Thorsten Latzel hatte dazu aufgerufen – im Gedenken an die Opfer und in Solidarität mit den Betroffenen, verbunden mit der Erinnerung an die gemeinsame Verantwortung für einen nachhaltigen Klimaschutz.

bkl

Bild 1: Um das Ablehnen und Annehmen ging es im Buß- und Bettagsgottesdienst in Niedergirmes, von der WALI und evangelischer Kirche gemeinsam gestaltet (v.l.): Ellen Wehrenbrecht, Ulrich Müller, Andrea Volk, Gunther Schneider, Stefan Lerach, Hartmut Sitzler, Stefan Wagner und Susanne Sievers.

Bild 2: Die Band der Kirchengemeinde Niedergirmes mit v.l. Nina Schnorr (Gitarre), Hendrik Pfeffer (Flügel) und Luisa Sophie Nunes Pedro (Gesang) sorgte für musikalische Impulse im Gottesdienst.