Igal Avidan liest aus der Biographie über den arabischen Arzt Mod Helmy:

2013 stößt der israelische Journalist Igal Avidan in einer israelischen Zeitung auf eine Meldung: Zum ersten Mal ist ein Araber in der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt worden. „Ich begriff auf Anhieb: Der könnte ein Held sein für Juden wie für Araber.“ Die Nachricht lässt den 1962 in Tel Aviv geborenen Nahostexperten nicht mehr los, und er beginnt, aufwendig zu recherchieren. Daraus entsteht die Biographie über Mod (Mohamed) Helmy (1901-1982), einen arabischen Arzt, der in der Zeit des Nationalsozialismus in Berlin die sechzehnjährige Jüdin Anna Boros in einer Gartenlaube versteckt und sie damit vor der Gestapo gerettet hat.

Avidan, der seit 1990 in Berlin für deutsche und israelische Zeitungen und Radiosender arbeitet, hat im Evangelischen Gemeindehaus Hermannstein zu dieser bewegenden Geschichte eine spannende Autorenlesung mit Bildvortrag und Diskussion gehalten. Der Journalist erzählte von der schwierigen und arbeitsreichen Suche, denn Mod Helmy hatte kein Tagebuch geschrieben. Verheiratet war er mit der Deutschen Emmy Ernst, doch beide hatten keine Kinder. So berichtete Avidan von Orten, die er aufgesucht und von Zeitzeugen, die er befragt hat und nahm seine Zuhörer mit auf die Reise in eine von Rassismus und grausame Vernichtung geprägte Vergangenheit.

Mod Helmy, dessen Familie dem gehobenen Mittelstand angehörte, war 1922 aus Ägypten nach Berlin gekommen, um dort Medizin zu studieren. Er arbeitete im städtischen Krankenhaus Moabit, wo der Anteil der jüdischen Ärzte bei 60 Prozent lag. Doch als die Nazis 1933 an die Macht kamen, verhafteten sie alle jüdischen Ärzte und ersetzten sie durch Nazi-Ärzte. Mod Helmy musste schließlich als letzter Nichtarier unter den Ärzten um seine Existenz kämpfen und begann, sich Privatpatienten zu suchen. Unter ihnen war die Jüdin Cecilie Rudnik, die Großmutter von Anna Boros. Mod Helmy wurde bald ein Freund der Familie. Als die Situation sich immer weiter zuspitzte, versteckte er Anna in einer Gartenlaube am Rande Berlins, wo beide anderthalb Jahre lang wohnten, sich ständig der Gefahr bewusst, entdeckt zu werden. Der Arzt war zu dieser Zeit bereits zweimal inhaftiert worden.

Mod Helmy, der nach Worten Avidans ein großer Taktiker war, organisierte zum Schutz Annas 1943 ihren Übertritt zum Islam. Die Nationalsozialisten hatten eine tolerante Haltung den Muslimen gegenüber und der Mufti (Rechtsgelehrter) von Jerusalem war Hitlers Verbündeter. „Was für ein Spagat“, kommentierte Avidan, der sich fragt, wie Juden damals so abgelehnt und gleichzeitig Muslime so geschätzt werden konnten. Ein paar Tage nach Annas Übertritt zum Islam kommt es in Mod Helmys Wohnung zu einer weiteren geheimen Zeremonie: Um zu überleben, willigt die Siebzehnjährige in eine muslimische Trauung mit einem Ägypter und Vertrauten Helmys ein. Ziel des Arztes war, die junge Frau als Ägypterin ins Ausland zu bringen. Der Plan scheiterte jedoch, die Ehe wurde nicht anerkannt und Anna Boros musste sich weiter als Mod Helmys muslimische Nichte und Assistentin ausgeben.

Dass auch die Frau des mutigen Arztes, die nie eine Anerkennung als Judenretterin bekam, eine wichtige Rolle beim Schutz der jungen Jüdin Anna Boros gespielt hat, machte Avidan am Schluss deutlich, als er aus dem Nachruf ihrer Freundin Gerda Albrecht-Jahn zitierte: „Emmy hat geholfen, andere Menschen getröstet und immer ein offenes Ohr für andere gehabt. Wir wetten, dass du auf Gottes Arm darfst.“

„Eine Geschichte der Menschlichkeit in unmenschlicher Zeit“ hatte Pfarrer Wolfgang Grieb in seiner Begrüßung den Abend eingeleitet. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar, die anlässlich des Holocaustgedenktages gemeinsam mit dem Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill zu dieser Veranstaltung eingeladen hatte.

bkl

Wie der arabische Arzt Mod Helmy in Berlin Juden vor der Gestapo rettete, davon las und erzählte der israelische Journalist Igal Avidan.