Unsere Partnerschaften in aller Welt sind Jahresthema 2022 im Kirchenkreis an Lahn und Dill. Vertreterinnen und Vertreter der entsprechenden kreiskirchlichen Ausschüsse schreiben kleine eindrückliche Geschichten über ihre Erfahrungen.

Aus der Partnerschaft mit der Orthodoxen Diözese von Tambow/ Russland berichtet die stellvertretende Vorsitzende des Osteuropa-Ausschusses, Ursula Küppers:

Es gibt ein Foto, da sitzen sich der orthodoxe Priester Kornelius Heinrich und der evangelische Pfarrer Udo Küppers in der Ikonenwerkstatt von Professor Michail Nikolskij in Tambow gegenüber. Das Ikonenmalen ist für beide eine Ersterfahrung. Konzentriert angespannt betrachtet der eine die nachzubildende Aposteldarstellung, der andere führt mit Vorsicht den Pinsel. Plötzlich höre ich Verse aus unserem Evangelischen Kirchengesangbuch – leise gesprochen, den einen oder anderen Vers auch verhalten gesungen. Beide üben sich in der Erinnerung an Gelerntes oder immer wieder im Gottesdienst mit der Gemeinde Gesungenes. Sie ergänzen sich. Dass Vater Kornelius evangelisch aufgewachsen und konfirmiert worden war und seine Berufung zur Orthodoxie noch als Jugendlicher geschah, das wussten wir. Aber hier geschieht mehr: über der Arbeit am Apostel wächst die Freude am gemeinsamen Lob Gottes. Alles Trennende ist aufgehoben.

Auf unserer Kommode im Wohnzimmer stehen mehrere Ikonen. Darunter auch zwei mit der Darstellung eines  Apostels. Sie sind das Ergebnis des Malkurses bei Michail Nikolskij und seinen drei geduldigen und aufmerksamen Helferinnen. Täglich mehrmals begegne ich dem Blick meines Apostels und versuche, mich seinen Gedanken zu nähern. Das ist ähnlich schwer wie nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Von seiner persönlichen Erfahrung berichten mir Texte aus der Bibel. Da spielen die ihm von Gott verliehenen Gaben eine große Rolle: die intellektuellen, die emotionalen, die spirituellen – und als wichtigste Gabe – die Gabe der Liebe. Und das erfahre ich in Tambow: vertrauensvoller Austausch, geschwisterliche Liebe. Im gemeinsamen Tun, in der Anbetung werden die Vorurteile, die man bislang von der anderen konfessionellen Kultur besessen hat, verändert. Dieser Prozess kann nicht verordnet werden. Er beruht auf der Hoffnung, dass Gott allein der Wandelnde und Machende ist.

16. Februar 2022