Friedenstheologisches Seminar in Laufdorf:

Im Rahmen der Seminarreihe „Frieden und Gerechtigkeit umarmen sich“ fand im Laurentiuskonvent Laufdorf ein Seminar statt zum Thema „Kirche und Staat“. Auf Einladung des Arbeitskreises Frieden im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill und des europäischen friedenskirchlichen Netzwerkes Church and Peace waren 14 Personen aus Hessen und Rheinland-Pfalz zusammengekommen. Gefördert hat das Seminar die Katholische Erwachsenenbildung. Fragen, die erörtert wurden, waren: In welchem Verhältnis stehen Christinnen und Christen zum Staat? Was heißt politische Verantwortung tragen? Wie verhält es sich mit der Forderung nach „Unterordnung“ und dem Gewaltmonopol des Staates und was heißt es, Kirche in einer globalisierten Welt zu sein?

Zuerst referierten fünf Personen über das gegenwärtige Verhältnis von Kirche und Staat in Ländern, aus denen sie ursprünglich stammen. Hierzu gehörten Lydia Funck (Deutschland), Marie Noëlle von der Recke (Frankreich), Silvia von Verschuer (Belgien), Diletta Tandoi  (Italien) und Denis Juric aus Kroatien.

Die Ausführungen zeigten eine überraschende Vielfalt bei der Regelung praktischer Aufgaben wie der Finanzierung von kirchlichen Gebäuden, Personal, Unterhalt von Schulen und diakonischen Einrichtungen und Aufgaben wie Anstalts- und Militärseelsorge. Die Beiträge zeigten ferner, wie unterschiedlich Kirche in den Gesellschaften gewertet wird, von relativer Akzeptanz in Deutschland bis hin zu antiklerikalen Strömungen in Frankreich und Italien.

 

Marie-Noëlle von der Recke gab einen Überblick über biblische Ansichten zum Staat. Die Schilderung der Heilsgeschichte im ersten Testament zeigt, wie aus wenig organisierten Stämmen ein Volk wurde. Zentral ist dabei die Erfahrung der Befreiung aus der Sklaverei unter einer unterdrückenden Macht – Ägypten. Mose – kein Staatsmann, sondern Sprachrohr Gottes – gibt dem Volk die Verfassung eines Lebens in Freiheit (10 Gebote) unter der direkten Führung Gottes. Diese Phase der Theokratie setzt sich durch die turbulente Zeit der Richter fort, bis das Volk wünscht, eine Monarchie zu werden. Staatskritik prägt die Schilderung dieser Epoche. Es sind Propheten, die Unrecht und Bündnispolitik der Könige anprangern und zur Rückkehr zu Gott und seinen Geboten aufrufen. Die Geschichte der Monarchie ist die Geschichte eines Untergangs, der in Verbannung und erneute Fremdherrschaft führt.

Auch im neuen Testament ist die Staatskritik vielfach präsent: Jesus stellt die Behauptung des Teufels, er könne die Herrschaft über die Reiche der Welt übertragen, wem er wolle, nicht infrage (Lukas 4,6). In Lukas 22 äußert er sich kritisch über das Verhalten weltlicher Herrscher und mahnt unter seinen JüngerInnen einen anderen Umgang an. Offenbarung 13 beschreibt eine Staatsmacht, die die Züge eines Ungeheuers angenommen hat und als unerbittliche Diktatur über Menschen herrscht. Ferner wurden Texte besprochen wie Lukas 20, 25 (Was gehört dem Kaiser, was gehört Gott?), Römer 13, 1-7 (Welcher Obrigkeit gegenüber fordert Paulus Unterordnung?) und 1. Petrus 2 (Was heißt Freiheit, wenn der Staat die Gläubigen unterdrückt?) Zu Römer 13 stellte Marie Noelle von der Recke die Auslegung eines jüdischen Historikers vor (Marc Nonos). Er widerspricht der gängigen Auslegung, dass Paulus den römischen Staat gemeint haben könnte. Paulus möchte eine Abspaltung der Heidenchristen von ihren jüdischen Glaubensgeschwistern vermeiden und fordert die Unterordnung unter die Autorität der Verantwortlichen der Synagoge.

 Aus der Bibel eine Staatslehre abzuleiten, ist nicht möglich. Vielmehr zeugt die Schrift von einer kritischen Distanz zu den wechselnden staatlichen Systemen und ihren Machthabern. Jede Regierungsform kann korrumpiert werden. Die Achtung Gottes und der Gehorsam seinen Geboten gegenüber muss den Vorrang haben vor der Unterordnung unter die Obrigkeit. Die Jünger und Jüngerinnen Jesu sind aufgefordert zu solidarischem Dienst in Gemeinde und Gesellschaft und nicht  zur Herrschaft.

Eine Anwendung der jeweiligen Texte für heutige Christen in einer demokratischen Gesellschaft ist eins zu eins nicht möglich, leben doch die Kirchen lange nicht mehr unter ihren feindlichen Obrigkeiten. Wo das Christentum von einer verfolgten Minderheit zu einer Staatsreligion geworden ist, ist es auch nach der politischen und juristischen Trennung von Kirche und Staat nicht einfach, den Stachel der biblischen Texte zu erkennen. Heute wie damals ist es wichtig, fest zu halten: Unter welche Regierungsform auch immer, sind Christen freie Menschen wenn sie Gott und einander dienen, und wenn sie “der Stadt Bestes” (Jeremia 29) suchen.

Das Thema des Seminars gab Anlass für lebhafte Diskussionen über biblische Texte und ihre  Anwendung.

Ein passendes Schlusswort sprach ein Teilnehmer aus Kroatien: “Die Macht braucht das Christentum als Korrektiv.”

Ernst von der Recke / Foto: privat

 [vc_single_image image=”9168″ img_size=”full”]14 Interessierte beschäftigten sich beim Friedenstheologischen Seminar im Laurentiuskonvent Laufdorf  intensiv mit dem Verhältnis von Kirche und Staat in der Bibel und in verschiedenen Ländern und aktuellen Lebensbezügen.