Im Lahn-Dill-Kreis bieten 50 bis 60 Frauen ihre Dienste an:

In Wetzlar und dem Lahn-Dill-Kreis arbeiten 50 bis 60 Frauen als Prostituierte. Diese Einschätzung gab Encarni Ramírez Vega, stellvertretende Geschäftsführerin der Hessischen Koordinationsstelle „Frauenrecht ist Menschenrecht“ (FIM) aus Frankfurt, ab. Sie war gemeinsam mit der Marburger Streetworkerin Kristina Tsvetkovska ins Haus der Kirche und Diakonie gekommen auf Einladung des Sozialethischen Ausschusses im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill. Im Rahmen der Reihe „Wetzlarer Gespräche“ nahmen die Expertinnen Stellung zu dem Thema „Prostitution – ein ganz normaler Beruf?“ FIM ist Mitglied der Diakonie Hessen.

Was ich hier gehört habe, erschüttert mich. Ich bin sprachlos und zittere am ganzen Körper.“ So fasste Sigrid Kirdorf, Mitglied im Vorstand des Wetzlarer Frauenhauses, ihre Gefühle zusammen. Irene Aretz sagte „Prostituierte sind Frauen wie wir, unsere Schwestern. Ich will, dass Deutschland nicht mehr das Bordell Europas ist“.
Hildegard Rebholz äußerte sich so: „Ich finde, dass Sex gekauft werden kann, ist mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes „die Würde des Menschen ist unantastbar“ nicht vereinbar. Ich bin dagegen, dass Frauen wie Ware gehandelt werden. Ich schäme mich, dass Deutschland wie Thailand zum Sextourismus-Land geworden ist.

Der Ausschuss-Vorsitzende Pfarrer Ulrich Müller berichtete, dass FIM seine Wurzeln in der Weltgebetstagbewegung habe. Dieser wurde 1980 von Frauen aus Thailand ausgerichtet. In ihren Texten machten sie auf den westlichen Sextourismus und dessen Folgen aufmerksam. Heute suchen rund 900 Frauen jährlich Unterstützung bei den FIM-Mitarbeitern in Hessen.

Der von Dr. Karin Rinn moderierte Abend begann mit der Darstellung der aktuellen Situation durch Ramírez Vega und Tsvetkovska. Sie stellten dar, dass es sowohl Frauen gibt, die selbstbestimmt freiwillig in der Prostitution tätig sind. Der überwiegende Teil aber komme aus Notsituationen der europäischen Armutsstaaten Bulgarien und Rumänien. Oftmals würden sie vom eigenen Mann oder Zuhältern zur Prostitution gedrängt. Meist seien sie dazu gezwungen, um die Familie, auch eigene Kinder, in der Heimat zu unterstützen.

Die Frauen blieben nur kurz in einem Bordell, würden von den Hausbetreibern schon nach einer Woche in ein anderes Bordell geschickt. Deshalb sei es schwer, mit ihnen in Kontakt zu treten und Hilfe anzubieten. Ein Problem sei, dass sie meist nicht krankenversichert sind und auch die deutsche Sprachkenntnisse gering seien. In größeren Bordellen würden die FIM-Mitarbeiterinnen keinen Einlass erhalten, um mit den Frauen zu sprechen. Viele Prostituierte lebten in prekären Mietverhältnissen.

Da FIM nur wenige Mitarbeiter hat, komme sie etwa drei Mal im Jahr nach Wetzlar, so Tsvetkovska. Gefördert wird FIM vom Land Hessen, das die Organisation beauftragt hat, die Arbeit gegen Menschenhandel in Hessen zu koordinieren. Der Verein FIM kümmere sich um beide Gruppen, um die Frauen, die sich freiwillig prostituieren, als auch um die, die als Zwangsprostituierte tätig sind.

Ramírez Vega wies auch auf das Prostituiertenschutzgesetz hin, das seit Juli 2017 gilt. Dessen Kernelement sind: Prostituierte müssen sich anmelden, verbunden mit einer Gesundheitsberatung. Für Prostitutionsstätten gibt es eine Erlaubnispflicht mit Zuverlässigkeitsprüfungen und hygienischen Mindeststandards. Die Ordnungsämter der Städte und Gemeinden sind für diese Prüfungen zuständig. Allerdings fehlt ihnen das Personal dazu. Deshalb gibt es auch fast drei Jahre nach Einführung des Gesetzes Bordellbetreiber, die noch keinen Besuch der Ordnungsämter hatten. Kommunen in der Region haben ihre Prüfpflicht per Handheben an den Lahn-Dill-Kreis abgegeben.

Die SPD-Stadtverordnetenvorsteherin Sandra Ihne-Köneke fragte, was die Kommunen machen können. Tsvetkovska sagte, die Städte benötigten mehr Personal, um das Gesetz umzusetzen. Zudem berichtete sie, dass es mehr Geld brauche, um Frauen aus der Prostitution herauszuhelfen. In Marburg konnte der Verein FIM ein Haus anmieten, in dem seit Februar eine Frau lebt, die aus der Prostitution ausgestiegen ist.
Der ehemalige Stadtverordnete Karl-Peter Greis (Grüne) wies darauf hin, dass die Frauen den Männern Zärtlichkeit, Empathie und Mitmenschlichkeit vermittelten, das sie im häuslichen Umfeld vielfach vermissten. Das sollte nicht übersehen werden. Eine Untersuchung zeige, dass täglich in Deutschland 1,2 Millionen Männer Bordelle aufsuchen.
Besucherin Christine Sinkel sagte, sie könne von dem Abend mitnehmen, dass auf kommunalpolitischer Ebene eine Verbesserung angestoßen werden müsse und man mit Spenden Aussteigerinnen unterstützen könne.

lr

Encarni Ramírez Vega und Christina Swetkowska informieren über die Situation von Prostituierten.