Anfang März haben Wetzlarer Christen der Zerstörung des Wetzlarer Domes vor 80 Jahren gedacht. Am 8. März 1945 wurde der Dom durch eine Fliegerbombe getroffen. Dabei zerstörte die Bombe auch die beiden Orgeln, denn evangelische und katholische Christen hatten bis dahin getrennte Instrumente. Dank des Einsatzes der Bevölkerung konnten die meisten Schäden am Gebäude bis zum Jahr 1951 behoben werden. Auf die gottesdienstliche Begleitung durch Orgelmusik mussten die Gemeinden allerdings zehn Jahre lang verzichten.
Jetzt können die beiden Gemeinden das 70-jährige Bestehen der neuen Orgel feiern, denn der Wetzlarer Unternehmer Ernst Leitz II. (1871 bis 1956) und seine Tochter Elsie Kühn-Leitz (1903 bis 1985), beauftragten 1953 den Hamburger Orgelbauer Rudolf von Beckerath (1907 bis 1976) zum Bau einer Orgel. Ernst Leitz hatte zu seinem 80. Geburtstag am 1. März 1951 entschieden, eine Orgel zu stiften, die gemeinsam von beiden Gemeinden zu nutzen sei. Als Platz für das Instrument wurde eine neue Empore an der Westseite des Kirchenschiffes bestimmt. „Diese Königin der Instrumente wurde zwischen 1953 und 1955 mit besten Materialien gebaut und ist seitdem ein Symbol des Miteinanders im Wetzlarer Dom“, berichten der Regionalkantor Sebastian Seibert von der katholischen Kirchengemeinde „Unsere Liebe Frau“ und sein evangelischer Kollege Dietrich Bräutigam. Die Ausführung mit den besten Materialien war extra in dem Auftrag an Beckerath vertraglich festgehalten, weiß die Chronik zu berichten, handelt es sich doch bei einer Orgel aus kirchlicher Sicht um die „Königin der Instrumente“.
Die beiden Kantoren wissen noch mehr: „Die 3394 Pfeifen sind stilistisch dem Klangideal des norddeutschen Barocks nachempfunden und verteilen sich auf 49 klingende Stimmen mit drei Manualen und Pedal. Die Spieltraktur ist mechanisch, die Registertraktur pneumatisch und der Spieltisch ist freistehend, eine Neuerung der damaligen Zeit“. Bis zu sieben Meter hoch ragen die Pfeifen Richtung Decke. „Bis heute ist das Instrument unverändert geblieben, während andere Orgeln bereits umgebaut wurden“, erzählt Seibert. Geliefert wurde die Domorgel im Juni 1953. Weil noch Reparaturarbeiten zu Gange waren, konnte sie noch nicht aufgebaut werden. Mitte 1954 begann der Aufbau und im Januar 1955 kam dann Beckerath nach Wetzlar, um die Orgel zu intonieren.
Ein weiteres wichtiges Datum in der Orgelhistorie ist der 12. Mai 1955. Das Einweihungskonzert des neuen Instrumentes spielte der Orgelprofessor Helmut Walcha von der staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst aus Frankfurt. Walcha beschrieb den Klang der Orgel als weich, edel und vornehm. Ein Jahr vor dem Tod des Spenders Ernst Leitz konnte damit die Beckerath-Orgel in Dienst gestellt werden.
Ein weiterer berühmter Name ist mit der Orgel verbunden und hat sich damit in die Stadtgeschichte eingeprägt: Albert Schweitzer (1875 bis 1965), Urwalddoktor und Organist. Schweitzer sollte auf Wunsch von Elsie Kühn-Leitz die Domorgel einweihen. Doch der Friedensnobelpreisträger lehnte mit Blick auf sein Alter und seinen Terminkalender ab.
Erst vier Jahre später, im Oktober 1959, machte Schweitzer auf dem Weg von Kopenhagen nach Frankfurt einen Zwischenstopp in Wetzlar, hat der im Ruhestand lebende Kirchenmusikdirektor Joachim Eichhorn in einer Schrift über die Domorgel notiert. Schweitzer sei sehr beeindruckt von dem klangschönen Instrument gewesen. Domkenner Jürgen Wegmann, der mehrere Bücher über die Simultankirche verfasst hat, sagt: „Die Orgel ist eine Art Rolls-Royce unter den Orgeln.“
In den Jahren 1985 und 1986 musste die Orgel schweigen, denn der Dom wurde innen renoviert. Damit verbunden war die Generalreinigung der Orgel, die nach Angaben der Kantoren regelmäßig in den Gottesdiensten, bei kirchlichen Feiern und zu Konzerten zum Lob Gottes und zur Freude der Menschen erklinge. In der Chronik steht zu lesen, dass die Reinigung und Reparatur drei Monate andauerte und 92.000 Euro gekostet hat. Davon hat der Dombauverein 30.000 Euro übernommen.
Voll Lobes für die Domorgel erteilte vor fünf Jahren Eichhorn: „Der gesamte Spieltisch macht in Material, Form und Anlage einen gediegenen Eindruck und gibt jedem Spieler das Gefühl, an einem Instrument zu sitzen, das schon 65 Jahre nach seiner Entstehung denkmalwerte Züge aufweist.“
Konzerte zum Jubiläum:
Anlässlich des Orgel-Geburtstages gibt es mehrere Konzerte im Dom:

Bis zu sieben Meter hoch ragen die Orgelpfeifen in den Wetzlarer Dom.

Kantor Dietrich Bräutigam (links) und sein Kollege Sebastian Seibert an der Domorgel.

Die Domorgel erklingt seit 70 Jahren. Das Jubiläum wird mit einer Reihe von Konzerten begangen.
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BU: Kantor Dietrich Bräutigam (links) und sein Kollege Sebastian Seibert an der Domorgel.