Gottesdienst für den Frieden am Buß- und Bettag in Niedergirmes:
Umdenken und Neuorientierung heißt es in der evangelischen Kirche am Buß- und Bettag, dem ersten Mittwoch nach dem Volkstrauertag. Versagen und Schuld sowie Fehlentscheidungen und Versäumnisse werden vor Gott zur Sprache gebracht. Dazu gehören auch gesellschaftliche Missstände wie Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung, Hass und Streit.
Obwohl seit 1995 nur noch in Sachsen gesetzlicher Feiertag, erinnerten Protestanten in den rund 50 Kirchengemeinden in der Region an Lahn und Dill an die Bedeutung dieses Gedenktages am Ende des Kirchenjahres.
„… und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens!“ heißt es im Lukasevangelium, Kapitel 1,79. Dieser Vers aus dem sogenannten „Lobgesang des Zacharias“, war das Leitwort des diesjährigen Buß- und Bettagsgottesdienstes, den die WALI (die Arbeitsloseninitiative im Lahn-Dill-Kreis) und die evangelische Kirche gemeinsam gestalteten.
In der voll besetzten Niedergirmeser Christuskirche kam die aus der Ukraine geflüchtete Ekateryna Dyatlova zu Wort. Marie-Noëlle von der Recke aus dem Laufdorfer Laurentiuskonvent führte mit ihr ein Interview, das von Tatiana Konz übersetzt wurde. Geboren und aufgewachsen ist Dyatlova, ausgebildete Krankenschwester, Lehrerin und Gebärdendolmetscherin, in Kiew. Die orthodoxe Christin, die in der Ukraine als Pädagogin, Theologin und als Journalistin für einen Fernsehsender arbeitete und auch Filme drehte, fühlt sich jetzt selbst wie in einem Film. „Mir hat es immer Freude gemacht, anderen Menschen zu helfen“, sagte sie. „Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich einmal selbst Hilfe brauchen würde.“ In Laufdorf, wo sie im Laurentiuskonvent herzlich aufgenommen wurde, fühlt sie sich gemeinsam mit ihren drei Söhnen sicher und geborgen. „Eine Familie hat uns geholfen, deutsch zu lernen, eine andere hat uns bei Behördengängen unterstützt, die dritte hat uns ihr Haus zur Verfügung gestellt“, erzählte sie bewegt. Ihre Söhne gehen zur Schule, sie selbst hat eine Stelle als Lehrerin und in einer Gärtnerei. Die Sorge um ihren Mann, der weiter in Kiew lebt, bleibt jedoch ebenso wie die Sorge um alle anderen Menschen in dem vom Krieg geschüttelten Land. „Uns bleibt nur das Gebet“, sagte Ekateryna Dyatlova, die hier eine orthodoxe Gemeinde mitgegründet hat und in Laufdorf und Frankfurt orthodoxe Gottesdienste organisiert. „Bitte betet für die Menschen in der Ukraine“, fasste sie ihr Anliegen zusammen.
Das tat gleich im Anschluss der Projektchor mit einem auf ukrainisch gesungenen „Prayer for Ukraine“. Ukrainische und deutsche Jugendliche und Erwachsene sowie Konfirmandinnen der Kirchengemeinde Niedergirmes hatten sich unter Leitung von Dorothea Hanstein (Flügel) und mit Begleitung von Stephan Pussel (Cajon) zu dem Chor zusammengefunden. Gesungene Friedenschoräle und ein von Ernst von der Recke angestimmter Friedenskanon bezogen die Gemeinde mit ein.
„Ein Weg des Friedens ist ein Weg, der nicht erst am Ziel, sondern bereits von Anfang an vom Frieden bestimmt ist und auf diesem Weg Stück für Stück wächst“, so Superintendent Hartmut Sitzler in seiner Predigt zum Gottesdienstmotto „und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“. Frieden sei biblisch gesehen ein Zustand in der ganzen Schöpfung, in der jeder Mensch die guten Anlagen, die in ihm steckten, leben könne, im guten Miteinander aller. Am Anfang stehe der Frieden mit Gott, der auf den Frieden aller Menschen untereinander gerichtet sei. Dazu müssten die Menschen von Gott gerichtet, im Sinne von „auf den richtigen Weg gebracht“ werden. „Am Anfang muss das Ende von Völkerhass und Selbstgerechtigkeit stehen“, erklärte der Theologe. Der Weg des Friedens müsse ein Weg der Wahrheit sein.
Zur Vertiefung des Themas trugen auch Gebete, Lesungen und Orgelspiel bei, vorgetragen von Pamela Huisgen, Rabea Marscheck und Susanne Sievers sowie Ortspfarrerin Ellen Wehrenbrecht und Kreiskantor Dietrich Bräutigam. Begrüßt hatte die Gottesdienstgemeinde der Vorsitzende des Sozialethischen Ausschusses im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill, Pfarrer Ulrich Müller.
Mit dem anschließenden Theaterstück brachte die WALI „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ von Johann Nepomuk Nestroy auf die Bühne.
bkl
Bild 1: „… und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens!“ lautete das Thema im Buß- und Bettagsgottesdienst in der Christuskirche Niedergirmes, von WALI und evangelischer Kirche gemeinsam gestaltet.
Bild 2: „Ich habe einen Traum“, „Menschenkinder“ und ein Gebet für die Ukraine in ukrainischer Sprache sang der Projektchor.
Bild 3: Die Ukrainerin Ekateryna Dyatlova (Mitte) berichtete im Interview mit Marie-Noëlle von der Recke (r.), übersetzt von Tatiana Konz (l.), von ihren Erfahrungen als Geflüchtete.