In der Telefonseelsorge rufen immer wieder Menschen an, die sich aggressiv verhalten. Dies war jetzt Anlass für einen Vortrag der Diplom-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Dr. Sara Lucke bei der Telefonseelsorge Gießen Wetzlar.

Im Haus der Kirche berichtete sie, dass gerade Menschen mit Aggressionen gerne bei der Telefonseelsorge anrufen. Mit gezielten Fragen könne man dem Anrufer helfen, die Situation, die zu seinem Ärger geführt hat, aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sollte ein Anrufer aber nur die Absicht haben, dem Telefonseelsorger zu schaden, helfe nur ein Mittel: Das Gespräch beenden durch Auflegen.

Die Leiterin der Tagesklinik am Martinshof in Gießen, einer Einrichtung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, wies darauf hin, dass es tatsächlich viel Aggressionen gibt. Tausende von Kriegen seien der Beweis dafür. Täglich gebe es weltweit 1300 Morde. In Deutschland wurden 2011 innerhalb eines Jahres 723 Mordfälle erfasst, also fast zwei pro Tag.

Aggressives Verhalten gehöre zum Menschen und man müsse damit umgehen lernen. Aus ihrer Arbeit wisse sie, dass es unterschiedliche Frustrationstoleranzen gibt. Agression definierte die Referentin als absichtliches Zufügen von Schaden gegenüber anderen und einem willentlichen Handeln des Täters. Aggressionen stauten sich automatisch an über die Zeit und würden durch aggressive Ersatzhandlungen abgebaut.

Wo kommen Aggressionen her, wollte eine Besucherin des Vortrages wissen. Sie werden zu einem Großteil im Laufe des Lebens erlernt, wusste Lucke zu berichten. Medien könnten zu erhöhter Aggression beitragen, etwa gewaltverherrlichende Texte, Musik und Videospiele.

Bewegung könne helfen, Aggressionen abzubauen. Aber das helfe nicht immer. Im Fernsehen könne man beobachten, wie Spieler oder Trainer nach einem Spiel vor dem Mikrofon ihre Frustration herauslassen. Würde man sie etwas später befragen, kämen ganz andere Antworten ohne Aggressionen heraus.

Die Internationale Statistische Klassifikation der Krankheiten, ICD genannt, unterscheide drei Krankheitsbilder. Unter F91 werden Störungen im Sozialverhalten zusammen gefasst, die bei Kindern und Jugendlichen auftreten. F60.2 beschreibe die „dissoziale Persönlichkeit“. Hier gehe es um Menschen, die kaum Reue für ihr Verhalten zeigten und auch keine Veränderung wollten. Die Betroffenen würden deshalb nur sehr selten in die Beratung gehen. Typisch sei, dass diese Menschen darauf aus sind, anderen zu schaden. Sie missachteten soziale Verpflichtungen und könnten herzlos unbeteiligt sein.

Solche Personen hätten schon von klein auf gelernt, durch Gewalt zu überleben und sich durchzuboxen. Die durch Aggressionen gewonnene Macht, Kontrolle über Umstände und Personen sowie auch der geldwerte Vorteil seien Erfahrungen, die das Krankheitsbild verstärkten.

Die Referentin wies auch auf die ICD-Definition F60.8 „Passiv-agressive Persönlichkeitsstörung“ hin. Hier handele es sich um zwanghafte Persönlichkeitsstörungen, die sich in der Kindheit und Jugend entwickelte. Man gehe davon aus, der die Person zu wenig Liebe erfahren habe, aber die Eltern auf seine Pflichten pochten.

Lucke sagte, dass es immer wieder Menschen gibt, die zwanghaft sind und sich bei der Telefonseelsorge melden. Sie liebten es detailliert zu berichten. Sie müssten einem Impuls folgen, ihre Geschichte zu Ende zu erzählen. Die Referentin gab schließlich auch noch Tipps, wie die Mitarbeiter der Telefonseelsorge auf ärgerliche Anrufer eingehen sollten.
Hilfreich sei es, die Gefühle des Anrufers anzusprechen, der sie von sich aus nicht benennen könne. Der Telefonseelsorge solle Verständnis zeigen, aber auch betonen, dass es die eigenen Entscheidung des Anrufers ist, sich über etwas oder jemanden zu ärgern.

Nicht hilfreich sei es hingegen dem Anrufer Vorwürfe zu machen, die Sache zu bagatellisieren oder ihn nicht ernst zu nehmen. Eher falsch sei es mit Gegenaggression zu reagieren, die Emotionen des Anrufers zu problematisieren, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen und in einen Kampf am Telefon überzugehen.

Gelänge es, jemanden zu bewegen, sich im Gespräch zu öffnen, komme irgendwann der Punkt, an dem aus Ärger Trauer entstehe.

Die Referentin machte den Teilnehmern der Fortbildung Mut, an sich selbst Ärger wahrzunehmen und zu analysieren. Hilfreich sei es, langsam und tief einzuatmen oder Sport zu treiben. Dies helfe gelassen zu sein und eine Situation zu verlassen. Man sollte Distanz hinein bringen und auf das große Ganze blicken. Oft sei es vom Gegenüber nicht willentlich geschehen, also nicht Absicht gewesen, jemanden zu ärgern.

Die Leiter der Telefonseelsorge Gießen-Wetzlar, der katholische Pastoralreferent Gerhard Schlett, und seine evangelischen Kollegin, Pfarrerin Martina Schmidt, dankten der Referentin für den hilfreichen Vortrag.

Seit 1978 gibt es in Mittelhessen die Telefonseelsorge. Die rund 70 ehrenamtlichen Mitarbeiter erhalten jährlich rund 10.000 Anrufe Hilfesuchender. Sie sind rund um die Uhr erreichbar unter den Telefonnummern 0800/1110111 und 0800/1110222. Jeder Anrufer bleibt anonym und alle Gespräche sind vertraulich.

lr[vc_gallery interval=”5″ images=”7731,7732″ img_size=”full”]Bild 1: Die Diplom-Psychologin und Psychologischen Psychotherapeutin Dr. Sara Lucke hat bei der Telefonseelsorge über den Umgang mit aggressiven und ärgerlichen Anrufern gesprochen.

Bild 2: Pfarrerin Martina Schmidt, Referentin Dr. Sarah Lucke und Pastoralreferent Gerhard Schlett (v.l.)