600 Sängerinnen und Sänger wollen gemeinsam das Musical aufführen:
In wenigen Wochen können 3.500 Besucher das Musical „Paul und Gretel – kein Märchen“ in der Buderus Arena in Wetzlar erleben. Aktuell laufen die Vorbereitungen für das Großereignis, das der Verein „Soli deo gloria“ (Hüttenberg) auf die Bühne bringen wird.
„Paul und Gretel“ würdigt das Leben und Sterben des Pfarrers Paul Schneider (1897 bis 1939) und dessen Ehefrau Margarete (1904 bis 2002). Der Seelsorger von Hochelheim und Dornholzhausen hatte sich gegen den Nationalismus aufgelehnt und wurde im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar mit eine Giftspritze vom Lagerarzt ermordet. Dort hatte er zu Lebzeiten täglich die Mitgefangenen durch Bibelworte ermutigt, weshalb er als „Prediger von Buchenwald“ bekannt wurde.
Als 2019 ein Bericht über den Pfarrer zum 80. Todestag in den heimischen Zeitungen erschien, kam Andreas Haupt, Vorsitzender des Vereins „Soli deo gloria“ die Idee, sein Leben einem größeren Kreis mit einem Musical zum 125. Geburtstag bekannt zu machen. Schnell hatte er den Gießener Arzt und Komponisten Peter Menger von dem Projekt überzeugt, mit dem er bis dahin schon 20 Musicalaufführungen im heimischen Raum durchgeführt hatte. Menger und seine Frau Deborah leiten seit 2016 den Hüttenberger Kinderchor mit 160 Mädchen und Jungen. Nach zweieinhalb Jahren war Premiere vor 1.500 Besuchern in der Sporthalle Hüttenberg. Inzwischen haben deutschlandweit über 10.000 Zuschauer das Musical erlebt.
Derzeit treffen sich 600 Sängerinnen und Sänger in den Räumen der Freien evangelischen Gemeinde im Schiffenberger Tal in Gießen, um die 24 Lieder einzuüben. Schon vor dem Eingang des Saales stehen draußen sieben Tische mit Schildern „Alt, Sopran, Tenor, Bass“. Darauf gibt es Listen mit den Namen der Sängerinnen und Sänger. Mit einem Kuli hakt sich jeder ab. Dann geht es in den Gemeindesaal, wo sich die Schilder mit den verschiedenen Singstimmen auf dem Boden wiederholen. So findet schnell jeder seinen Platz.
Peter Menger am Klavier und seine Frau Deborah als Chorleiterin fangen gleich an: „Ich freue mich, dass ihr alle hier seid“. Selbst aus dem fernen Gummersbach bei Köln ist eine Gruppe Sänger angereist. Mit dem Liedgut sind die Sänger bereits vertraut. Nach ihrer Anmeldung erhielten sie Notenmaterial und Dateien, um zuhause die Lieder einzuüben.
„Wir haben 604 Plätze für Sänger in der Buderus Arena. 605 sind angemeldet. Es kann also einer krank werden“, scherzt Deborah Menger. Dann konzentrieren sich alle auf ein Gebet. Wenig später gehen die Stimmübungen los „Wi, wi, w“ oder „Wa, wa, wa“ sind zu hören. Nach etwa fünf Minuten stimmen alle das erste Lied an: „Seine Name war Paul und er war Pfarrer von Beruf“. Die Chorleiterin ergreift wieder das Wort: “Zum Konzert solltet ihr die Texte alle auswendig können und verinnerlicht haben“. An einer Stelle des Liedes ist das Leiterehepaar unzufrieden mit der Betonung. Deshalb wird die Stelle immer wieder geübt, bis die Mengers zufrieden sind.
Wer bei dem großen Chor mitsingt, muss Überzeugungstäter sein. So wie Jutta Spieß (61) aus Dornholzhausen. Die Schwester ihrer Oma hatte persönlich mit Margarete Schneider Kontakt. „Ich bin beeindruckt von der Pfarrfrau, die so viel Schweres mitgemacht hat“, sagt Spieß. Das Leben des Pfarrers bewegt noch heute die Menschen in den Dörfern. Thomas Viehmeyer (49) aus Laufdorf sagt: „Es ist mir eine Ehre hier mitzusingen. Die Haltung von Paul Schneider, der der biblischen Wahrheit immer treu geblieben ist, beeindruckt mich“.
Für Andreas Haupt hat die Geschichte von den Schneiders Parallelen zur Gegenwart. Auch heute erstarken rechtsradikale Kräfte. „Von Paul und Gretel können wir lernen, wie sie mit diesen Fragen umgegangen sind, welche Widerstände sie erlebten und wie sie diese überwunden haben“.
Haupt und die Mengers haben sich in Bücher über Schneider vertieft, Briefe des Ehepaares gelesen und biblische Texte gewälzt. Sie fuhren in den Hunsrück, um den Geburtsort Schneiders aufzusuchen, sprachen mit de dortigen Bürgermeister. In Dickenschied stellten sie ihr Vorhaben den Nachkommen der Familie Schneider und Mitgliedern der deutschen Paul-Schneider-Gesellschaft vor. Haupt und Menger stellten das Musical dem Neffen Schneiders, Paul Dietrich, vor. Sein Lob: „Es sind wirklich Paul und Gretel, die hier zur Sprache kommen“.
Das Musical beginnt an einer Bushaltestelle in Dickenschied im Hunsrück. Enkelkinder besuchen ihre „Großi“, Margarete Schneider, genannt Gretel. Ein Passant bekommt die Begrüßung mit, vermutet einen Besuch der Kinder bei den Großeltern und erfährt, dass der Großvater ermordet wurde. So nimmt das Musical die Besucher mit in ein ungewöhnliches Leben.
Gerade ist in der FeG ein weiteres Musical-Lied verklungen. „Sehr gut“, lobt Deborah Menger die 600 Sängerinnen und Sänger. Doch ihr Mann Peter ruft dazwischen: „Halt, halt, der Rhythmus gefällt mir nicht“. Das Lied wird noch zwei Mal geübt, dann geht es weiter zu Lied 17. Hier üben die beiden einzeln mit den verschiedenen Stimmen. Die Chorprobe ist keine trockene Sache. Immer wieder gibt es Lacher. „Jetzt seid ihr die Gemeinde“, fordert die Chorleiterin. So sollen die Sänger näher an das Musicalereignis heran geführt werden. Zum Schluss lobt sie „Mensch, das habt ihr sehr gut gemacht. Bis Ende Oktober habt ihr das“.
Am Sonntag, 27. Oktober, um 16 Uhr wird das Musical „Paul und Gretel“ in der Buderus Arena in Wetzlar aufgeführt. Noch sind etwa 850 Plätze frei. Karten gibt es unter http://www.paul-und-gretel.de
red