Die zweite Predigt zum Sonntag Judika stammt von Holger Zirk, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Altenkirchen:
Predigt zum Sonntag Judika, 29. März 2020
Predigttext: Hebräer 13, 12-14
Liebe Schwestern und Brüder!
Der vorgeschlagene Predigttext für den vorletzten Sonntag der Passionszeit, den Sonntag Judika, an dem wir unser neues Presbyterium hätten einführen wollen, steht im Brief an die Hebräer, im 13. Kapitel, die Verse 12-14:
„Jesus hat, damit er das Volk heiligte durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
So lasst uns nun zum ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen.
Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Liebe Gemeinde!
„Jesus hat gelitten draußen vor dem Tor“ heißt es.
„Draußen vor dem Tor“ – das ist der Ort, wo wir in diesen Wochen nicht mehr hingehen sollten. Politiker und Ärztinnen sagen uns: „Bleibt zu Hause! Geht nicht vor die Tür! Beschränkt eure Kontakte zu anderen Menschen auf das Allernotwendigste!“
In normalen Zeiten hätten wir diese Notiz ganz leicht überlesen oder überhören können: „Jesus hat, damit er das Volk heiligte durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.“
Aber wir leben nicht in „normalen“ Zeiten. Wir verstehen in diesen Tagen ganz instinktiv, was das heißen könnte: „Jesus hat gelitten draußen vor dem Tor.“
Wir verstehen das sofort: „Draußen vor dem Tor“ – das ist ein verdammt gefährlicher Ort in diesen Wochen!
„Draußen vor dem Tor“ – da sind ja die Anderen.
Und das Wort „die Anderen“ hat in diesen Tagen keinen guten Klang.
„Die Anderen“, das sind die, die mir gefährlich werden könnten.
„Die Anderen“ – das sind die, denen ich gefährlich werden könnte.
Und die sind „draußen vor dem Tor.“
Ja, es ist vernünftig, in diesen Zeiten nicht nach „draußen vor dem Tor“ zu gehen.
Das haben wir inzwischen alle schmerzhaft lernen müssen.
„Jesus hat, damit er das Volk heiligte durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.“
Jesus ist dahin gegangen, an diesen möglicherweise lebensgefährlichen Ort „draußen vor dem Tor“. Genau wie heute Krankenpfleger, Ärztinnen, Apotheker, Verkäuferinnen, Elektriker, Busfahrerinnen, Polizisten und viele andere auch ihre Burg, „My home ist my castle“, verlassen und dahin gehen – für uns.
„Damit der Laden läuft“ – wie man so schön sagt, oder, wohl noch wichtiger, damit Menschen nicht alleine bleiben.
In der FAZ war am Montag ein Bericht über einen katholischen Krankenhausseelsorger in Mailand zu lesen, die z.Zt. wohl gefährlichste Region Europas. Der Artikel war überschrieben: „Zeugnis ablegen von der Gegenwart Gottes“. Mich hat das sehr bewegt, was da geschrieben stand.
Ich will euch ein paar Sätze zitieren: „Wenn Don Musazzi die Patienten auf der Isolierstation besucht muss er sich wie das medizinische Personal einkleiden: Atemschutzmaske, eng sitzende Schutzbrille, Gummihandschuhe, Schutzanzug, Überzieher für das Schuhwerk. Mit einem schwarzen Filzstift schreibt er in großen Lettern das Wort `Prete` (Priester) auf den Einwegschutzanzug … Wenn er ins Zimmer der Kranken tritt, muss er Abstand zu den Betten halten. `Eine Dame mit Lungenentzündung hat zu weinen begonnen, als sie mich sah. Denn normalerweise bekommt sie keinen Besuch. ` … Viele wollen die Beichte ablegen …
Zwei Tage zuvor hatte der Papst an die Priester appelliert: `Mögen sie den Mut haben, hinauszugehen zu den Erkrankten, um ihnen die Kraft des Wortes Gottes und die Eucharistie zu bringen. `
Laut Nachricht der Nachrichtenagentur Ansa vom Donnerstag starben bisher landesweit 18 Geistliche an der Lungenkrankheit; unter der Ärzteschaft hat es den Angaben zufolge 13 Todesopfer gegeben.“
„Jesus hat, damit er das Volk heiligte durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.“
Wir verstehen in diesen Tagen wieder besser, was das heißt: Einer gibt sein Leben für Andere.
Darum geht es ja auch in der Passionsgeschichte: Jesus gibt sein Leben für die Anderen. Jesus gibt sein Leben für uns „draußen vor dem Tor“, draußen vor der Stadt Jerusalem, draußen, außerhalb der sicheren Mauern, die das Böse, Bedrohliche, Gefährliche auf Abstand halten sollen.
Gott hält in Jesus den erforderlichen Sicherheitsabstand zu uns Menschen nicht ein.
Er lässt sich freiwillig von unserer Sünde, anders gesagt unserem Misstrauen gegen Gott und das Leben, unserer Lieblosigkeit und unserer elenden Hoffnungslosigkeit infizieren – und stirbt elend daran.
Und warum das Ganze?
Zitieren wir Don Musazzi, der in der Nachfolge Jesu sagt: „Ich bin ein Besucher, der Zeugnis ablegt von der Gegenwart Gottes.“
In ruhigeren Zeiten scheint uns das wie eine Geschichte aus einer fremden Welt. In diesen Tagen rückt es uns erschreckend nahe: „Jesus hat, damit er das Volk heiligte durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.“
Und wir?
„So lasst uns nun zum ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen.“
Nein, das ist natürlich keine Aufforderung leichtsinnig zu sein und die klugen Hinweise der Fachleute zu ignorieren! Vorsicht ist und bleibt geboten!
Aber Kopf und Herz bleibt auch gefordert: Wie geht das in diesen aufgewühlten Zeiten, wo wir einander nicht mehr umarmen dürfen, ein Mensch zu sein, der Zeugnis ablegt von der Gegenwart Gottes – ein Zeugnis gegen die Angst und gegen den Egoismus?
Ohne zu pathetisch zu sein: Letzten Endes geht das wohl nur, wenn wir die Angst vor dem Tod verlieren, wenn wir also wirklich glauben, was wir seit jeher bekennen: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Liebe Schwestern und Brüder!
Ich habe es in diesen Tagen ein paar Mal von verschiedenster Seite gehört und gelesen: Diese Wochen sind die Probe aufs Exempel: Was steckt in uns als Einzelnen und als Gesellschaft?
Was steckt in uns als Kirche?
Woran glauben wir wirklich?
Und für was sind wir bereit uns mit Haut und Haaren einzusetzen, ja, Gott behüte uns, wofür sind wir bereit unsere eigene Haut zu riskieren?
In zwei Wochen feiern wir Ostern, so oder so.
Gott sei Dank!
Gottes Segen sei mit euch!
AMEN.
Pfarrer Holger Zirk, Evangelische Kirchengemeinde Altenkirchen