Die Predigt zum Palmsonntag stammt von Marie-Noëlle von der Recke, ehemalige Generalsekretärin von Church and Peace. Im Mittelpunkt steht die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem.

 Ein Audio-Livestream der Predigt ist am Palmsonntag, 5. April, ab 10 Uhr zu hören:

 https://kerkdienstgemist.nl/stations/1262/events/event/15247156-202003221000

 

Predigt für Palmsonntag, 5. April 2020, Mennonitenkirche Weierhof
Predigttext: Der Einzug Jesu in Jerusalem
(Matthäus 21, 1-11 / Markus 11, 1-10 / Lukas 19, 29-38 / Johannes 12, 12-19)

Liebe Brüder und Schwestern auf dem Weierhof und darüber hinaus,

Grüße aus Mittelhessen! Es ist eine besondere Erfahrung, diesen Gottesdienst nicht mit Euch in unserer Kirche zusammen feiern zu dürfen. Wir sind traurig darüber. Aber wir können auch die erzwungene Distanz als eine Art Fasten betrachten. Auf dem Weg nach Karfreitag und Ostern können wir uns noch intensiver als sonst auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist, worauf es wirklich ankommt.

Am Palmsonntag möchte man sich mit den Menschen freuen, die Jesus beim Einzug in Jerusalem begleitet haben! Danke Elsie, für die anschauliche Darstellung dieser so bekannten, so schönen Geschichte: Jesus kommt aus dem Inkognito heraus. Er wird als König freudig begrüßt in der Hauptstadt seines Landes. Wer möchte da noch traurig sein? Für Kinder eine tolle Geschichte.

Aber passt sie zu unserer jetzigen Stimmung, angesichts der Krise, durch die unsere ganze Welt gehen muss? In der Darstellung des Weges nach Jerusalem für Kinder hat Elsie auch den Weg nach Golgata gezeichnet. Dieser Weg, der schwerste Weg, war zweifellos schon in den Gedanken Jesu, als er auf dem Fohlen ritt und gefeiert wurde. Palmsonntag ist nicht irgendeine Party. Mit dieser Spannung müssen wir uns befassen.

Alle vier Evangelien beschreiben den Einzug in Jerusalem und das mit wenigen Unterschieden. Nur Johannes betont, dass Menschen aus Jerusalem Jesus entgegen kamen, während Matthäus, Markus und Lukas detailliert erzählen, wie es kam, dass Jesus auf einem Fohlen in die Stadt ritt und von vielen Menschen bejubelt wurde. In drei Evangelien beteiligt Jesus die Jünger an dem Geschehen. Johannes seinerseits betont, dass die Jünger erst im Nachhinein verstanden haben, was da passiert war. Alle vier Evangelien haben eines gemeinsam: Das, was an diesem Tag geschah, verstehen sie als Erfüllung der Verheißungen aus dem ersten Testament. Dieses erkennt man an einer Menge von Zitaten und Einzelheiten: Verse aus dem Buch Zacharia (Kapitel 9 und Kapitel 14) und aus anderen Büchern werden zitiert. Jedes Detail spielt auf etwas an, was die Zeugen der Ereignisse und die ersten LeserInnen erkennen konnten: Die Eselin und Ihr Fohlen; der Ölberg; die Palmzweige; die Kleider, der Ruf Hosianna…, all das will sagen: Jesus wird hier als der erwartete Messias, als König begrüßt. Und nur in dieser Geschichte sagt Jesus, die Jünger sollten den Besitzern des Esels sagen: der Herr (ho kyrios) braucht ihn für einen Moment.  In den Evangelien bezeichnet sich Jesus sonst nie als der Herr. Das Wort kann bedeuten, dass er sich hier mit Adonai, mit Gott selbst identifiziert oder dass er den Titel beansprucht, mit dem sich römische Kaiser bezeichneten.

Begeisterung und Freude strömen aus dieser Geschichte – etwa wie aus der Weihnachtsgeschichte. In der Adventszeit singen wir ja: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“ und „Tochter Zion“. Beide Lieder zitieren Texte des ersten Testaments: Psalm 24 und Zacharia 9, auf die die Geschichte vom Einzug in Jerusalem anspielt. Aber die Parallelen hören da nicht auf. Denn der Hintergrund der Geburt Jesu und der Hintergrund seines Einzugs in Jerusalem als König und Herr ist dieselbe bittere Realität: Es gibt ja schon einen Kurios, einen Herrn über dieses Land und es gibt kleine Könige und Beamte dieses Herrn, des Kaisers, die in seinem Dienste stehen. Es gibt auch eine religiöse Elite, die ihre Machtposition in Jerusalem gerne bewahren will.  Deswegen war die Zeit um Pessach eine heikle Zeit in Jerusalem. Die Besatzungsmacht war auf der Hut, denn Pessach ist ja die Feier der Befreiung aus fremder Herrschaft, aus der Unterdrückung in Ägypten. Die Besatzer und die religiöse Elite konnten mit gutem Grund befürchten, dass Unruhen just in dieser Zeit ausbrechen. So zögerten die Mitglieder des Hohenrats, Jesus in diesen Tagen gefangen zu nehmen. Sie wussten, dass er viele Anhänger hatte, gerade unter den Pilgern, die zum Fest da waren. Auch die Sitte von Pilatus, einen Gefangenen an Pessach zu befreien, war wohl da, um Unruhen vorzubeugen.

Palmsonntag ist ein schönes Fest, aber keine Party. Wir erinnern an, was wir heute beschreiben würden, als eine symbolisch kraftvolle, friedliche, fröhliche Demonstration, die keineswegs harmlos war, denn sie fand statt in einem brisanten Kontext und stellte die akzeptierte Ordnung im Zentrum der religiösen und politischen Macht des Landes in Frage und das zu einer Jahreszeit, wo die Stadt  wegen des Festes voll war.

Lied: Macht hoch die Tür, Strophen 1 und 2

Macht hoch die Tür‘, die Tor‘ macht weit,

es kommt der Herr der Herrlichkeit,

ein König aller Königreich‘;

ein Heiland aller Welt zugleich,

der Heil und Segen mit sich bringt;

derhalben jauchzt, mit Freuden singt:

Gelobet sei mein Gott,

mein Schöpfer reich von Rat.

 

Er ist gerecht, ein Helfer wert,

Sanftmütigkeit ist sein Gefährt,

sein Königskron‘ ist Heiligkeit,

sein Zepter ist Barmherzigkeit;

all uns’re Not zum End‘ er bringt,

derhalben jauchzt, mit Freuden singt:

Gelobet sei mein Gott,

mein Heiland groß von Tat.

 

Um uns ein Bild vom Einzug in Jerusalem zu machen, müssen wir uns nicht eine Massenveranstaltung vorstellen. Es werden nicht alle das Ereignis wahrgenommen haben. Die jüdische Gemeinde in Jerusalem muss es mitgekriegt haben und es heißt ja, dass die ganze Stadt davon erfuhr. Aber in den Verhören beim Prozess gegen Jesus beziehen sich weder Herodes noch Pilatus auf dieses Ereignis. Nichts deutet darauf hin, dass sie davon etwas gewusst haben. Die Menschen, die „dabei“ sind, sind die Jünger und Anhänger Jesu. Johannes erwähnt auch noch Leute, die gehört haben, dass Jesus kommt und solche, die die Auferstehung des Lazarus mitgekriegt haben. Zuschauer gab es auch, darunter Kritiker. Insgesamt eine beträchtliche Gruppe, aber vermutlich keine Tausende. Und es ist auch keine kopflose Menge, die dieses Mal Jesus feiert und ein paar Tage später seinen Tod verlangt. Dieses wird jedes Jahr in der Passionswoche von vielen Kanzeln behauptet, aber die Texte sagen etwas anderes aus. Es war viel los in Jerusalem in diesen Tagen und dieselben Menschen waren nicht überall anzutreffen. Wenn man die Texte genau anguckt, stellt man fest, dass die Menge, die Pilatus drängt, Jesus zu kreuzigen, aus einer merkwürdigen Zusammensetzung von Menschen besteht, die nicht unbedingt zueinander passten: einerseits die religiöse Elite von Jerusalem und ihre Anhänger, die sich als Freunde des Kaisers outen und andererseits Freunde des Barrabas, eines Aufständischen, der wegen Mordes verurteilt wurde, also eher Feinde des Kaisers.

Am Palmsonntag feiern wir den Triumphzug Jesu und merken: Nachdem Jesus in Galiläa Menschen um sich gesammelt hat, sich um Bedürftige gekümmert hat, vom kommenden Reich Gottes in kleinen und großen Kreisen gesprochen hat, spitzt sich hier seine Geschichte zu. Er hat den Durst Vieler gestillt, die Anerkennung Vieler gewonnen. Hoffnung geweckt.  Er hat aber auch manche Denkstrukturen und Verhaltensweisen in Frage gestellt und ist auf Unverständnis und Opposition gestoßen. Jetzt erhebt er den Anspruch auf den Titel „Kyrios“, der doch dem Kaiser, ja sogar Gott vorbehalten wurde.  Nun werden sich die Ereignisse überschlagen: Nach dem Einzug in Jerusalem kommen heftige Auseinandersetzungen, besonders im Tempel. Bald wird Jesus von einem seiner eigenen Leuten verraten, er wird verhaftet und verhört. Petrus leugnet, sein Jünger zu sein. Die religiöse Elite sieht ihn als eine Gefahr für ihre Machtposition über das Volk, die politisch Verantwortlichen lassen ihn im Stich, die Oppositionellen haben sich für die Gewalt und somit gegen ihn entschieden. Nach einem Scheinprozess wird Jesus verurteilt und gekreuzigt. Das ahnt Jesus voraus, als er auf dem Fohlen sitzt und in Jerusalem einzieht, als der gerechte König, der Helfer, der Demütige, der Milde, wie das Lied „Tochter Zion“ übersetzt.

Lied Tochter Zion, Strophe 1 und 3

 Tochter Zion, freue dich!

Jauchze laut, Jerusalem!

Sieh, dein König kommt zu dir!

Ja, er kommt, der Friedensfürst.

Tochter Zion, freue dich!

Jauchze laut, Jerusalem!

 

Hosianna, Davids Sohn,

sei gegrüßet, König mild!

Ewig steht dein Friedensthron,

du, des ewgen Vaters Kind.

Hosianna, Davids Sohn,

sei gegrüßet, König mild!

„König mild“. Die beiden Worte passen doch nicht zueinander! Das hebräische Wort in Zacharia 9 heißt sogar „arm“. Armer König? Welch ein Paradox! Letzten Sonntag betonte Gary Waltner in seiner Predigt, dass die Jünger Jesus nicht verstanden, als er ihnen seinen Leidensweg ankündigte. Sie sahen sich schon mit ihm die Macht über den verhassten Besatzer ergreifen. Sie wollten die besten Plätze in der neuen Regierung besetzen. Jesus musste sie enttäuschen, ihnen beibringen, was es heißt, ein armer König zu sein. Auf dem Weg nach Jerusalem und bis zu Karfreitag und Ostern wurde dieses Lernen für sie immer schwieriger und schmerzhafter. Vieles konnten sie erst im Nachhinein verstehen.

Und wir? Diese Geschichte spricht auch uns an. Jesus: der arme König. Der milde König. Der Kyrios auf dem Eselchen. In ihm vereinen sich Vollmacht und Zuwendung. Ein Paradox vielleicht, aber kein Widerspruch.

Dieses Bild ist bis zu uns gedrungen. Es ist genau so komisch und anstößig wie damals, denn Macht ergreifen und erhalten ohne Rücksicht auf Verluste, das sind Themen, die heute wie damals die Bühne beherrschen. Technische und finanzielle Kapazitäten feuern die Tendenz weiter an. Man wähnt sich nicht nur mächtig, sondern unverwundbar. Das ist der Kontext, in dem wir leben und berufen sind, als Jünger und Jüngerinnen Jesu von seinem paradoxen Weg Zeugnis zu geben.

Und jetzt, die Pandemie. Sie bringt viel Leid mit sich. Sie erschüttert alle Welt in Wellen. Sie zersprengt Selbstverständlichkeiten. Sie zeigt die Grenzen menschlicher Macht. Auf einmal wird schmerzhaft deutlich, wie verwundbar wir wirklich sind.

Auf die vielen Fragen, die diese Not hervorruft, haben Christen keine fertigen Antworten. Wir haben nur die Gewissheit, dass auch in dieser Situation Jesus der Kyrios ist, und dass er als der milde, demütige arme König gerne auftritt. Praktisch heißt das, dass wir uns ihm anschließen und seinen paradoxen Weg als unseren Weg wählen, der Krise zu begegnen. Und da gibt es jede Menge zu tun: schauen, dass trotz Einschränkungen, die Menschen um uns die Zuwendung bekommen, die sie brauchen, Gemeinschaft auf anderen Wegen pflegen, Not lindern, wo wir können, die Menschen in der Ferne, an den Grenzen Europas und in ärmeren Ländern nicht aus dem Blick verlieren, beten. Und es gibt auf der geistig/ geistlichen Ebene auch Aufgaben: Über Freunde erlebe ich in den letzten Wochen eine regelrechte Flut an falschen Nachrichten, Verschwörungstheorien und Meldungen, die mal beruhigen, mal Ängste schüren, darunter leider haarsträubende Sachen aus frommen Kreisen. Auch da ist mir Jesus, der selbstbewusst und unerschrocken auf Konfrontation mit jedem Unrecht und jeder falschen Ideologie gegangen ist, eine große Hilfe. Da wünsche ich mir, da wünsche ich uns seine Entschlossenheit und seine Weisheit, ja seine Vollmacht, um im richtigen Augenblick den richtigen Denkanstoß zu geben.

Wenn wir heute das Fest des Einzugs in Jerusalem feiern, erinnern wir nicht eine anrührende Geschichte. Wenn wir «Tochter Zion, freue Dich» singen, dann, weil wir gerne Botschafter des Reiches Gottes sein wollen. Botschafter und Botschafterinnen eines Kyrios, der Liebe und Zuwendung zu seinem Programm gemacht hat und Machtideologien widerspricht und der dafür den höchsten Preis zahlen musste.

Darüber werden wir in der Karwoche weiter nachdenken mit Blick auf das Fest der Auferstehung. Dazu wünsche ich der Gemeinde Gottes Segen.

Amen