Jakob Rüb wird Pfarrer in der Stadt Marx an der Wolga:

Vor 30 Jahren hat Familie Rüb ihre Siebensachen in Russland zusammen gepackt und ist wie 2,4 Millionen andere Russlanddeutsche in die alte Heimat ausgewandert. Nun zieht es Jakob Rüb und seine Frau Irene zurück: Der 56-Jährige will ab Juni als Pfarrer der Evangelischen Kirche in Russland in der Stadt Marx an der Wolga im Gebiet Saratow arbeiten. Mit einem Gottesdienst im Wetzlarer Dom am 12. Mai wird der Mobilitätsberater für den Verkehrsverbund Rhein-Main in Weilburg zu diesem Dienst, der auf sieben Jahre ausgelegt ist, ausgesendet werden. Dazu kommt auch der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Ural, Sibirien und Ferner Osten (ELKUSFO), Alexander Scheiermann, aus Omsk.

Jakob Rübs Vorfahren waren einst der Einladung der Zaren gefolgt und wurden in Kasachstan angesiedelt. 1962 erblickte dort Jakob in dem 14.000 Einwohner zählenden Dorf Merki im Süden Kasachstans das Licht der Welt. Hier gehörte seine Familie zu einer evangelischen Gemeinde. Mit 14 Jahren, als die Regierung in Moskau es erlaubte, zog Jakob Rüb mit seiner Familie nach Marx im Wolgagebiet, bis 1920 Katharinenstadt. Die 31500 Einwohner zählende Stadt liegt am Ufer der Wolga. Sie gehörte von 1918 bis 1941 zum Autonomiegebiet der Wolgadeutschen und war dessen zweitgrößte Stadt und Verwaltungssitz.

Hier lernte Jakob Rüb seine Frau Irene kennen, die aus Kirgisien an die Wolga gekommen war. In Marx heirateten die beiden und die älteste Tochter wurde geboren. 1989 beschloss die Familie nach Deutschland auszureisen. Zunächst ging es nach Bramsche bei Osnabrück, später nach Aßlar und 1991 nach Wetzlar. In der Gnadenkirche in Büblingshausen begann der vor sechs Jahren verstorbene Vater Rübs, Russlanddeutsche um sich zu sammeln und Bibelstunden so zu gestalten, wie es die Besucher aus ihren Siedlungsgebieten kannten. Jakob Rüb hatte in Russland als Sport- und Militärlehrer gearbeitet, seine Frau war Erzieherin. „Als junger Mensch wollte ich vom Glauben meiner Eltern nichts wissen“, erinnert sich Rüb.

Ein schwerer Unfall brachte ihn zur Besinnung und zur Entscheidung für den Glauben. Seitdem unterstützte er den Vater bei den Bibel- und Gebetsstunden. Damals kamen fünf oder sechs Personen in den Kreis. 1997 war die Gruppe auf 35 Personen angewachsen. „Wir erreichen Russlanddeutsche, die vom Glauben nicht viel wissen, weil sie in einem atheistischen System aufgewachsen sind“, so Rüb, der heute die Arbeit des Vaters weiterführt. Sein Glaube an Gott und seine Liebe zu den Russlanddeutschen lassen ihn bis heute nicht ruhen.

Damals schlug der Büblingshäuser Pfarrer Karl-Oskar Henning (1937 – 2017) ihm vor, eine Prädikantenausbildung bei der Evangelischen Kirche im Rheinland zu absolvieren. Dessen Nachfolger Christian Silbernagel begleitete Rüb als Mentor. Nach zweieinhalb Jahren wurde Jakob Rüb mit der Verwaltung der Sakramente und dem Predigen beauftragt. Pfarrer Henning gab ihm auch den Rat, Theologie zu studieren. Das war möglich im sechsjährigen Fernstudium beim International Correspondence Institute, dessen deutsches Büro sich in Aßlar befindet, so dass er mit einem Bachelor diese Ausbildung abschloss. Auch die Ausbildung zum Notfallseelsorger hat er absolviert und wird meist gerufen, wenn Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion einen Schicksalsschlag erlitten haben. Im Jahr 2015 hat Rüb die Bibelstunden und Gottesdienste in die Magdalenenkirche verlegt. Jeden ersten und dritten Sonntag im Monat feierte er dort zudem einen Gottesdienst mit den Russlanddeutschen. Die Bibel- und Gebetsstunden sollen auch künftig weitergeführt werden.

Bischof Scheiermann hatte Jakob Rüb zum Jahreswechsel 2017/2018 nach Marx eingeladen, denn längst war man auf den Missionseifer des Theologen aufmerksam geworden. Nach dem zehntägigen Aufenthalt in seiner früheren Heimat in der Region von Saratow an der Wolga – 830 Kilometer südöstlich von Moskau – stellte Rüb fest, dass er eine große Offenheit für die christliche Botschaft erlebt habe. Die Begegnungen seien so bewegend gewesen, dass er nun als Seelsorger und Missionar zurückkehren wolle. Zwar habe er ursprünglich vor allem die weniger als 200 Lutheraner in der Region betreuen wollen, doch auch orthodoxe Christen und Atheisten hätten ihn um Erlaubnis gefragt, ebenfalls an den Veranstaltungen teilnehmen zu können. Russland habe sich stark verändert seit der Auswanderung vor dreißig Jahren. Durch den Zerbruch der Sowjetunion seien die Menschen stark verunsichert und suchten nach Halt. Durch den pastoralen Dienst und missionarische Aktivitäten will er Menschen zum Glauben an Jesus Christus einladen, fördern, begleiten und schulen. Motiviert sieht er sich durch den Aufruf von Paulus im Neuen Testament „Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen“ (Galaterbrief, Kapitel 6, Vers 10).

Mitte Juni wird Jakob Rüb zunächst alleine nach Marx ausreisen und sich um die Aufenthaltserlaubnis und eine Bleibe kümmern. Wenn er die Pfarrstelle übernommen hat, möchte er Evangelisationen veranstalten, Leute in die Kirche einladen, Seminare aufbauen, um Menschen in der Nachfolge Jesu Christi zu schulen. Er will sich um den Gemeindeaufbau, die Seelsorge und die Seniorenarbeit kümmern. Seine Frau Irene wird ihm im Herbst nachreisen und sich vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit engagieren.

Die ELKUSFO ist der Ausdehnung nach die größte lutherische Kirche der Welt. Ihr Gebiet erstreckt sich vom Ural bis zum Pazifischen Ozean. Zu ihr gehören aber nur 136 Gemeinden und gemeindliche Gruppen. Sie werden von 17 Pfarrern sowie über 100 Predigern und Gemeindeleitern betreut. Nach den Worten von Rüb gibt es in den 250 Quadratkilometern rund um Saratow nur zwei lutherische Geistliche.

Das Spendenaufkommen reicht nicht, um die Hauptamtlichen zu bezahlen. So wird auch Jakob Rüb über einen deutschen Unterstützungsverein bezahlt, die Kirchliche Gemeinschaft Bad Sooden-Allendorf. Weitere Träger sind die evangelische Stern-Kirchengemeinde Potsdam, die Protestantse Gemeente De Hoeksteen in Schoonhoven (Niederlande) sowie evangelisch-lutherische Brüdergemeinden. Das Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Wetzlar hat entschieden, diesen Dienst mit 5.000 Euro pro Jahr zu unterstützen. Rüb hofft, dass sich noch viele Spender an dem Einsatz beteiligen.

Den Entschluss, die Familie in Mittelhessen zurückzulassen und in Russland Gemeindeaufbau zu betreiben, sieht Rüb als persönlichen Auftrag von Jesus Christus. Er lasse sich von dem Bibeltext aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 6, Vers 33 leiten. Dort heißt es „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch dies alles zufallen“.

lr