Leitender Pfarrer Roland Rust tritt in den Ruhestand:

Motorradgottesdienste, Presbytertage, Synoden, Visitationen, rheinisches Jugendcamp, (Kreis)-Kirchentag, Hessentag, EKD-Synode in Wetzlar, Gemeindefeste auf dem Seeberg, Segeltouren mit Konfirmanden, Reformationsjubiläum, Jugendfreizeiten auf Kirchenkreisebene, Konfirmandentage – dies sind nur wenige ausgewählte kirchliche Ereignisse und Arbeitsfelder, die in die Amtszeit von Roland Rust fallen, die er miterlebt, mitinitiiert und mitgestaltet hat.

Zum 1. Juli wird der 65-jährige Theologe in den Ruhestand versetzt – nach mehr als 20 Jahren als Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Braunfels, anderthalb Jahren als leitender Pfarrer des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill und fast 34 Jahren als Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Kölschhausen mit den Dörfern Dreisbach, Niederlemp, Bechlingen, Breitenbach und Kölschhausen.

Zwei Jahre nach seiner Einführung als Gemeindepfarrer in Kölschhausen im Jahr 1986 amtierte Rust bereits als stellvertretender Schriftführer im Kreissynodalvorstand (KSV) Braunfels. Acht Jahre später wählte ihn die Synode zum stellvertretenden Superintendenten, ein Jahr danach in Nachfolge von Dieter Abel zum Superintendenten des Kirchenkreises Braunfels. Viermal wurde er während seiner Amtszeit insgesamt zum Superintendenten gewählt und hat mit drei Wetzlarer Superintendenten zusammengearbeitet. „Der KSV Braunfels war ein gutes Team, in dem ich mich sehr wohlgefühlt habe“, sagt Rust, der sich in diesem Gremium mit viel Herzblut engagiert hat. Eine Herausforderung sei es dabei gewesen, im KSV den pragmatischen und den geistlichen Auftrag zusammenzuhalten. Kirche auf unterschiedlichen Ebenen zu erleben war ihm wichtig, so auch als Mitglied des landeskirchlichen Nominierungsausschusses und als Vorsitzender des landeskirchlichen Fachbeirates für Gemeindeberatung und Organisationsentwicklung.

Als Brückenbauer hat sich der Seelsorger und einfühlsame Prediger verstanden: zwischen den Gemeinden und dem Kirchenkreis, dem Kirchenkreis und der Landeskirche, den Dörfern seiner Gemeinde und auch zwischen den unterschiedlichen Glaubens- und Frömmigkeitsformen. „Es geht in der Kirche nicht darum, dass Einzelne ihre Einsichten durchsetzen“, macht Rust deutlich, „wir sind gemeinsam unterwegs und sitzen alle in einem Boot“. Dabei stehe die Frage im Mittelpunkt, wie sich Christen wechselseitig tragen und ertragen: „Wie können wir bei gleicher Quelle in aller Unterschiedlichkeit gemeinsam unterwegs sein?“ Kirche sei ein Experimentierfeld, wo alle mit ihren Ecken und Kanten Platz hätten. „Das gilt es zu trainieren“, ist er überzeugt. „Und ich darf mir klarmachen: ‚Gott nimmt mich, wie ich bin – aber auch die anderen um mich herum‘.“

Wichtig war ihm in seiner Amtszeit, nicht nur die Menschen im Kirchenkreis, sondern auch die aus den weltweiten Partnerschaften mit ins Boot zu holen – ob aus Botswana, Burkina Faso, Indonesien, Tschernobyl, Erfurt, Bitterfeld (ehemalige Partnergemeinde der Kirchengemeinde Kölschhausen) und nach der Vereinigung der Kirchenkreise auch aus Namibia, Tambow, Colchester und Siena. „Wir können nicht für uns alleine Kirche sein“, sagt der Theologe und denkt dabei auch an die Geflüchteten in der Region und weltweit. Wobei Roland Rust zu den Themen Flucht und Freiheit und der Frage „Wo kann ich Wurzeln schlagen?“ in Verbindung mit der deutschen Geschichte einen ganz persönlichen Bezug hat:

1954 in Aschersleben (DDR) geboren, floh der Sohn einer Bäckerfamilie bereits als Kind mit seinen Angehörigen nach Westdeutschland. Dort begann er in Aachen nach der Schulzeit zunächst mit dem Studium der Elektrotechnik und nahm dann sein Theologiestudium in Berlin auf, das er in Heidelberg, wo er sich gleichzeitig zum Telefonseelsorger ausbilden ließ und in Bonn abschloss. Dort hat der Theologe zudem sein Vikariat und seine Zeit als Pastor im Hilfsdienst absolviert. In der dortigen Lukasgemeinde baute er die Kindergottesdienstarbeit auf und gestaltete unter anderem die offene Jugendarbeit mit. Hier wurde er auch 1986 ordiniert bevor er im gleichen Jahr seine Pfarrstelle in Kölschhausen antrat.

Kirche ist für den leitenden Pfarrer „persönlich eine Wohltat, aber auch für die Gesellschaft“: „Wir haben hier eine Funktion der Unterstützung und Anteilnahme, aber auch des Wächters.“ So hat Rust sich an Gottesdiensten in Bellersdorf beteiligt, wo ehemals Atomwaffen gelagert wurden sowie am Einsatz gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Er tat dies gleichzeitig mit einer Frömmigkeit, die das Traditionelle wertschätzt und pflegt. Dass Konfirmanden Bibel-, Katechismus- und Liedtexte auswendig lernen, um für schwierige Zeiten gerüstet zu sein, findet er wichtig. Das Lesen und Diskutieren von Bibelabschnitten hat besonders in der Gemeinde einen wichtigen Raum eingenommen, denn Roland Rust hatte gern Kontakt zu den Menschen und kam mit ihnen immer wieder über Glaubensfragen ins Gespräch. „Der Glaube und die Gemeinde tragen“, sagt Rust, der dies auch sehr persönlich so erfahren hat.

Theologen wie Martin Fischer und Helmut Gollwitzer, die sich dafür einsetzten, die Gegenwart aus dem Erbe der Bekennenden Kirche zu gestalten, wurden zum Vorbild für Roland Rust und haben sein Denken und Wirken geprägt. Aber auch Walter Hollenweger, Florian Sorkale und Peter von der Osten-Sacken, Leiter des Instituts „Kirche und Judentum“ in Berlin, sind seine theologischen Lehrer gewesen. Aus Gesprächen mit Überlebenden des Holocaust im Kibbuz in Israel und auch aus Kontakten mit ehemaligen KZ-Häftlingen bei einer Rundreise durch Polen in jungen Jahren ist sein Engagement für den Christlich-Jüdischen Dialog entstanden. „Es waren die weltzugewandten, gleichzeitig frommen Theologen, die mich geprägt haben“, sagt er. Den Anfang aber hat sein Großvater gemacht, der Presbyter in einer reformierten Gemeinde war. „Der war mein Gesprächspartner“, erzählt Rust. „Er hat mein Interesse für die Theologen Sölle, Bultmann und Barth geweckt.“

An der reformierten Tradition, die auch den Kirchenkreis Braunfels geprägt hat, sind dem leitenden Pfarrer die Reduktion auf das Wesentliche und der Weltbezug wichtig. Zudem entspricht die gemeinschaftliche Leitung in Kirchenkreis und Kirchengemeinde der reformiert-theologischen Haltung. „Das presbyterial-synodale System unserer rheinischen Kirche ist genial“, sagt Roland Rust. Die Entscheidungen liegen hier nicht bei Einzelpersonen, sondern bei auf Zeit gewählten Gremien, in denen jede Begabung zählt. So hat der Theologe seine Arbeit im KSV als Zuarbeit für die Gemeinden verstanden. „Ich wollte dazu beitragen, dass die Menschen im Kirchenkreis als selbstbewusste, kompetente Christen entscheiden können.“ Dazu sei es wichtig gewesen, viele Gelegenheiten im Kirchenkreis zu schaffen, in denen Menschen sich begegnen und Gemeinde leben konnten. So beispielsweise beim „Ideentag“ zur Vereinigung der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar vor drei Jahren. Da waren alle Pfarrer, Mitarbeitende und Presbyter eingeladen, „ins ‚Unreine‘ zu denken, zu reden und Ideen zu entwickeln“. Dafür hatte Rust sein Kanu zur Verfügung gestellt, aus dem ein Kirchenschiff entstand, das mit an bunten Luftballons befestigten Ideenzetteln auf Reise in die Zukunft gehen konnte.

Perspektivisch wünscht der Seelsorger sich für seine Kirche, „dass wir wach bleiben, dass wir ein Ohr für die Menschen haben und damit rechnen, dass Gott in dieser Welt präsent ist.“ Und dass in der Kirche eine Atmosphäre geschaffen wird, in der auch Unfertiges erlaubt ist.

Für den Ruhestand hat Roland Rust sich vorgenommen, erst einmal innezuhalten. Dann möchte der Theologe, der mit Cornelia Heynen-Rust, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Biskirchen, verheiratet ist, schauen, wo er in der Gemeinde seinen Beitrag leisten kann. Er freut sich darauf, Zeit für Familie und Freunde zu haben, zu lesen, das biblische Hebräisch aufzufrischen, zu backen, zu kochen, im Garten zu arbeiten sowie  Motorrad und Fahrrad fahren zu können. Und natürlich darauf, mit seinem Kanu unterwegs zu sein.

 

Verabschiedung
Der geplante Termin zur Verabschiedung des leitenden Theologen am Sonntag, 28. Juni, muss aufgrund der aktuellen Situation verschoben werden. Der Festgottesdienst, in dessen Rahmen der Präses der rheinischen Kirche, Manfred Rekowski, Roland Rust von seinem Dienst entpflichten wird, ist nun für Samstag, 5. September, vorgesehen. Aufgrund der aktuellen Situation kann der Gottesdienst nur im kleinen Kreis stattfinden.

Anstelle von Geschenken bittet Roland Rust um eine Spende für die „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ per Überweisung auf folgendes Konto:

Evangelisches Kirchenamt an Lahn und Dill
IBAN: DE59 5155 0035 0010 0309 06
BIC: HELADEF1WET
Stichwort „Verabschiedung Roland Rust“.

bkl
[vc_gallery interval=”5″ images=”10251,10252,10253″ img_size=”full”]Bild 1: Mehr als drei Jahrzehnte als leitender Pfarrer in Kirchenkreis und Kirchengemeinde unterwegs: Roland Rust sieht sein Faltboot, mit dem er gern, wie hier auf der Lahn, unterwegs ist, auch als Symbol für eine Kirche, die andere mit ins Boot holt.
(Foto Barnikol-Lübeck)

Bild 2: Pfarrer Roland Rust (Mitte) wurde 1998 vom Präses der rheinischen Kirche Manfred Kock (r.) als Superintendent des Kirchenkreises Braunfels eingeführt. Eingeführt wurden auch Manfred Kimpel (l.) zum Assessor und Cornelia Heynen zur stellvertretenden Skriba. Es assistierten Superintendent i.R. Dieter Abel (l.) und KSV-Mitglied Ilse Michalak (vorne).
(Foto Stiewink)

Bild 3: Beim Ideentag zur Vereinigung der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar
hatte Roland Rust (Mitte) sein Kanu zur Verfügung gestellt, um kreativ Impulse für die Zukunft des neuen Kirchenkreises sammeln zu können.
(Foto: Barnikol-Lübeck)