Unter veränderten Bedingungen Kirche sein mit Gestaltungskraft:

Die Kirche hat nur als Ökumene eine Zukunft. Diese Ansicht hat Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau (EKHN), bei einem ökumenischen Empfang in der Kreuzkirche in Wetzlar geäußert. In Wetzlar gehören die Kirchengemeinden Hermannstein und Naunheim zur EKHN.
Der 62-Jährige, Mitglied im höchsten Gremium der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Rat der EKD, sprach auf Einladung der Evangelischen Kirchengemeinde Wetzlar und der katholischen Pfarrei „Unsere Liebe Frau“ Wetzlar. Als Hausherr konnte Pfarrer Jörg Süß rund 70 geladene Gäste aus Politik, Gesellschaft und Kirche begrüßen. Unter den Besuchern waren auch Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD), der FDP-Landtagsabgeordnete Matthias Büger und Vertreter der im Parlament vertretenen Parteien sowie Superintendent Hartmut Sitzler.

Der Kirchenpräsident präsentierte seinen Vortrag in drei Schritten, in denen er sich zunächst mit der Kirche in schwieriger Zeit beschäftigte. Dabei wies er auf das Ergebnis einer Umfrage zur ARD Themenwoche „Was hält uns zusammen?“. Darin nahm die Kirche mit 27 Prozent einen der hinteren Ränge ein. „Die Kirche befindet sich in einer Glaubwürdigkeitskrise. Dazu trägt auch die sexuelle Gewalt in der Kirche bei“, sagte Jung, der auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der EKD ist. Missbrauch gebe es auch in anderen gesellschaftlichen Gruppen, aber bei der Kirche sei die Fallhöhe tiefer. Das Thema sei nicht zu bagatellisieren.

Jung wies auf eine soziologische Studie hin, die den Trend zur Individualisierung untersuchte. „Das Ich zählt mehr als das Wir“. Damit gehe eine Skepsis gegen Institutionen, Parteien, Vereine und Kirchen einher. „Wir haben die Menschen ermutigt, selbstständig zu sein“, erläuterte der Referent. Er finde die Trennung von Kirche und Staat als große Errungenschaft, die aber einen Bedeutungsverlust für die Kirche bedeute. Er wolle nicht mehr zurück zu der vermeintlichen besseren Zeit. „Wir haben als Kirche auch dafür geworben, sich zu entscheiden, auch für den Glauben“. Es gehe darum, dass Menschen für sich entdecken, dass der Glauben eine Bedeutung für ihr Leben habe. Das scheine für immer weniger Menschen der Fall zu sein. Gottesdienste hätten sich verändert, seien vielfältiger geworden. Auch die Beteiligung der Menschen an ihrer Kirche. Das gelte nicht nur für die evangelische Kirche. Dabei verwies er auf den sogenannten „Synodalen Weg“ in der katholischen Kirche in Deutschland, der eine gemeinsame Teilhabe am Weg der Kirche fordert. Zudem geht es um Sexualität und Partnerschaft, um das Verständnis des Priesteramtes und die Rolle der Frauen in der Kirche. Die Freiburger Soziologen kämen zu dem Ergebnis, dass die Kirche in den Veränderungen auch vieles richtig gemacht habe.

Der Kirchenpräsident verwies in diesem Zusammenhang auf die  Schwesterkirche in den Niederlanden. Hier habe man sich, in Folge zurückgehender Mitgliederzahlen, zu sehr auf die herkömmlichen Strukturen zurückgezogen. Mit der Folge einer gesellschaftlichen zurückgehenden Bedeutungslosigkeit. Auch in Irland breche alles zusammen. Dort hat die Kirche auch mit dem Missbrauch zu tun.

Kirche muss sich immer verändern, aber nicht allem hinterher laufen“, erläuterte der in Schlitz im Vogelsberg geborene Jung. Sie solle Menschen möglichst viele Anknüpfungspunkte aufzeigen.

Unter dem Punkt „Wie Kirche sich verändert“ wies Jung darauf hin, dass die EKHN im Jahr 1948 rund 1,8 Millionen Mitglieder hatte in 42 Dekanaten (Bezirken). Heute seien es noch 1,4 Millionen in 25 Dekanaten. Bei sinkenden Mitgliederzahlen befinde sich seine Kirche in einem Reformprozess. Sie stärke regionale Kooperationen. Bis 2030 wolle die Kirche angesichts zurückgehender Kirchensteuer 14 Millionen Euro einsparen. Deshalb müsse sie sich von Gebäuden lösen, damit auch die nächste Generation die Kirche noch tragen könne. Bis 2060 werde sich die Mitgliederzahl halbieren.

„Gemeinden werden anders sein, aber es wird sie noch geben und hat noch Gestaltungskraft“, war einer von Jungs Kernsätzen. Es komme darauf an, wie Christen ihren Glauben leben. Kirche brauche mehr Mitglieder- und Gemeinwesenorientierung. „Das Evangelium ist eine Botschaft, die an jeden einzelnen gerichtet ist. Daneben ist es eine Botschaft, die eine gesellschaftsprägende Kraft hat“, sagte der Referent. Das Entscheidende sei nicht die Form, sondern dass man von innen heraus spüre, was die Menschen in der Kirche bewege. Dadurch würde sie wieder Glaubwürdigkeit gewinnen. Christen sollten glaubensfroh, dienend und ökumenisch leben.

„Ich glaube, dass wir nur ökumenisch eine Zukunft haben“, sagte Jung. Solange Gott Menschen bewege, habe Kirche Zukunft. In einem dritten Schritt ging Jung auf die geistliche Perspektive ein. „Die Ausrichtung auf Christus brauchen wir“. Das Vertrauen, dass Gott am Werk ist, gebe der Kirche Kraft.

red

Bild 1: Kirchenpräsident Volker Jung referierte in der Kreuzkirche über die Zukunft der Kirche.

Bild 2: „Die Kirche hat nur in der Ökumene eine Zukunft“: Kirchenpräsident Volker Jung (Mitte) mit dem envangelischen Pfarrer Jörg Süß (r.) und dem katholischen Pfarrer Peter Hofacker (l.).

Bild 3: Im Gespräch (v.l.): Oberbürgermeister Manfred Wagner, Finanzkirchmeister Jens-Michael Wolf und Tafel-Leiter Christof Mayer.