“Burkina Faso aus junger Sicht” war der Titel eines Vortrags, zu dem die kreiskirchliche Tikato-Gruppe am Dienstagabend in die Kreuzkirche eingeladen hatte. Tikato-Vorsitzende Heidi J. Stiewink hieß dazu rund 60 Gäste willkommen, die mit großem Interesse den Ausführungen des 22-jährigen Burkinabé Joel Bazie folgten. Der Sohn des Direktors des Entwicklungsbüros der evangelischen Kirchen in Burkina Faso, Etienne Bazie, mit dem die heimischen Tikato-Vertreter seit vielen Jahren zusammen arbeiten, ist für sieben Tage in Wetzlar zu Besuch und freute sich besonders auf viele junge Leute. Nach einem kurzen fotografischen Ausflug in das westafrikanische Land, in dem der hiesige Arbeitskreis in 40 Jahren schon mehr als 170 Projekte angestoßen und finanziell unterstützt hat, stellte Joel Bazie zunächst sich und seine Ziele vor. “Ich danke allen Menschen hier für die Aktionen, die in Burkina Faso durchgeführt werden und freue mich über das große Interesse heute Abend”, so Bazie zu der großen Runde in familiärer Atmosphäre.
Er selbst hat in seiner Heimatstadt Ouagadougou bereits den Bachelor-Titel in Kommunikation in Organisationen erreicht und studiert derzeit in Brest das Management internationaler Projekte. “Ich möchte eine gute Ausbildung haben, besser verstehen, wie die Arbeit in Europa läuft und Erfahrungen sammeln, von anderen Kulturen lernen, weil die Welt ein Dorf geworden ist und meine Kompetenzen später in meinem Heimatland anwenden”, nannte Bazie seine Ziele und unterstrich, dass sein Weg eine große Ausnahme ist: “Nur 58 Prozent der Kinder besuchen überhaupt eine Grundschule, von denen nur 19 Prozent eine weiterführende Schule besuchen können und nur ein Prozent kommen an eine Uni”, erläuterte Bazie die Situation – trotz Schulpflicht.
Sein Vater studierte, weil der Bürgermeister dessen Vater mit Gefängnis drohte, wenn sein Kind nicht zur Schule geht. Ein Stipendium ermöglichte das Studium zum Agrar-Ingenieur, eine glänzende Zukunft für seine Familie und sein Engagement für die bessere Zukunft seiner Landsleute. Diese leben in Lehmhütten, es gibt keine Maschinen für die Landwirtschaft, auch die Arbeit in Steinbrüchen wird zumeist von Frauen und Mädchen von Hand geleistet, die größtenteils früh morgens schon Gemüse auf dem Markt verkauft haben. “Unser Reichtum sind Kinder, die die Weisheit der Älteren respektieren, in 63 Ethnien zusammen leben und eine Vision haben: Ein Land, das viele Möglichkeiten bietet, in dem Bildung kein unerfüllter Traum ist und man etwas unternehmen kann, um autonom zu sein”, brachte Bazie die Ziele der jungen Leute auf den Punkt.
Bei 82 Prozent Bevölkerung, die von Landwirtschaft lebt, für die es viel zu wenig Land gibt, das vom Klimawandel zudem immer weniger wird, sieht Bazie jedoch schlechte Chancen. “Die ehemaligen Kolonialherren in Frankreich investieren zwar, doch in die Industrie und Energie, statt in Bildung und Landwirtschaft”, bedauert Bazie. Die neue Regierung nehme sich zwar der Probleme an, die noch dazu von terroristischen Anschlägen verschlimmert werden, hat aber zu wenig Geld, um nachhaltig etwas zu ändern.

Die rege Fragerunde ergab, dass in Burkina Faso die Frauen für den Lebensunterhalt der Familie sorgen und die Hausarbeit und Erziehung leisten. In Sachen Verhütung vollzieht sich langsam ein Wandel, denn traditionell waren viele Kinder ein Zeichen von Reichtum, weil sie viele Mitarbeiter bedeuteten. “Heute hat man weniger Kinder, weil es so eher möglich ist, auch für ihre Bildung zu sorgen”, so Bazie. Bildung kostet in der Grundschule 50 Euro pro Jahr, an weiter führenden Schulen ungefähr das Doppelte und an den Unis 20 Euro – Lernmittel und Kleidung kommen dazu. Als weiteres Problem der Bildung sieht Bazie vor allem, dass dem Staat das nötige Geld für den Bau von Schulen fehlt. Die Perspektiven nach der Schule sind denkbar schlecht, da es keine Garantien auf Arbeitsplätze gibt. Allein bei den Akademikern beträgt die Arbeitslosenrate zwischen 40 und 50 Prozent und ist in den unteren Schichten noch höher. Auch hier bemühe sich die Regierung redlich.
Anwesende junge Flüchtlinge aus Albanien fragten, warum die jungen Leute bei den schlechten Aussichten nicht nach Europa gehen, um zu arbeiten. Joel Bazie, gab als Beispiel seinen Cousin an, der beim Untergang eines der völlig überfüllten Schiffe nach Europa umkam.

“Wenn ich die Wahl hätte, würde ich gerne bei einem Projekt arbeiten, das soziale Dimensionen hat.” Joel Bazies brennendste Frage ist die Vorstellung der jungen Leute in Deutschland, wie es mit der Partnerschaft innerhalb von Tikato weiter geht, da diese Hilfe in seiner Heimat eine Menge Nutzen bringt. “Wir haben vor 40 Jahren als junge Leute angefangen und viel bewegt, doch der Nachwuchs fehlt, deshalb stellen wir unsere Arbeit immer wieder in der Öffentlichkeit und den Kirchengemeinden vor”, so Heidi Janina Stiewink, die sich gerne als Ansprechpartnerin zur Verfügung stellt.

hp[vc_single_image image=”4330″ img_size=”full”]Bild: Joel Bazie betätigte sich auch musikalisch – mit der in Burkina Faso traditionell gespielten Trommel.