Videokonferenz zur interreligiösen Friedensarbeit:

Premiere beim Wetzlarer Gespräch: Zum ersten Mal seit fast 60 Jahren war der Referent nicht persönlich anwesend. Dennoch erlebten die Teilnehmenden im Evangelischen Gemeindehaus Hermannstein einen inhaltlich informativen wie persönlich bewegenden Abend.

Die beiden ursprünglich vorgesehenen Referenten, Sheikh („Scheich“) Ghassan Manasra  und Rabbi Mordechai Zeller, Seelsorger der jüdischen Gemeinde an der Universität von Cambridge und klinischer Psychologe, hatten nämlich kein Visum bekommen. Ghassan Manasra  konnte jedoch über eine Videokonferenz der Veranstaltung zugeschaltet werden. Der ordinierte Scheich des Qadiri Sufi Ordens im Heiligen Land ist gleichzeitig internationaler Direktor der Abrahamic Reunion und Gründer des Anwar-il-Salaam Friedenszentrums in Nazareth. Aus Sicherheitsgründen lebt er heute in Florida.

Darüber, wie Menschen unterschiedlicher Religionen in Krisenregionen friedlich miteinander leben können, ging es in seinen Ausführungen. Eingeladen hatten die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar, der Sozialethische Ausschuss und der Arbeitskreis Frieden in den Evangelischen Kirchenkreisen Braunfels und Wetzlar.

Pfarrer Wolfgang Grieb, Syondalbeauftragter für das Christlich-Jüdische Gespräch und Heilpraktiker für Psychotherapie Björn Rech aus Wetzlar, Mitglied und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Abrahamic Reunion („Abrahamische Wiedervereinigung“) in Deutschland,  gaben zunächst anhand eines Videos Einblick in die Arbeit der Nichtregierungsorganisation in Israel.

Bei der „Abrahamic Reunion“ handelt es sich um eine Gemeinschaft religiöser Führungskräfte, zu der weibliche wie männliche Juden, Muslime, Christen und Drusen gehören, für die Abraham als Stammvater aller Weltreligionen ein maßgeblicher Glaubenszeuge ist und die sich für den Frieden in Israel/Palästina einsetzt. Dabei gehen die Verantwortlichen davon aus, dass es bei den beiden tief traumatisierten Völkern eigentlich um einen Familienkonflikt geht (beide haben Abraham als Vater).

2004 gegründet, hat die Abrahamic Reunion seitdem jedes Jahr interreligiöse Friedenssitzungen abgehalten, an denen oft hunderte Menschen verschiedener Glaubensrichtungen teilnehmen. Die Organisation möchte dazu beitragen, dass Menschen unterschiedlicher Religionen Toleranz und Verständnis für die religiösen Gebräuche des jeweils anderen entwickeln und so ein harmonisches Miteinander entsteht. Zum Programm gehören zudem die Vernetzung mit anderen Friedensinitiativen, dahingehende Aus- und Fortbildung, spirituelle und interreligiöse Angebote, Feiern und Aktionen für Jugendliche.

Sheik Ghassan Manasra, der seit 2008 in der Abrahamic Reunion aktiv ist, sagte, es sei ein natürliches Bedürfnis der Menschen, Verbindungen zueinander zu knüpfen. Dem Koran entsprechend habe Gott die Menschen unterschiedlich geschaffen, damit sie einander kennen und verstehen lernen: „Wenn du den anderen kennst, wird der Schleier der Feindschaft verschwinden.“ So sei es wichtig, einen Menschen, der seinem Ärger Ausdruck gibt, nicht gleich zu verurteilen, sondern sich geduldig um Verständnis zu bemühen: „Unser Weg heißt: hinhören, zuhören, mitfühlen.“ Denn manche, die sich früher über ihn aufgeregt hätten, seien heute seine besten Freunde, erzählte der studierte Islamwissenschaftler. „Sie sind ein Teil von mir, denn wir sind doch alle Menschen.“

Spannend wurde es, als Ghassan Manasra von der Entwicklung seiner Friedensprojekte mit Israelis und Palästinensern berichtete. Nachdem die Politiker keine Zeit für seine Ideen hatten, bemühte er sich um Erzieher, da sie Einfluss auf die folgenden Generationen haben. Doch mit seinem Plan, Juden, Christen, Muslime und Drusen gemeinsam in sein Erziehungsprojekt einzubeziehen, stieß er bei den Schuldirektoren in Jerusalem zunächst auf taube Ohren. Als sie sich schließlich doch darauf einließen, waren hinterher alle froh, dass diese Treffen organisiert worden waren. Als weiteres Beispiel nannte er das Projekt „Familienforum“, bei dem Eltern verschiedener Religionen sich kennen lernen, miteinander diskutieren und spirituelle Texte miteinander teilen, während ihre Kinder miteinander spielen. Danach kochen und essen alle miteinander. Dieses Projekt hat sich zum Selbstläufer entwickelt, denn es entstehen Freundschaften und die Menschen treffen einander öfter, weil sie es selbst so wollen.

Aber auch das machte Ghassan Manasra deutlich: „Wir müssen die Menschen, mit denen wir zusammen arbeiten, beschützen können.“ Das gelinge nicht immer.  So habe er selbst erlebt, wie sein 15jähriger Sohn von radikalen Muslimen angegriffen wurde und im Koma lag: „Wir haben als Eltern einen hohen Preis bezahlt.“ Dennoch
wird der Scheich seine interreligiöse Friedensarbeit, der er sich innerlich verpflichtet fühlt, weiterführen: „Ich muss es einfach tun.“

„Unser Weg ist kein leichter, aber auch kein schwerer, es ist ein heiliger Weg“, resümierte Sheik Ghassan Manasra am Schluss. „Letztendlich werden wir siegen“, zeigte er sich überzeugt. „Wir sind nicht so schwach, wie wir denken.“

Weitere Informationen sind unter www.abrahamicreunion.org im Internet zu finden.

bkl

Bild 1: Per Videokonferenz dem Wetzlarer Gespräch  über lebendige Friedensarbeit in Krisenregionen durch interreligiösen Dialog zugeschaltet: Scheich Ghassan Manasra.

Bild 2: Gespannt folgten die Zuhörerinnen und Zuhörer im Evangelischen Gemeindehaus Hermannstein den Ausführungen von Sheik Ghassan Manasra (vorne,v.l. Pfarrer Wolfgang Grieb und Mitglied der Abrahamic Reunion Björn Rech).

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