Okko Herlyn präsentiert Kirchenkabarett zum 500. Reformationsjubiläum:

Vielleicht wird die eine oder andere evangelische Kirchengemeinde nach diesem Abend ihre Liturgie umkonzipieren müssen. Denn was dort zu hören war, wirkt nach, spätestens beim nächsten Gottesdienstbesuch. Andere, die nur selten in die Kirche gehen, wissen jetzt zumindest, was sie sonntäglich verpassen.

Mit seinem Programm „Hier stehe ich, ich kann auch anders“ hat Okko Herlyn, evangelisch-reformierter Theologe, Kabarettist und Buchautor, am Tag des 500. Reformationsjubiläums rund 730 Menschen in der Stadthalle Wetzlar zu zahlreichen Heiterkeitsausbrüchen, aber auch immer wieder zum Nachdenken gebracht.

Eingefahrene Gewohnheiten wurden liebevoll-kritisch aufs Korn genommen, das alltägliche Leben der Kirchenleute aus neuen Perspektiven beleuchtet.Ein Aha-Erlebnis dürften beispielsweise viele gehabt haben, als es hieß: „Ich möchte mit Ihnen jetzt gerne das Vaterunser beten und Sie bitten, dazu aufzustehen, sofern Sie dazu körperlich, seelisch, geistig, nervlich, moralisch, sozial, wirtschaftlich oder finanziell in der Lage sind.“ „Sofern Sie dazu in der Lage sind“, heißt es beim Vaterunser oft in Gottesdiensten – aber wer steht schon auf, wenn er dazu nicht in der Lage ist?

Wortgewandt und ironisch, mit sympathischem Ruhrpott-Dialekt lässt der Pfarrer und Professor aus Duisburg seine Zuhörer zu Zeugen eines Familiengottesdienstes werden, der sich um einen bedeutungschwangeren Reißverschluss dreht und quasi notgedrungen ohne biblische Geschichte auskommt.

„Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.“ – So soll es Luther der Überlieferung nach 1521 auf dem Reichstag zu Worms gesagt haben, als Ausdruck seiner standhaften Glaubensüberzeugung. Denn zum Widerruf seiner Lehre war er nicht bereit. Diese Einstellung ist auch für Herlyn brandaktuell, wenn er entschlossen für den Frieden eintritt oder dafür, sich angesichts eigener Träume und hungernder Kinder nicht mundtot machen zu lassen: „Was hier geschieht, ist unser Ding, drum mischen wir uns ein!“ singt er, sich selbst am Keyboard begleitend, in dem Lied, das mit den Worten „Das kannst du nicht, verstehst du nicht, dafür bist du zu klein“ begonnen hat. Denn schließlich markiert Martin Luthers Statement die Geburtsstunde der modernen Meinungsfreiheit.

Dass der Bühnenakteur sich nicht nur im Gottesdienst sondern auch in den komplexen evangelisch-kirchlichen Strukturen bestens auskennt, erfuhr das angetane Publikum als es um die Problematik von Sinnkrisen und innerer Leere ging. „Heribert ist momentan sehr mit einer wissenschaftlichen Studie über Qualitätsmanagement in sozial-diakonischen Einrichtungen im Kirchenkreis befasst und hat erst einmal damit begonnen, seinen eigenen Schreibtisch aufzuräumen.“ Als Beispiel angeführt wird auch „Torsten, der anderen eine Grube gräbt, um selbst bewusster hineinzufallen“.

Kein Problem ist es auch für den einsatzfreudigen Kabarettisten, komplizierte theologische Zusammenhänge wie Luthers Zweireichelehre oder Calvins Prädestinationslehre anschaulich zu erklären.

Vergnüglich zudem die Probe eines Kirchenchores, die über Stimmübungen nicht hinauskommt. Okko Herlyn demonstrierte dies ganz praktisch, indem er sein Publikum beim Singen von „Martha möchte morgens manchmal  Marmorkuchen machen“  aktiv einbezog und hinterher sein schauspielerisches Talent bewies, als er den Eingeschnappten spielte. Entsprach die Leistung der Sängerinnen und Sänger doch keineswegs seinen anspruchsvollen Vorstellungen.

Das Publikum war begeistert – kein Wunder, dass auch noch eine zweite Zugabe folgte.

„Wir feiern, dass wir uns von Martin Luther daran erinnern lassen, dass wir vor Gott freie, gerechtfertigte Menschen sind“, hatte der Wetzlarer Superintendent Jörg Süß in seiner Begrüßung über den Anlass des Festes „500 Jahre Reformation“ gesagt.

Oberbürgermeister und Schirmherr Manfred Wagner, der für die Stadt Wetzlar und den Lahn-Dill-Kreis grüßte, bedankte sich für „viele bereichernde Veranstaltungen zum Reformationsjubiläum“, das die Chance zur lebendigen Fortentwicklung von Kirche und Demokratie in Zeiten biete, in denen es oft an Verstehen und Verständnis fehle. Zugleich machte er Mut, den Geist der Reformation mit Freude weiterzugeben.

Pfarrer Dr. Hartmut Sitzler, Vorsitzender des Arbeitskreises Reformationsjubiläum, dankte Okko Herlyn mit einem Buchgeschenk.

Buchtipp: Okko Herlyn, Hier stehe ich, ich kann auch anders. Luther unkorrekt, Mercator-Verlag Duisburg, 2. Auflage 2017, ISBN 978-3-87645-208-1, 8,90 €

und als Audio-CD: Evangelisches Medienhaus Bielefeld, 12 €

bkl

[vc_gallery interval=”5″ images=”3964,3965,3966″ img_size=”full”]Bild 1 und 2: „Hier stehe ich, ich kann auch anders“ – Okko Herlyn, Theologe und Kabarettist, präsentierte zum Reformationsjubiläum humorvolle Einsichten über den evangelischen Kirchenalltag.

Bild 3: Mit viel Spaß verfolgte das Publikum in der Wetzlarer Stadthalle Okko Herlyns einfallsreiches Programm.