Seltene Einblicke in Baugeschichte:

Eine nicht alltägliche Führung haben fünf Besucher des Wetzlarer Doms am Tag des offenen Denkmals mit dem Thema „KulturSpur“ erlebt. Jens-Michael Wolf und Mechthild Komesker von den „Domrettern“ sind mit ihnen auf dem Baugerüst vier Etagen zu den Sanierungsarbeiten hinaufgestiegen.

„Bitte setzen Sie einen Helm auf“, sagte Wolf, der als Vertreter der evangelischen Kirchengemeinde die fast einstündige Besichtigung leitet, während Komesker die katholische Gemeinde vertrat.

Seit dem 16. Jahrhundert wird der Dom als Simultankirche geführt, also von beiden Konfessionen genutzt. Wolf öffnet den Bauzaun mit einem Schlüssel und einem beherzten Anheben, dann treten die Besucher ans Baugerüst. Sofort schließt er den Bauzaun wieder, „sonst haben wir schnell mehr Gäste“.

Sanierung der Fassaden kostet zwei Millionen Euro

Aus Sicherheitsgründen sei die Führung mit dem Titel „Wie kommt das Krokodil an den gotischen Turm?“ auf wenige Personen beschränkt. Als es die Stufen am Gerüst hinaufgeht, ist zu merken, warum die „Domretter“ auf Sicherheit setzen. Ein falscher Tritt und man kann abstürzen.

Immer höher hinauf geht es, bis Wolf und Komesker auf der vierten Etage des Baugerüstes Halt machen. Die Teilnehmer erfahren, dass Wasser, aber auch Moose und Flechten, der Fassade und der reichlich verzierten Ornamentik zusetzen. Steinbrocken werden abgewaschen, Löcher entstehen, den Figuren fehlen teilweise Gesicht oder Hände. Die Restauratoren müssten Löcher stopfen, ganze Steinteile nachbilden und austauschen. An einigen Stellen wurde Lasertechnik eingesetzt, um den 1490 fertiggestellten gotischen Turm mit seinen 51 Metern Höhe zu retten.

Wind und Wetter haben die dem Domplatz zugewandten Fassaden (West- und Südseite) angegriffen. Insgesamt 120 neue Stücke seien bislang verbaut worden. „Die Arbeiten, die jetzt ausgeführt werden, halten vielleicht 50 Jahre. Danach müssen die Fugen wieder erneuert werden“, erläuterte Wolf, der froh ist, dass die „Domretter“ die Finanzierung gemeinsam tragen. Für die beiden Fassaden, die erneuert werden oder wurden, rechnet er mit Kosten von zwei Millionen Euro. Geld, das die „Domretter“ über Spendenaktionen hereinholen, denn dieses einzigartige Gebäude soll für künftige Generationen erhalten werden.

Ursprünglich stand eine romanische Kirche anstelle des Doms. Als sie kaum 50 Jahre fertig war, entschlossen sich die Wetzlarer, ein gotisches Gotteshaus zu errichten. „Wie es damals üblich war, wurde der gotische Dom über die romanische Kirche gebaut. Aber im 14. Jahrhundert ging der Stadt das Geld aus“. So kommt es, dass die beiden geplanten hohen Türme fehlen und Teile des romanischen Gotteshauses weiterhin stehen. Dass der Dom eine immerwährende Baustelle ist, die nie fertiggestellt wurde, macht ihn zu einer Besonderheit.

An der Nordwestseite wurde 2013 und 2014 der Sandstein großflächig erneuert. Das ist daran zu erkennen, dass die Steine heller sind als der restliche Kirchenbau. „Das werden wir immer gefragt bei den Stadtführungen“, erklärt Gerhild Seibert, die wie ihr Kollege Karl-Otto Bremer sowie Christian Sämann, Hans-Joachim Lerch und Petra von Schenk zur Gruppe gehören.

„Ja, wo ist denn nun das Krokodil am Dom?“ Komesker und Wolf lassen die Besucher raten, bis sie dann doch den Ort preisgeben. Steinmetze haben in so großer Höhe in einer Ornamentik tatsächlich ein Krokodil und eine Schildkröte angebracht. „Das muss ein Ausdruck ihres Glaubens gewesen sein, diese Tiere an einer Stelle in den Stein zu meißeln, die von Besuchern normalerweise nicht eingesehen werden kann“, so Wolf.

Die beiden „Domretter“ steigen eine weitere Baugerüsttreppe hinauf, um aktuelle Arbeiten zu zeigen. An einer Stelle zeigt Wolf auf Figuren und Ornamente, die wohl in den 90er-Jahren aus heutiger Sicht unfachmännisch restauriert wurden. Diese Schäden werden ebenfalls beseitigt. Wolf hat noch eine gute Nachricht für die Besucher: Bislang wurde nicht alles einkalkulierte Geld ausgegeben. Deshalb überlege man, auch noch das einstige Hauptportal an der Südwestseite zu restaurieren.

Andererseits: Bei der turnusmäßigen Wartung wurde festgestellt, dass der hölzerne Glockenturm über dem Altar beim Läuten sehr wackelt. Demnächst wird ein Fachmann diesen inspizieren. Dennoch kommt Wolf zu dem Fazit: Der Dom ist in einem so guten Zustand, wie viele Jahrhunderte vorher nicht.

Für die Teilnehmer der exklusiven Führung geht es nach 50 Minuten wieder hinunter auf den Domplatz. Dabei nehmen sie die Erkenntnis mit, dass ein Baudenkmal eine ewige Baustelle sein kann.

red

Bild 1: Jens-Michael Wolf leitet die Sonderführung im Dom.

Bild 2: Eine Schildkröte und ein Krokodil gibt es erst in großer Höhe zu sehen.

Bild 3: Die Besonderheiten in der Ornamentik lohnt es sich, zu fotografieren.