Sie ist die bekannteste Protestantin der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wo Margot Käßmann auftritt, strömen viele Menschen zusammen. So war es auch bei der Lesung auf dem Altenberg. Der Leiter des bene-Verlages, Stefan Wiesner, konnte über 370 Besucher in der voll besetzten Klosterkirche willkommen heißen. Die 61-jährige Theologin war Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche, Ratsvorsitzende der EKD und Botschafterin für das Reformationsjubiläum 2017. Die 1958 in Marburg geborene Buchautorin ist seit einem Jahr im vorzeitigen Ruhestand. Zu ihrem Buch „Schöne Aussichten auf die besten Jahre” hatte sie Verlagsleiter Wiesner  geraten.

Käßmann berichtete, dass sie mit 120 Personen ihren 60. Geburtstag gefeiert habe. Eine Tochter sagte, es seien auch ein paar ältere Damen anwesend gewesen. Auf ihre Frage, wie alt die Damen waren, sagte die Tochter „Na, so alt wie du“. Das hatte gesessen. In der Lesung, die mehr eine Erzählung war, setzte sich Käßmann mit dem Alter intensiv auseinander. Unter den Besuchern war auch die ehemalige First Lady, Bettina Wulff, die Ehefrau des einstigen Bundespräsidenten Christian Wulff.

Die Buchautorin steht in rotem Kleid und Sandalen am Rednerpult. Die Schuhe geben den Blick auf die rot gefärbten Fußnägel frei. „Ich bin gespannt, was jetzt kommt“, fasst die Theologin zusammen, wie sie auf die Zukunft blickt. Sie habe sich selbst gefragt, ob der Rückzug sinnvoll ist. Es sei notwendig, dass sich Menschen mit einer christlichen Grundhaltung in diese Gesellschaft einbringen. Aber sie habe es so gewählt. Dass sie alt werde, habe sie beispielsweise gemerkt, als sie dem kranken Enkel am Bett „Bruder Jakob“ vorsingen wollte. „Ich habe nur gekrächzt, ein Zeichen, ich werde alt“. Als sie jung war, habe sie beobachtet, dass ihre Mutter im hessischen Stadtallendorf beim Frühstück immer die Traueranzeigen in der Zeitung gelesen habe. Heute schlage sie die Zeitung auf und schaue zunächst auf die Traueranzeigen. Dabei ärgere sie sich, dass viele Anzeigen ohne Bibelvers veröffentlicht werden. Zudem würden die Inserate erst erscheinen, wenn die Trauerfeier längst stattgefunden habe.

Schon schwenkt sie um auf die amerikanische Sängerin Madonna: „Sie ist mein Jahrgang“. Auch wenn Madonna sich schminke, die Altersflecken auf den Händen blieben. Überhaupt: „Alle wollen alt werden, aber nicht alt aussehen“, kritisiert die Rednerin. „Ich könnte nicht mehr im Fernsehen auftreten ohne Operationen“, zitierte sie die Hauptmoderatorin der heute-Nachrichten Petra Gerster vom ZDF. Und sie fragt: „Wie können Kinder lernen, was Alter ist, wenn sie es nicht mehr sehen können?“

Wenn ich sehe in welchem Druck junge Frauen heute stehen, bin ich dankbar, dass ich das heute nicht mehr erleben muss. Im Blick auf ihr eigenes Leben zitiert sie die Bibel „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon (Psalm 90, Vers 10).

Käßmann gesteht ein, dass Menschen im Alter unterschiedlich fit und gesund sind. „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, sang einst Udo Jürgens“. Das glaube ich nicht, aber „ab 66 Jahren hat man Spaß daran“. Ja auch dann kann man noch Spaß am Leben haben. „Ich freue mich, dass ich noch leistungsfähig bin und mich einbringen kann.“

Die Autorin hat ihr schriftstellerisches Schaffen einmal so erklärt: „Für mich ist es eine wunderbare, spannende Aufgabe, Bücher zu schreiben. Ich versuche dabei, das Leben in unserer Zeit mit den biblischen Überlieferungen zu verbinden und so den christlichen Glauben als alltagstauglich zu erweisen.“
Das ist auch auf dem Altenberg zu erleben. Sie wolle sich lieber auf den Glauben ausrichten. Schon in der Bibel stehe der Rat, nicht zurückzuschauen. Auch Ärzte und Psychologen würden dazu raten. „Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, muss aber vorwärts gelebt werden“, zitiert Käßmann den dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard (1813-1855). Sie erzählt von ihrem Vater, der seine jungen Jahre im Zweiten Weltkrieg gelassen hat. Ihre vier Kinder und ihre sechs Enkel kommen immer wieder vor.

Viele brauchten nach dem Beruf eine neue Erfüllung. Frauen falle die Zeit des dritten Lebensabschnittes oft leichter. Statistisch gesehen haben sie mehr Sozialkontakte als Männer und können so die Lücke oft besser füllen. Männer hingegen suchten sich häufiger neue Herausforderungen, wollten die Welt umsegeln oder einen Marathon laufen. Doch auch die Themenbereiche Tod und Sterben spart Käßmann nicht aus. Die Selbsttötung kommt ebenso vor wie den Abschied bewusst zu leben. Sie erfahre, dass der Tod in den Gesprächen eher ausgespart werde. „Das Gespräch über das Sterben hilft die Kostbarkeit des Lebens mehr in den Blick zu nehmen“, macht sie Mut. Käßmann spricht sich auch gegen den Trend zur Seebestattung aus. Die Hinterbliebenen brauchten einen Ort, wo sie trauern können.
Auch wenn sie dafür plädiere, den Tod in der letzten Lebensphase bewusst einzubeziehen, „Wir glauben nicht an einen toten Gott sondern an den auferstandenen Jesus“.

Nach der Lesung holten sich viele begeisterte Zuhörer eine Signierung und einige auch eine persönliche Widmung in einem der zahlreichen Bücher Käßmanns.
Der Abend wurde musikalisch begleitet von dem Theologen, Kabarettisten und Sänger Fabian Vogt aus Oberursel.

lr[vc_single_image image=”7748″ img_size=”full”]Bild 1: Die Theologin und Schriftstellerin Margot Käßmann bei ihrer Lesung im Kloster Altenberg.

Bild 2: 370 Besucher wollten die Schriftstellerin Margot Käßmann hören.