Studientag des Gustav-Adolf-Werkes in Lützellinden:

 „Evangelische Stimme in Europa sein – gerade jetzt!“ hieß es beim zweiten Diaspora-Studientag des Gustav-Adolf-Werkes Rheinland im Evangelischen Gemeindehaus Lützellinden, wo nicht nur Interessierte aus dem Kirchenkreis an Lahn und Dill, sondern auch aus dem Kirchenkreis Aachen bis hinunter ins Saarland und auch aus der hessen-nassauischen Nachbarkirche zusammengekommen waren.

Es ging um Vortrag, Dialog und vertiefenden Austausch über die Situation der Waldenserkirche in Italien und der reformierten Kirche in Ungarn angesichts der Tatsache, dass nach der Europawahl auch die Arbeit der Partnerkirchen in der Diaspora (Gebiet in der Fremde, in dem eine konfessionelle Minderheit lebt) durch Schritte zur Renationalisierung in den entsprechenden Ländern erschwert worden ist.

„Europa ist unser gemeinsames Zuhause und unsere gemeinsame Verantwortung als evangelische Christen“, sagte Pfarrer Balázs Ódor, Ökumenereferent der Reformierten Kirche in Ungarn. Diese Einsicht sei ein neues Phänomen im europäischen Protestantismus, der in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen Europas (GEKE) zusammengeschlossen ist. So sei der europäische Vereinigungsprozess von den evangelischen Kirchen in Europa als Friedens- und Versöhnungsgeschehen begrüßt worden. Die Sehnsucht danach müsse lebendig gehalten werden, damit nicht aus der Solidargemeinschaft eine bloße Zweckgemeinschaft von Egoisten werde, erklärte Ódor im Blick auf Länder, die hauptsächlich ihre eigenen Interessen verfolgen.

„Wir Protestanten schätzen die Menschenwürde und sehen die Menschenrechte als säkulare Form reformatorischer Glaubenseinsichten“, unterstrich der Referent aus Budapest. Entscheidend sei jedoch, die aktuelle Wirklichkeit im Licht des Evangeliums zu betrachten: „Die Liebe Christi drängt uns und wir müssen alles auf die Gnade Gottes setzen.“ Dann erst könne nach der praktischen Umsetzung des Glaubens gefragt werden. So heißt es beispielsweise in einer Stellungnahme der ungarischen reformierten Kirche von 2015, Aufgabe der Kirche sei es, den Menschen in Not zu helfen, ob sie aus Lebensgefahr oder auch nur in der Hoffnung auf ein besseres Leben fliehen und ungeachtet ihrer Religion oder Bildung.

Menschen in Not zu helfen, darum geht es auch den Waldensern. Dass in seiner Kirche der Begriff „Krise“ in Bezug auf Wirtschaft und Politik eine wichtige Rolle spielt, machte Pfarrer Jens Hansen, ehemals Mitglied der Tavola (Kirchenleitung) der Waldenserkirche in Italien und jetzt Pfarrer der Waldensergemeinde in Catanzaro/Kalabrien deutlich. So gebe es seit 2008 eine Wirtschaftskrise, die dazu geführt habe, dass 20 Prozent der Italiener unter der Armutsgrenze leben. Dies habe zu einer politischen Krise geführt mit einem Aufschwung der Populisten. Daraus sei wiederum eine Krise der Mitmenschlichkeit entstanden: “Populisten suchen Opfer, die solidarisch unterwegs sind.“

Hansen, der selbst Pfarrer von 80 Gemeindegliedern in einer Kirche von weniger als 30.000 Mitgliedern in ganz Italien ist, klagte: „Wir sind eine verschwindend kleine Kirche und auch die Bereitschaft zur Mitarbeit sinkt:“ Andererseits sind die Waldenser in Italien sehr bekannt und beliebt. Die Kultursteuer, die der Staat erhebt, verwenden sie nämlich ausschließlich für sozialdiakonische und kulturelle Projekte wie für Bildung, für Flüchtlinge oder für den Klimaschutz. Aufwendungen für ihre Kirche finanzieren sie aus freiwilligen Beiträgen ihrer Mitglieder. „Wir definieren uns in der Öffentlichkeit über unsere Projekte und sind eine Minderheitskirche, die versucht, ein Stachel in der Gesellschaft zu sein und das prophetisch zu tun“, so Hansen. „Damit wollen wir auch provozieren und dem Staat zeigen, dass das, was wir tun, eigentlich seine Aufgabe ist.“ Die Waldenserkirche sei in Europa fest verankert“, bekräftigte Pfarrer Hansen. „Europa braucht es, dass wir zusammenwachsen. Unsere Vision dabei ist, uns um die ‚Letzten’ zu kümmern.“

Pfarrer Jörg Süß, der stellvertretende leitende Geistliche im Kirchenkreis an Lahn und Dill, hatte zu Beginn in seinem Grußwort darauf hingewiesen, dass es angesichts von Problemen evangelischer Minderheitskirchen wichtiger sei, den Zusagen Gottes zu trauen statt sich als Kirche von Finanz- und Verwaltungsdebatten dominieren zu lassen.

Die Begrüßung hatte Pfarrer Horst Daniel aus Lützellinden übernommen, Schriftführer im Vorstand des GAW Rheinland,  Andacht und Moderation Vorstandsvorsitzende Pfarrerin Ulrike Veermann (Bonn).

 

Gustav-Adolf-Werk

Das Gustav-Adolf-Werk (GAW) ist das Diaspora-Werk der EKD und unterstützt protestantische Minderheitskirchen in Europa, Lateinamerika und Zentralasien. Es pflegt das Bewusstsein für evangelische Diaspora und stärkt die evangelische Stimme in der Ökumene. Das GAW Rheinland richtet seit 2018 jährlich mit dem Diaspora-Studientag den Blick auf besondere Herausforderungen für evangelische Gemeinden.

 bkl[vc_gallery interval=”5″ images=”8098,8099,8100,8101″ img_size=”full”]Bild 1: Der zweite Diaspora-Studientag des Gustav-Adolf-Werkes Rheinland fand im Evangelischen Gemeindehaus Lützellinden statt (v.l.): Pfarrer Horst Daniel, Pfarrer Balázs Ódor, Pfarrer Jens Hansen und Pfarrerin Ulrike Veermann.

Bild 2: Jens Hansen, Pfarrer der waldensischen Gemeinde in Catanzaro, der Landeshauptstadt im italienischen Kalabrien, referierte über die Situation der Waldenserkirche in Italien.

Bild 3: Die Herausforderungen, die der europäische Vereinigungsprozess für evangelische Christen hat, beleuchtete Pfarrer Balázs Ódor, Ökumenereferent der Reformierten Kirche in Ungarn.

Bild 4: Im evangelischen Gemeindehaus in Lützellinden kam es zu einem lebendigen Austausch über die Frage, was die politische Situation in Europa für evangelische Christen bedeutet und was sie von Minderheitskirchen lernen können.