Vertreter dreier Religionen diskutieren über ihre Zukunftshoffnung:

Zu einem interreligiösen Gesprächsabend mit dem Thema „Neuer Himmel – Neue Erde – Was erhoffen Juden, Christen und Muslime für diese Welt und ihre Zukunft?“ hatte Pfarrer Wolfgang Grieb im Rahmen der Ökumenischen Woche Wetzlar ins Evangelische Gemeindehaus Hermannstein eingeladen.

Es sei wichtig, einander im interreligiösen Dialog zu begegnen und gemeinsam um die Wahrheit zur ringen, leitete Grieb, der den Abend moderierte, die drei Vorträge ein.

Anhand der zentralen Aussagen ihrer heiligen Schriften stellten die Podiumsgäste aus jüdischer Sicht mit Dow Aviv (Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Gießen), aus muslimischer Perspektive mit Imam Süleyman Soyal (DITIB Ehringshausen) und aus christlicher Position mit Pfarrer Grieb (Evangelische Kirchengemeinde Hermannstein) dar, wie eine Stärkung der Zukunftshoffnung aussehen kann. Dabei wurden sowohl gemeinsame wie auch unterschiedliche Traditionen der drei Religionen deutlich.

Dow Aviv ist jüdischer Vorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar (GCJZ) und zudem jüdischer Vorsitzender der von ihm mitgegründeten Jüdisch-Islamischen Gesellschaft Gießen (JIG). Für seine Verdienste um Verständigung und Verständnis zwischen den Menschen erhält er in diesem Jahr von der Stadt Gießen die Hedwig-Burgheim-Medaille, die im Gedenken an die jüdische Pädagogin verliehen wird. Aviv bezog sich in seinem Vortrag auf den Tanach, die Sammlung heiliger Schriften des Judentums, die aus den drei Teilen Tora (die fünf Bücher Mose), Neviim (die Propheten) und Ketuvim (die Schriften) besteht. Die Tora sei im Judentum die Offenbarung, erklärte er. Sie enthalte Berichte von Begegnungen Gottes mit den Menschen, die bestimmte Botschaften übermittelten. Abraham habe die Menschen überzeugen sollen, dass es nur einen Gott gibt. Judentum, Christentum und Islam nenne man daher auch die „abrahamitischen Religionen“, legte Aviv eine Gemeinsamkeit dar. Die Essenz der Tora seien die zehn Gebote, die Gott Mose übergab, so Dow Aviv weiter: „Gottes weiß, was für uns gut ist. Wenn wir uns an seine Regeln halten, geht es uns gut.“ Die meisten Menschen in der Welt wollten den Frieden. Doch gebe es wenige, denen die Liebe zur Macht wichtiger sei als die Macht der Liebe.

Daran konnte Imam Süleyman Soyal anknüpfen, indem er aus dem Koran, der heiligen Schrift des Islam, aus Sure 41 zitierte. Hier geht es unter anderem darum, das Böse mit dem Guten abzuwehren, sodass derjenige, mit dem eine Feindschaft besteht, zu einem treuen Freund wird. Soyal hob die Bedeutung von „Islam“ als „Hingabe“ an den Allmächtigen mit der Absicht, Frieden zu erlangen, hervor. Der Frieden sei einer der 99 Namen Gottes und der wichtigste Antrieb der Muslime: “Meine Aufgabe als islamischer Religionsbeauftragter ist es, dementsprechend zur Erziehung und Bildung beizutragen.“ Soyal ist als Imam in der Ayasofya Moschee Ehringshausen tätig, in einer von 86 Moscheegemeinden in Hessen, die in neun Regionalkonferenzen organisiert sind. In Ehringshausen gibt es gegenseitige Einladungen zu den kirchlichen und muslimischen Veranstaltungen. Die DITIB lädt die Christen zum Fastenbrechen während des Ramadan ein und sendet ihnen Grußworte zu Ostern und zu Weihnachten. Jährlich gibt es eine interreligiöse Einschulungsfeier der katholischen, evangelischen und muslimischen Gemeinde in der Volkshalle Ehringshausen.

Pfarrer Wolfgang Grieb, der als Grundlage seiner christlichen Überzeugung das Neue Testament in den Mittelpunkt stellte, bezog sich auf das Buch der Offenbarung und zitierte daraus Kapitel 21, das einen neuen Himmel und eine neue Erde ohne Leid und Tod beschreibt. Der christliche Glaube sei mit der Hoffnung auf die Wiederkunft Jesu Christi verbunden, der Gottes Reich aufrichte, so Grieb. „Unsere Zukunft kommt von Gott. Bei ihm ist sie gut aufgehoben“, sagte er. So könne die leidvolle Gegenwart in einem neuen Licht gesehen werden. Gottes Reich breche jetzt bereits an. Dass dazu auch menschlicher Einsatz gehört, machte er ebenfalls deutlich: „Wer hofft, handelt.“ Wolfgang Grieb ist evangelischer Vorsitzender der GCJZ und zudem Synodalbeauftragter für das Jüdisch-Christliche und für das Jüdisch-Islamische Gespräch im Kirchenkreis an Lahn und Dill. Er hat zwischen 1982 und 1995 insgesamt sechs Jahre in Israel gelebt und ist erfahrener Organisator und Leiter von Begegnungsreisen nach Israel und Palästina. In Gießen und in Wetzlar organisiert der Geistliche Veranstaltungen zum christlich-jüdischen Dialog, die religiöse, politische, kulturelle und musikalische Themen in den Mittelpunkt stellen.

In der anschließenden Diskussionsrunde kamen die Referenten und die Besucher darüber ins Gespräch, wie mit der Tatsache, dass durch Religionen Kriege entstehen, umzugehen ist und wie sich Zukunftshoffnung gestalten kann. So wurde deutlich, dass Verse heiliger Schriften auch missbraucht werden können, wenn man ihren Kontext nicht miteinbezieht. „Die Religion selbst ist nicht am Krieg schuld, aber das, was im Namen der Religion geschieht“, so Dow Aviv.

Dass die Wiederkunft des Messias für seine Zukunftshoffnung keine Rolle spielt, machte der Imam deutlich: „Die Hoffnung liegt in uns selbst und darin, was wir in der Welt Gutes tun und in unserem Bezug zu Gott“, so Soyal.

Dass die christliche Hoffnung Kraft zum Leben schenkt, davon ist Pfarrer Grieb überzeugt, der den Abend mit einem Friedenssegen schloss.

Weitere Informationen zur Ökumenischen Woche vom 17. bis 25. Mai sind auf der Homepage des Kirchenkreises an Lahn und Dill zu finden: https://evangelisch-an-lahn-und-dill.de/aktuelles/zur-hoffnung-berufen/

 

bkl

Dow Aviv, Wolfgang Grieb und Süleyman Soyal (v.l.) stellen die wichtigsten theologischen Positionen von Judentum, Christentum und Islam dar und beschreiben ihre Zukunftshoffnung.