Ein bewegender Abschied in der Kreuzkirche

Wetzlar. Selten erlebt eine Gemeinde einen Abschied, der so viel Nähe, Dankbarkeit und gegenseitige Verbundenheit spürbar macht: Mit einem festlichen Gottesdienst in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kreuzkirche wurde am 30. November 2025 Pfarrer Jörg Süß in den Ruhestand verabschiedet. Nach fast vier Jahrzehnten Dienst endet damit ein Kapitel, das die kirchliche Landschaft in Wetzlar nachhaltig geprägt hat und zugleich weiterwirkt.

Besondere Liturgie – besonderes Motto

Schon der Beginn zeigte, wie besonders dieser Tag war. Für die Verabschiedung war eine Iona-Liturgie gewählt worden. Die Iona Community ist eine ökumenische Gemeinschaft aus Schottland, die für eine schlichte, poetische Spiritualität steht und sich aktiv für Frieden, Gerechtigkeit und gelebte Gemeinschaft einsetzt. Ihre Liturgien und Lieder verbinden alte christliche Traditionen mit einer modernen, offenen Sprache, die Menschen zum Mitmachen einlädt. Der gesamte Tag stand unter dem Motto: „God still speaking – Setze keinen Punkt, wo Gott ein Komma gesetzt hat“.
Musikalisch gestalteten der Gospelchor der Kreuzkirche sowie Kreiskantor Dietrich Bräutigam den Rahmen.

Hinhören lernen – eine Predigt über 1. Samuel 3

Die Lesung aus 1. Samuel 3, 1–10 stellte das Hören in den Mittelpunkt. In seiner Predigt griff Jörg Süß diesen Gedanken bewusst auf: Gott spreche „immer und andauernd“, sagte er, doch häufig müssten wir unser eigenes Hören schärfen, um seine Stimme wahrzunehmen. „Es liegt an uns, genauer hinzuhören und aufzunehmen, was Gott uns sagen will.“
Damit verband er das Leitmotiv des Tages: ein Ermutigen zum offenen, wachen Glauben.

Würdigung eines Lebenswegs in und für Wetzlar

Antje Menn, Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, entpflichtete Jörg Süß aus seinem Dienst und würdigte seine Arbeit in der Gemeinde wie auch auf Kirchenkreisebene. Sie zeichnete den Weg eines „echten Kindes der Region“ nach: geboren in Niederbiel, Schulzeit in Wetzlar, Studium in Marburg und Bonn, Vikariat in Garbenheim und seit 1988 Pfarrer an der Kreuzkirche, später verantwortlich für die zweite Pfarrstelle im Wetzlarer „Westend“.

Beziehungen als Fundament – Schwerpunkt Jugendarbeit

Ein zentrales Kennzeichen seiner Arbeit war die konsequente Beziehungsorientierung. Besonders die Jugendarbeit lag ihm am Herzen: Über 28 Jahre begleitete er Freizeiten, unterstützte junge Menschen und prägte deren Lebenswege. Sein Leitsatz „Beziehungen tragen Gemeinde“ wurde für viele erlebbar – in Gesprächen, in Momenten der Nähe, auf gemeinsamen Wegen.

Neue Räume schaffen: geistliche Angebote und Projekte

Unter seiner Leitung entstanden vielfältige geistliche Angebote: Pilgern, Meditationen, Kreistänze, Exerzitien. Jörg Süß schuf Orte, an denen Menschen Ruhe fanden, Kraft schöpften und Glauben neu erlebten.

Ein Beispiel für diese Handschrift ist der „Bücherturm“, der einst klein begann und heute von etwa 25 Ehrenamtlichen getragen wird – ein lebendiger Begegnungsort für alle Generationen.
Ebenso wuchs im Außengelände der Kreuzkirche der „Garten der Sinne“: Urban Gardening, Kräuterbeete, Bienen, ein Labyrinth mit Patenschaften. Auch ein Backhaus entstand – ein weiteres Zeichen dafür, wie Ideen zu tragfähigen Räumen werden können.

Musik, die Gemeinde zusammenführt

Die Chorarbeit spielte während seiner Dienstzeit eine große Rolle. Unter seiner Förderung entwickelte sich eine vielfältige musikalische Landschaft, die bis heute die Gemeinde prägt.

Engagement weit über die Gemeinde hinaus

Neben seiner Gemeindearbeit gestaltete Jörg Süß über Jahrzehnte auch die Leitung des Kirchenkreises mit. Als Vorsitzender des Verbandes Evangelischer Kirchengemeinden in Wetzlar trieb er die Zusammenführung der drei evangelischen Gemeinden voran – ein Prozess, der viel Mut und Kommunikation erforderte.
Mehr als zehn Jahre wirkte er im Kreissynodalvorstand, zuerst als Assessor, später als Superintendent. Auch in der Zeit des Bevollmächtigtenausschusses übernahm er Verantwortung. In diese Phase fiel der historische Zusammenschluss der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar zum heutigen Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill.

Dank, Erinnerungen und ein neues Kapitel

Dem Gottesdienst folgte eine große Feier mit Grußworten, persönlichen Erinnerungen und viel Musik. Die Beiträge zeigten eindrucksvoll, wie viele Menschen Jörg Süß in den vergangenen Jahrzehnten begleitet und geprägt hat.

Mit dem Ende seiner Dienstzeit beginnt für Jörg Süß ein neuer Lebensabschnitt. Mehr Zeit mit der Familie und ein neuer Lieblingsort warten: das Weingut seines Sohnes. Dort möchte er künftig Reben pflegen und Wachstum begleiten – ein Bild, das gut zu seinem bisherigen Weg passt.

„Ich freue mich auf das, was jetzt wachsen darf“

Jörg Süß selbst fasst es so zusammen:
„Ich bin dankbar für all die Wege, die wir miteinander gegangen sind – und ich freue mich auf das, was jetzt wachsen darf.“

Danke, Jörg Süß.
Für Leidenschaft. Für Mut. Für Verlässlichkeit.
Und für all die Räume, in denen Menschen Gottes Nähe spüren konnten.

 

JCK

FOTO: Jan-Christopher Krämer

BU: Pfarrer Jörg Süß (Bildmitte) und Vizepräses Antje Menn (rechts) mit den Votant*innen des Festgottesdienstes.