Sozialpolitischer Buß- und Bettagsgottesdienst in Niedergirmes:
Zum Umdenken eingeladen haben Christen aus den mehr als 50 evangelischen Kirchengemeinden im Altkreis Wetzlar aus Anlass des Buß- und Bettages.
Dies im Rahmen von Gottesdiensten und Andachten, zum Teil ökumenisch, mit Abendmahl oder gemeinsam mit anderen evangelischen Gemeinden aus der Region. Der Gedenktag am Ende des Kirchenjahres hat eine konkrete Bedeutung. Es geht nämlich darum, eigene Fehler einzugestehen, Standpunkte zu überprüfen und sich einer Neuorientierung zu öffnen, in persönlicher und in gesellschaftspolitischer Hinsicht. So auch jetzt wieder am Mittwoch nach dem Volkstrauertag.
„Dranbleiben!“ war Leitthema im Gottesdienst in der Christuskirche Niedergirmes, den die WALI, Arbeitsloseninitiative im Lahn-Dill-Kreis, und die evangelische Kirche gemeinsam vorbereitet hatten.
Das Gefühl vieler Menschen, von niemandem Hilfe zu bekommen und sich alles hart erkämpfen zu müssen nahm der Wetzlarer Superintendent Jörg Süß in seiner Predigt über die Geschichte von Jesus und der kanaanäischen Frau auf. In seiner Auslegung des Bibeltextes aus dem 15. Kapitel des Matthäusevangeliums, Verse 21 bis 28, berichtete der Theologe von der Hartnäckigkeit einer Frau, die sich trotz der wiederholten Abweisung durch Jesus nicht entmutigen lässt. „Die Geschichte dieser Frau zeigt, dass es sich lohnt, trotz aller Rückschläge dranzubleiben und nicht aufzugeben“, sagte er. Dranbleiben sei anstrengend, ebenso, wie das manchmal lange Schweigen Gottes in Notsituationen auszuhalten. Doch sei sein Schweigen nicht das Letzte: „Bei ihm lässt sich lernen, den anderen in seiner Not zu sehen und ihn so zu lieben, wie er es im Moment braucht.“
Hier knüpfte Peter Dubowy, Vorstand des Kommunalen Jobcenters Lahn-Dill, an: „Es bedarf der Unterstützung eines ganzen Dorfes um ein Kind groß zu bekommen“, ging er auf die Bedeutung partnerschaftlichen Miteinanders in seiner Ansprache ein. Wichtig sei, immer wieder aufeinander zuzugehen und auch, einander zu verzeihen. 17.000 Menschen im Lahn-Dill-Kreis bräuchten Hilfe, berichtete Dubowy. Darüber gäbe es eine politische Diskussion, die den Menschen nicht gerecht werde. Andere zu loben und ihnen zu danken sei wichtig. „Dranbleiben heißt für mich aber auch, immer wieder in den Spiegel zu gucken und zu sagen: ‚Es ist gut, was du machst’“, sagte der Vorstand des Jobcenters. Eigene Wertschätzung gehöre genauso zum Dranbleiben wie die kritische Begleitung der Arbeit durch andere zu erfahren: „Es macht Spaß, mit den Menschen der WALI und der Kirchengemeinde zusammen zu arbeiten.“
Akzente durch Gebete, Lesungen und Orgelspiel setzten Ortspfarrerin Ellen Wehrenbrecht, Pfarrer Stephan Hünninger, Gunther Schneider, Maria Schaefer, Susanne Sievers und Karin Bremer. Ferner trug die Band der Christuskirche Lieder vor, die das Thema musikalisch gekonnt vertiefte.
In Kölschhausen predigte Pfarrerin Tanja Kamp-Erhardt im Rahmen der Themenwoche „Kirche im Widerstand“, in deren Mittelpunkt die mutige Bußtagspredigt des damaligen Ortspfarrers Friedrich Winter nach dem Brand der Synagogen 1938 steht.
„Wir sind dazu da, Salz in die offene Wunde der Selbstherrlichkeit zu geben“, sagte die Geistliche über einen Abschnitt aus dem Buch Daniel, Kapitel 9, Verse 4 bis 16 und 18. „Wir sind dazu da, die brüchigen Stellen der Allmachtsphantasien offen zu halten, damit das Licht durch die Ritzen brechen kann. Wir sind dazu da, dass die Welt begreift, wie verletzlich, wie schnell zerstört sie ist. Wir sind dazu da, die Welt in Gottes Licht zu sehen.“
Bis 1995 war der Buß- und Bettag in allen Bundesländern gesetzlicher Feiertag. Heute ist er es nur noch in Sachsen.
bkl
Bild 1: „Dranbleiben!“ lautete das Thema im Buß- und Bettagsgottesdienst in Niedergirmes, von WALI und evangelischer Kirche gemeinsam gestaltet (v.l.): Pfarrer Stephan Hünninger, Peter Dubowy, Gunther Schneider, Susanne Sievers, Superintendent Jörg Süß, Maria Schaefer und Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht.
Bild 2: Die Lieder der Band der Christuskirche Niedergirmes mit (v.l.) Ramon Iglesias, Luisa Sophie Nunes Pedro, Hendrik Pfeffer und Paul Gutzeit trugen im Gottesdienst in Niedergirmes zur Veranschaulichung des Themas bei.