Jubiläumsjahr der Reformation wirkt in Kirchenkreisen nach:
„Das Reformationsjubiläum war für uns wirklich interessant“, sagt Pfarrer Dr. Hartmut Sitzler. Der Vorsitzende des kreiskirchlichen Arbeitskreises Reformationsjubiläum führt dazu aus: „Schaut man sich die vielen Veranstaltungen an, dann ziehen sich zwei Erfahrungen wie ein roter Faden hindurch: nämlich was für gute und mutige Dinge unsere Mütter und Väter im Glauben da im 16. Jahrhundert umgesetzt haben und wie sehr es sich lohnt, von diesen Einsichten her neu die Zukunft unserer Kirche anzupacken.“
Umgesetzt haben diese Erkenntnis im vergangenen Jahr die mehr als 50 Gemeinden der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar sowie der umliegenden hessen-nassauischen Dekanate und die kreiskirchlichen Arbeitsbereiche in Form von unzähligen Gottesdiensten und Bibelwochen, Aktionen, Vorträgen und Ausstellungen, Konzerten, Theater und Musical-Aufführungen. Sie alle haben gezeigt, wie sich die reformatorische Botschaft von Gottes geschenkter Gnade in die heutige Zeit übersetzen lässt, wie sie mitten in den Alltag der Menschen getragen werden und in ihrem Leben bleibende Bedeutung gewinnen kann. Dreh- und Angelpunkt waren dabei die vier Kernpunkte reformatorischer Theologie: „sola scriptura – allein aufgrund der Schrift“, „solus Christus – allein Christus“, „sola fide – allein durch den Glauben“ und „sola gratia – allein aus Gnade“. Koordiniert hat die Veranstaltungen der „Arbeitskreis Reformationsjubiläum“, zunächst unter Leitung von Schulpfarrer Andreas Engelschalk (Wetzlar) bevor Pfarrer und Assessor Dr. Hartmut Sitzler (Kröffelbach) den Vorsitz übernahm.
Die Frage nach dem evangelischen Profil war Thema beim großen Reformationsfest auf dem Altenberg bei Oberbiel. Hier kam die Betonung von Herzlichkeit statt Leistung in der Begegnung mit behinderten Menschen als Sinnbild der Beziehung zu Gott zum Tragen. Um „Gnade in gnadenloser Zeit“ ging es auch beim Ökumenischen Tag der Bildung in Herborn. „Ich muss erst mal gar nichts“ hieß es im Blick auf Gottes Gnade und gegenüber dem allgegenwärtigen Leistungsdruck in der Gesellschaft. Dies war auch Thema im zentralen Reformationsgottesdienst im Wetzlarer Dom am 31. Oktober mit dem evangelisch-reformierten Theologen Okko Herlyn, der von einem „befreienden Aufatmen“ angesichts der Reformationsbotschaft sprach und mit einem anschließenden Kirchenkabarett gängige Denk- und Gesinnungsmuster gekonnt aufs Korn nahm.
Im Gegensatz zu den Reformationsfeiern vergangener Jahrhunderte wurden jetzt gleichzeitig deutliche ökumenische Akzente gesetzt. Hier ist insbesondere der Buß-und Versöhnungsgottesdienst im Wetzlarer Dom vielen katholischen und evangelischen Christen in guter Erinnerung. Die beiden Dompfarrer Peter Kollas und Björn Heymer hatten im März in dem offiziell beiden Konfessionen offenen Gotteshaus mit der Aufrichtung eines Kreuzes gemeinsam zu Versöhnung und Aufbruch ermutigt.
Was die Reformation für die unterschiedlichen Konfessionen und deren Vertreter persönlich bedeutet, wurde beim diesjährigen Studientag der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) in den Räumen der freikirchlichen Wetzlarer Anskar-Kirche deutlich. Hier hatte beispielsweise Archimandrit Athenagoras Ziliaskopoulos aus Frankfurt erzählt, dass er ohne seine positiven Erfahrungen im evangelischen Kindergottesdienst nicht orthodoxer Pfarrer geworden wäre.
Wie man den Jüngsten das Anliegen der Reformation verständlich machen kann, vermittelten Luther-Kinder-Musicals, die sich um die Fragen von Angst und Vertrauen, Selbstzweifel und Mut drehten, interessierten Menschen in Berghausen, Erda, Krofdorf, Wetzlar und Wißmar.
Akzente setzten auch die Bibelausstellung und die Aufführung des Luther-Oratoriums von Dietrich Lohff im Wetzlarer Dom, der Ikonengottesdienst mit der Betonung auf Christus als Licht des Lebens in der Hospitalkirche, die Veranstaltungsreihe „Luther im Blick“ der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden in Lahnau, das ökumenische Christusfest in Koblenz mit Ausschnitten des Partnerschafts-Musicals „Live my life“ sowie die Pflanzaktion eines Reformationswaldes mit 500 Bäumen am Wetzlarer Stoppelberg.
Und auch das Format „95 Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten“ der rheinischen Kirche ist von vielen Gemeinden gern genutzt worden. So gab es Gottesdienste unter der Autobahn zwischen Gießen und Wißmar, im Kirmeszelt in Erda oder in einem Gießener Parkhaus. Im Dunkelkaufhaus Wetzlar feierten evangelische Christen einen Gottesdienst mit dem Titel „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ und am 31. Oktober gab es einen Reformationsgottesdienst in einem Supermarkt in Erda.
Für den Wetzlarer Superintendent Jörg Süß haben im Blick auf das Reformationsjubiläum die persönlichen Begegnungen mit Menschen eine tragende Rolle gespielt: „Da kamen viele sehr existentielle Fragen auf. Mir ist wichtig, zu erleben, wie die Bibel, für Martin Luther Grundlage und Richtschnur des Glaubens, Menschen in dieser Situation Antworten geben kann.“
Die Erfahrungen, die er mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden beim Konficamp in Wittenberg in diesem Jahr gemacht hat, haben für den Braunfelser Superintendent Roland Rust einen hohen Stellenwert: „Das hat die Jugendlichen angesprochen und ist für sie zum Anknüpfungspunkt geworden. Beispielsweise für die Erkenntnis, dass Leistung nicht alles ist und dass wir gemeinsam überlegen konnten: ‚Was gibt mir den eigentlichen Halt im Leben und was folgt daraus für mein Zusammenleben mit anderen?’“
Zahlreiche evangelische Christen aus der heimischen Region haben zudem an den Kirchentagen in Berlin und den Lutherstädten Wittenberg und Erfurt unter dem Motto „Du siehst mich“ teilgenommen und sich wichtige Anstöße zum Glauben und Leben in ihre Gemeinden geholt.
Mit ihren Predigten in Aßlar zu Jahresbeginn und im Paul-Schneider-Freizeitheim im Spätsommer haben auch Präses Manfred Rekowski und Vizepräses Christoph Pistorius aus Düsseldorf ihr Interesse an den Reformationsveranstaltungen in den rheinischen Kirchenkreisen in Hessen bekundet.
Reformationsdekade
Bereits seit 2008 hatten die Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar im Rahmen der EKD-weiten Reformationsdekade mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf das Jubiläum aufmerksam gemacht. Während sie sich beispielsweise 2012 an der „Musikalischen Stafette“ durch 38 Kirchenkreise der rheinischen Kirche beteiligten, gab es 2014 zum Themenjahr „Reformation und Politik“ erstmals sogenannte „Bürgerpredigten“ bekannter Politiker in heimischen Kirchen. 2015 wirkten Gemeinde- und Konfirmandengruppen mit vielen kreativen Ideen am landeskirchlichen Projekt zur Erstellung einer Bilderbibel mit. Das Konzert „Weite wirkt“ mit Musikgruppen afrikanischer, indonesischer und deutscher Jugendlicher bildete im vergangenen Jahr den Schwerpunkt des Themenjahres „Reformation und die Eine Welt“.
bkl
Leichtigkeit und Unbeschwertheit drücken sie aus, die Luftballons mit dem rheinischen Motto „vergnügt, erlöst, befreit“ zum Reformationsjubiläum. Beim Christusfest in Koblenz zu Pfingsten in diesem Jahr stiegen 1.000 von ihnen in die Luft, um zu zeigen, wie es ist, wenn sich Menschen von Gott geliebt und aufgefangen wissen.