Ukrainischer Arzt Ievgen Dubrovskji berichtet in Wetzlar von seinen Erlebnissen an der Front
Die Baptistengemeinde Wetzlar lud gemeinsam mit dem Friedenskreis des Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill und dem Laurentiuskonvent Laufdorf zu einer besonderen Lesung ein. Am Dienstag, 14. Oktober 2025, berichtete der ukrainische Arzt Ievgen Dubrovskji aus seinem Buch „Eine Geschichte, die es wert ist, gehört zu werden“.
Der 40-Jährige war ein Jahr lang an der Front im Donbas im Einsatz – freiwillig, als Militärarzt. Seine Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 2022 und 2023 geben einen erschütternden Einblick in das, was Menschen im Krieg erleben: Leid, Angst, Hoffnung – und Menschlichkeit mitten im Chaos.
Ein Arzt zwischen Leben und Tod
Seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 leidet die Bevölkerung der Ukraine unter täglichen Angriffen und Zerstörungen. Rund 4,3 Millionen Menschen sind in den Westen geflohen, 1,27 Millionen davon nach Deutschland.
Ievgen Dubrovskji arbeitet als Infektiologe in Kiew. Als Russland sein Land überfiel, meldete er sich freiwillig zum Dienst. „An der Front gab es erschreckend wenig Ärzte“, erzählt er. Er versorgte Verwundete, barg Tote aus der Frontlinie und brachte sie ins Landesinnere. „Ich wollte mein Land unterstützen“, sagt Dubrovskji, dessen Frau und drei Kinder in Kiew um ihn bangten.
Einmal wurde der Reifen seines Autos getroffen. „Ich stieg aus, sah eine Drohne und warf mich ins Gras – Sekunden später explodierte nur 50 Meter entfernt eine Granate.“ Über Funk konnte er seine Kameraden rufen, die ihn aus der Schusslinie holten.
Alltag im Ausnahmezustand
Nach einiger Zeit durfte Dubrovskji ein medizinisches Hilfszentrum nahe der Frontlinie aufbauen. Dort erlebte er, wie unterschiedlich Menschen mit dem Krieg umgehen: „Einige tranken viel, andere desertierten. Es gab keine psychologische Hilfe.“
Ursprünglich schrieb er nur, um das Erlebte zu verarbeiten. Doch aus seinen Notizen entstand ein Buch – 580 Seiten stark, teils als Tagebuch, teils ergänzt mit Fotos von der Front. In der Ukraine wurde es bereits ausgezeichnet. Bei der Frankfurter Buchmesse gehörte Dubrovskji zu den 30 ukrainischen Autorinnen und Autoren, die ihre Werke vorstellten. Er hofft, bald auch einen deutschen Verlag zu finden.
„Ich möchte Verständnis wecken für Menschen, die am Krieg teilgenommen haben“, sagt der Arzt.
Ein Krieg, der sich verändert hat
„Heute müssen Verwundete oft tagelang auf dem Schlachtfeld liegen bleiben, weil es zu gefährlich ist, sie zu bergen“, berichtet Dubrovskji. Nur wenn Schlechtwetter herrscht und Drohnen nicht fliegen können, können Helfer ausrücken. Medikamente werden inzwischen per Drohne abgeworfen.
„Der Krieg ist so tödlich geworden wie im Ersten Weltkrieg“, sagt er. Auch in Kiew nehmen die Angriffe mit Raketen und Drohnen zu. Seine Familie ist deshalb ins Ausland geflohen.
Nach Schätzungen seien über eine Million russische Soldaten gefallen – doch die Führung in Moskau nehme das in Kauf. „Die Tragödie dieses Krieges ist, dass Russland seine schwächsten Menschen schickt – für Geld oder im Tausch gegen Freiheit aus dem Gefängnis.“
Zwischen Kameradschaft und Verlust
Für Dubrovskji und seine Kolleginnen und Kollegen an der Front geht es darum, Leben zu retten, Blutungen zu stillen und Krankheiten zu behandeln – von Herz- und Magenleiden bis zu Lungenentzündungen. „Die Beziehungen zwischen den Menschen an der Front sind sehr eng“, sagt er. „Viele sind bereit, ihr eigenes Leben zu geben, um den anderen zu retten.“
Zwischen Schützengräben und provisorischen Lazaretten hat er tiefe Freundschaften geschlossen – und viele verloren. „Die besten Ukrainer gehen an die Front, während ihre Familien in den Westen fliehen. Das zerstört Familien – das ist eine weitere Tragödie dieses Krieges.“
„Eine Geschichte, die es wert ist, gehört zu werden“
Dubrovskjis Lesung in Wetzlar machte deutlich, was der Krieg mit Menschen macht – körperlich, seelisch, menschlich.
Sein Anliegen: nicht Mitleid, sondern Verständnis, Mitgefühl und Aufmerksamkeit. Denn, so der Arzt: „Ich habe mein Tagebuch geschrieben, um zu überleben. Jetzt lese ich daraus, damit andere verstehen, was Krieg wirklich bedeutet.“
RED.
FOTO: Redaktion
BU: Ievgen Dubrovskjis Tagebuchaufzeichnungen aus den Jahren 2022 und 2023 geben einen erschütternden Einblick in das, was Menschen im Krieg erleben.