Die Haltung der Russischen Orthodoxen Kirche zum Krieg in der Ukraine bewegt Ursula Küppers, stellvertretende Vorsitzende des Osteuropa Ausschusses. Sie schreibt dazu:

Am 6. März feierte die Orthodoxe Kirche den Sonntag der Vergebung. Es gibt wohl kaum einen Gottesdienst, der bewegender ist, als dieser eine Woche vor Beginn der großen Fastenzeit. Da fallen die Priester, Diakone und die Gläubigen immer wieder auf die Knie, gehen zum Schluss einer auf den anderen zu und bitten mit einem Kuss um herzliche Vergebung. So erlebten wir es vor einigen Jahren in Tambow, und es ist einer der Gottesdienste, der mich durch seine bedingungslose Wahrheit ein Leben lang begleiten und verpflichten wird.

Und dann lese ich über die Predigt von Patriarch Kyrill I., dem Oberhaupt der Russisch Orthodoxen Kirche, die er in diesem Jahr genau an diesem Tag in der prächtigen Christus-Erlöser-Kathedrale gehalten hat. Kommentatoren haben sich dieser Predigt inzwischen reichlich angenommen. Wurde vor diesem 6.3. der Krieg noch verharmlosend als militärische Übung bezeichnet und in den Gebeten „Mitgefühl für alle, die vom Unglück betroffen sind“ gefordert, so legitimierte der Patriarch in dem Gottesdienst der Vergebung diesen als einen „Krieg des Lichts gegen die sündigen Werte, die den wahren Orthodoxen in der Ukraine von den ‚Weltmächten‘ aufgezwungen würden, insbesondere die Sünde der Homosexualität“ (DLF 8.3.) Immer wieder führten wir die Wertediskussion auch mit dem Tambower Metropoliten Feodosij, und die Frage nach der Homosexualität fehlte bei keiner Begegnung. Jedes Mal blieb es beim Austausch der Standpunkte. Handelt es sich hier um eine Verharmlosung, eine Ablenkung von dem tagtäglichen Kriegsgeschehen, oder, wie nah sind sich der Patriarch als ehemaliger KGB Führungs-Offizier und der Präsident im gemeinsamen Erreichen wollen von Zielen?

Wo stand, so frage ich mich auch, eigentlich die Deutsche Evangelische Kirche zum Tag des Einmarsches nach Polen, am 1. September 1939? Und da lese ich, zu meinem großen Erstaunen: „Seit dem gestrigen Tag steht unser deutsches Volk im Kampf für das Land seiner Väter, damit deutsches Blut zu deutschem Blut heimkehren darf. Die deutsche evangelische Kirche stand immer in treuer Verbundenheit zum Schicksal des deutschen Volkes. Zu den Waffen aus Stahl hat sie unüberwindliche Kräfte aus dem Wort Gottes gereicht: die Zuversicht des Glaubens, dass unser Volk und jeder einzelne in Gottes Hand steht, und die Kraft des Gebetes, die uns in guten und bösen Tagen stark macht.“(DLF 8.3.22). Die evangelische und die katholische Kirche  bezeichneten den Krieg als „nationale Pflicht und Zeit der Bewährung“, und sie ließen beim Einmarsch in Warschau alle Glocken läuten. Glocken wurden zu Kriegsgerät eingeschmolzen. Breit war der Konsens zwischen Kirchen und Staat in der Außen- und Kriegspolitik, besonders was die Unterstützung des Russlandfeldzuges betraf. „Die Sowjetunion ist ein Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christenhass fast zu Tieren entartet sind und die Ordnung des menschlichen Lebens dort nicht auf Christus, sondern auf Judas gebaut ist.“ So der Paderborner Erzbischof Lorenz Jaeger. Und das evangelische Führungsgremium versicherte dem Führer unwandelbare Treue der gesamten evangelischen Christenheit: „Sie haben, mein Führer, die bolschewistische Gefahr im eigenen Land gebannt und rufen nun unser Volk und die Völker Europas zum entscheidenden Waffengange gegen den Todfeind aller Ordnung und aller abendländisch-christlichen Kultur auf.“ (DLF 8.3.22)

Ja, es gab Dietrich Bonhoeffer und die Bekennende Kirche, eine schwache Minderheit gegen das Nazi Regime, die diesen Widerstand auch mit Gefängnis oder ihrem Leben bezahlten!  Und es gibt auch in Russland diejenigen, die diesen Krieg verurteilen, die auf die Straßen gehen, die von der Miliz in die Gefängnisse gesteckt werden, die in einem Schnellverfahren zu Haftstrafen verurteilt werden. Die fragen: wann begreift die Mehrzahl des Volkes endlich, dass die jungen russischen Soldaten, die in diese „Wehrübung“ geschickt wurden, nicht mehr ihre Mütter anrufen, um sie anzuflehen, sich für die Beendigung dieses Krieges einzusetzen – und Mütter ihnen antworten ‚Denk dran, du stirbst doch für dein Vaterland!‘

„Wo Russen und Ukrainer fest zusammenhalten“, so heißt es am 4.3. „im Fränkischen Tag“, einer Regionalzeitung, und da geht es um die Gläubigen einer kleinen russisch-orthodoxen Kirche in Bamberg, die über diesem Krieg neben der täglich gefeierten Liturgie entdecken, wie gut es tut, humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine zu sammeln, und wie über diesem diakonischen Tun das Interesse aneinander wächst und man ins Erzählen kommt, denn auch hier, wie in allen hiesigen orthodoxen Gemeinden, sind ganz unterschiedliche Nationalitäten in der Liturgie miteinander verbunden. Dr. Maxim Sorokin, Priester der Gemeinde und Geisteswissenschaftler an  der Universität Erlangen-Nürnberg, koordiniert die Hilfe. Er ist es auch, der an einer russisch-deutschen Dokumentation über die 30jährige Partnerschaft der Tambower und Wetzlarer Kirche arbeitet, die ja Ende 1990 mit dem Aufruf startete, den Menschen in Russland zu helfen, der „Russlandhilfe“.

Ebenso tätig ist die russisch orthodoxe Gemeinde in Mannheim mit ihren 400 Mitgliedern, Sie wurde 1942 von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen gegründet. „Krieg, das bedeutet Not, Leid, Schmerzen – das ist auch Hunger, Kälte, Tod“, so sagt es eine der Gläubigen.

Und dann gibt es noch die Russisch Orthodoxe Gemeinde in Krefeld, St. Barbara und ihren Priester Alexij. Er ist Ukrainer, und sein erster Satz in seiner wöchentlichen  Videobotschaft  ist „Russland hat die Ukraine angegriffen.“ Und das hat sowohl die russischen als auch die ukrainischen Gläubigen schockiert. Seelsorge ist jetzt ganz groß geschrieben. 12.000 Gemeinden in der Ukraine gehören zum Moskauer Patriarchat.

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die von Patriarch Kyrill deutliche Worte gegen den Angriffskrieg in der Ukraine fordern und seinen persönlichen Einsatz für die Beendigung bei Präsident Putin. Hunderte von Priestern, Diakonen und anderen Würdenträgern, Schriftsteller, Künstler haben im Internet einen Friedensappell unterzeichnet.  „Das Lokalkonzil der ROK, das mit der vollen Autorität ausgestattet ist, hat Sie zum Oberhaupt gewählt, damit Sie die vielen Millionen zählende Glaubensgemeinschaft vertreten. Als Oberhaupt ist Ihnen die Aufgabe übertragen worden an die Behörden zu appellieren und ihnen die Meinung des Kirchenvolkes vorzutragen“  (kath.ch 7.3.) heißt es in dem Appell.

Einer von ihnen ist der 86 jährige Musiker Avo Pärt. Er komponierte 1968, zum Zeitpunkt der Niederschlagung des Prager Frühlings sein „Credo in Jesum Christum“ als öffentliches Bekenntnis. Das galt als eine Provokation und wurde als Angriff auf die russische Regierung gesehen. 1980 emigrierte der aus Estland stammende Musiker nach Wien.

Die Bilder zeigen die Christus-Erlöser-Kathedrale in Moskau (Fotos: Ernst Udo Küppers)