Gottesdienst der WALI und evangelischen Kirche am Buß- und Bettag:
Umdenken und Neuorientierung stehen in der evangelischen Kirche am Buß- und Bettag im Mittelpunkt. Am ersten Mittwoch nach dem Volkstrauertag werden Versagen und Schuld sowie Fehlentscheidungen und Versäumnisse vor Gott zur Sprache gebracht. Auch gesellschaftliche Missstände wie Ausländerfeindlichkeit und die Ausgrenzung von Armen und Arbeitslosen gehören dazu. Obwohl seit 1995 in allen Bundesländern außer Sachsen als gesetzlicher Feiertag für die Finanzierung der Pflegeversicherung gestrichen, erinnerten Protestanten in den rund 60 Kirchengemeinden in der Region an Lahn und Dill auch in diesem Jahr wieder an die Bedeutung dieses Gedenktages am Ende des Kirchenjahres.
„… und richtet Erniedrigte auf!“ , ein Versteil aus dem Lukasevangelium, Kapitel 1, dem sogenannten „Magnificat“ (Lobgesang der Maria), stand als Motto über dem Gottesdienst.
Das Gleichnis von den „Arbeitern im Weinberg“, Kapitel 20, Verse 1 bis 15 aus dem Matthäusevangelium bildete die Grundlage für die Predigt von Superintendent Roland Rust. Im biblischen Text bekommen alle Tagelöhner unabhängig vom Zeiteinsatz ihrer Arbeit jeweils den gleichen Lohn. „Steht damit nicht unser gewohntes Wirtschaften auf dem Kopf?“ fragte der Theologe und stellte fest: „Jesus will, dass jeder sein Auskommen hat, auch der, der weniger leistet als andere.“ Christlicher Glaube sei eine Provokation in dem Sinne, dass er herausrufe aus dem Alltagstrott ständiger Geschäftigkeit einer oberflächlichen Spaßgesellschaft hinein in ein anderes Leben, in dem Gott Menschen einander gleich mache. Dabei sollten sie sich von der Freude über das Wohlergehen anderer anstecken lassen statt sich mit eigenem Missmut zu quälen. Gemeinde Jesu sei der Raum mit dem Impuls, jedes Leben als unbedingt wertvoll anzusehen und materiell auskömmlich zu gestalten. „Einen solchen Ruf heraus aus unseren gewohnten Denkbahnen sollten wir uns alle guten Mutes gefallen lassen.“
Wie Gerechtigkeit im Lahn-Dill-Kreis verantwortlich gelebt werden kann, stellte Landrat Wolfgang Schuster (SPD) in seiner Ansprache dar: „Wir wollen keinen Menschen zurücklassen oder gar aufgeben. Dazu brauchen wir eine starke Region, mutige Bürgerinnen und Bürger und gute Konzepte!“ So forderte Schuster angesichts empfindlicher Lohnunterschiede gleichen Lohn für Männer und Frauen sowie eine Stärkung der Tarifautonomie. Beim Versuch, durch Qualifizierung und Ausbildungsangebote die berufliche Integration nach vorne zu bringen, seien Organisationen wie die WALI unverzichtbare Partner. Angesichts des Reformationsjahres forderte er zu Mut zu Erneuerung und Wahrheit auf. Dies auch, indem rechten Populisten entgegengetreten werde, denn es gehe um die Demokratie: „Dann haben wir ein ehrliches Mandat, Erniedrigte aufzurichten und unsere Verantwortung in Gemeinde, Stadt und Kreis, Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden klar wahrzunehmen.“
Die Niedergirmeser Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht und Pfarrer Stephan Hünninger, stellvertretender Vorsitzender des kreiskirchlichen Sozialethischen Ausschusses sowie Gunther Schneider, Susanne Sievers und Maria Schaefer hatten die liturgische Gestaltung des Gottesdienstes übernommen, während das Duo Hendrik Pfeffer (Flügel) und Maren Simon (Gesang) sowie Karin Bremer an der Orgel musikalische Akzente setzten.
Traditionell sprechen jeweils einer der beiden Superintendenten der Evangelischen Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar und ein Vertreter aus dem Bereich „Politik und Gesellschaft“ beim zentralen Buß- und Bettagsgottesdienst in Wetzlar. Bereits seit einigen Jahren findet er, organisiert von der Arbeitsloseninitiative „WALI“ gemeinsam mit der evangelischen Kirche, in der Christuskirche Niedergirmes statt. In den Blick genommen wird jeweils ein sozialpolitisches Thema.
bkl
„… und richtet Erniedrigte auf!“ hieß es im Buß- und Bettagsgottesdienst in Niedergirmes, von der WALI und evangelischer Kirche gemeinsam gestaltet (v.l.): Roland Rust, Hendrik Pfeffer, Maren Simon, Stephan Hünninger, Maria Schaefer, Susanne Sievers, Wolfgang Schuster und Ellen Wehrenbrecht.