Pfarrer Wolfgang Grieb spricht an der ehemaligen Synagoge in Wetzlar:

„Es ist erstaunlich, dass nach dem Tiefpunkt aller Beziehungen im Holocaust sich 76 Jahre später gerade in Deutschland jüdisches Leben wieder so lebendig, facettenreich und selbstbewusst darstellt, als bewusster Teil unserer Gesellschaft trotz wachsender Anfeindung.“

So Wolfgang Grieb beim Gedenken an die Pogromnacht 1938 in der Wetzlarer Pfannenstielsgasse am Standort der ehemaligen Synagoge. Als Vertreter der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Gießen-Wetzlar wies der Hermannsteiner Pfarrer auf das Jubiläum „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ hin. Die Anwesenheit jüdischer Gemeinden sei eine Bereicherung des kulturellen, religiösen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens in Deutschland.

Dafür nannte Grieb mehrere Beispiele. In Frankfurt sei kürzlich das Jüdische Museum neu eröffnet worden. Eine Sonderausstellung gebe Einblick in die Nachkriegsjahre zwischen 1945 und 1948, in die Erfahrungen aus den DP-Camps („displaced persons“, Zivilisten, die sich aufgrund des Krieges nicht mehr in ihren Heimatländern befanden), mit erneuten Pogromen, „vor allem aber Leben im Übergang zu neuen Ufern.“

Der Theologe benannte auch die Biographie des polnischen Juden Abe Korn, der als Holocaust-Überlebender nach Wetzlar kam und dessen Geschichte im Jahresband 2021 des Wetzlarer Geschichtsvereins veröffentlicht ist. Zudem benannte er das Büchlein „Der neue jüdische Friedhof am Wuhlgraben in Wetzlar 1881-1949“, unter anderen erstellt von Dr. Ingrid Knell.

In Wetzlar lebten wieder einige Juden, erzählte Grieb. Ihnen eine sichere Heimat zu geben, bleibe eine gemeinsame gesellschaftliche Aufgabe. „Die Corona-Krise beflügelt alte Verschwörungstheorien und zugleich findet hier bei Querdenker-Demos geschichts-verfremdende Instrumentalisierung der Opfer statt“, warnte er und mahnte eine Erinnerungskultur an. Es sei immer wieder spannend und beklemmend zugleich, der Zeitzeugin Gisela Jäckel aus Wetzlar zuzuhören, wenn sie Konfirmanden ihre Geschichte erzähle.

„Ich wünsche uns viel Geist und Kraft, eine kreative Erinnerungskultur zu gestalten, die uns antreibt, Antisemitismus und jeglicher Form von Menschenfeindlichkeit zu wehren“, schloss Wolfgang Grieb.

Ansprachen hielten auch Nicolas Obitz, Vorstandsmitglied der deutsch-israelischen Gesellschaft Gießen und Lawrence de Donges-Amiss-Amiss von der jüdischen Gemeinde Gießen.

Der katholische Dompfarrer Peter Hofacker las Psalm 29 in der Übersetzung von Martin Buber und Elisabeth Hausen sang diesen Psalm auf Hebräisch.

Für den KSV nahm Pfarrer Michael Perko (Burgsolms) an der Gedenkveranstaltung teil.

Begrüßt hatte die Anwesenden im Rahmen einer Kranzniederlegung Oberbürgermeister Manfred Wagner. „Nichts gehört der Vergangenheit an“, zitierte er den jüdischen Juristen Fritz Bauer. „Alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“

bkl

 

Pfarrer Wolfgang Grieb wies in seiner Ansprache an der ehemaligen Synagoge in Wetzlar am 9. November auch auf das Jubiläum „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ hin.