Gottesdienst zum Reformationsjubiläum mit Okko Herlyn:

Eine Martin Luther-Figur auf dem Altar des Wetzlarer Doms. Eingraviert darauf die Worte „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, seit Generationen das Markenzeichen des Protestantismus. Okko Herlyn, evangelisch-reformierter Theologe aus Duisburg, der im zentralen Gottesdienst der Evangelischen Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar zum Jubiläum „500 Jahre Reformation“ die Predigt hielt, warb für christliche Zivilcourage. Ob beim Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit, gegen rassistische Parolen oder für Kinder aus sozialen Brennpunkten: „Da stehen kleine Luthers auf, weil sie um ihres an das Evangelium gebundene Gewissen nicht anders können.“

Mit deutlichen Worten erläuterte der Pfarrer und Theologieprofessor vor den rund 1.000 Gottesdienstbesuchern aus der gesamten Region der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar, wie die biblisch-reformatorische Erkenntnis von  der Gerechtsprechung „ohne des Gesetzes Werke“ auch den Menschen unserer Zeit helfen kann. „Allein durch den  Glauben“, wie es im Römerbrief, Kapitel 3, Verse 21 – 28 heißt, habe eine erstaunliche Aktualität. Heute versuche der Mensch zwar nicht mehr, sich wie zu Luthers Zeiten vor Gott zu rechtfertigen. Andere Götter, die „Werke“ fordern, seien jedoch an seine Stelle getreten: sozialer Status, Attraktivsein, Selbstinszenierung. Davon hänge ab, wie „okay“, beziehungsweise in der Sprache des 16. Jahrhunderts, wie „gerechtfertigt“ jemand sei.

„Es ist ein tiefes, befreiendes Aufatmen, das von der reformatorischen Erkenntnis über die Jahrhunderte hinweg zu uns herüberweht“, sagte Herlyn. „Gott sei Dank muss ich einmal nichts tun! Gott sei Dank kann ich mir einmal einfach etwas schenken lassen! Gott sei Dank bin ich den Stress los, immer gut dastehen, immer etwas vorweisen, immer etwas aus mir und meinem Leben machen zu müssen!“

„Allein aus Gnade“ laute die befreiende Botschaft in Zeiten mit Parolen wie „Hauptsache Spaß“, „Hauptsache gesund“, „Hauptsache Erfolg“, die inzwischen zu Tyrannen geworden seien, unter denen Menschen mehr und mehr litten, „auch wenn ihre Keep-smiling-Masken etwas anderes weismachen wollen.“

Mit den Worten „Wir feiern Gottesdienst aus gutem Grund und auf gutem Grund, denn Christus ist der Beweggrund zur Reformation“ hatte der Braunfelser Superintendent Roland Rust für beide Kirchenkreise die Besucher begrüßt bevor alle den Lutherchoral „Ein feste Burg ist unser Gott“ anstimmten, begleitet von Susanne Wirz (Trompete) und Kantor Dietrich Bräutigam an der Orgel.

Musikalisch aufgenommen wurden die Worte der Predigt vom Chor Gospel+, dessen Leiter Jochen Stankewitz mit „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“ das Lied zum rheinischen Motto des Reformationsjubiläums dirigierte. Vertont hatte das Psalmgedicht von Hanns Dieter Hüsch der Kirchenmusiker Christoph Spengler. Zusätzlich stimmten die Sänger mit „God so loved the world“ (So sehr hat Gott die Welt geliebt) einen grundlegenden Text aus dem Johannesevangelium (Kapitel 3, Vers 16) von John Stainer und „I am with body and soul“ die erste Frage aus dem reformierten Heidelberger Katechismus, komponiert von Johannes Blomenkamp, an.

Dass die Erinnerung an 500 Jahre Reformation auch ein Grund ist, für vieles dankbar zu sein, zeigten Vertreter kreiskirchlicher Arbeitsbereiche gleich siebenfach. Sie trugen Brot und Wein zum Altar und luden zum gemeinsamen Abendmahl ein: die ehemalige Superintendentin Ute Kannemann dankte für die Einführung des ersten evangelischen Pfarrers auf dem Gebiet der rheinischen Kirche in Lützellinden, Pfarrer Stephan Hünninger mit dem Kreuz, das die Dompfarrer Kollas und Heymer im Versöhnungsgottesdienst im Frühjahr gemeinsam aufgerichtet hatten, für ökumenische Begegnungen, Superintendent Roland Rust für den Prozess der Vereinigung der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar im guten Miteinander, Pfarrer Reinhard Vollmer für das Reformationsfest auf dem Altenberg, Frauenreferentin Simone Pfitzner für Orte der Begegnung in den Kirchenkreisen wie den Gottesdienst im Grünen, Pfarrerin Alexandra Hans für die Partnerschaften mit Christen in aller Welt sowie die  14-jährige Svenja Lotz und Jugendreferent Rüdiger Henke für Reisen mit Jugendlichen in diesem Jahr.

Den Segen zum Abschluss des Gottesdienstes, den Vertreter des Arbeitskreises Reformationsjubiläum gemeinsam vorbereitet hatten, sprach Dompfarrer Björn Heymer. Er hatte gemeinsam mit Pfarrer Stephan Hünninger auch die liturgische Gestaltung der Reformationsfeier übernommen.

bkl

[vc_gallery interval=”5″ images=”3958,3959,3960,3961″ img_size=”full”]Bild 1: Reichlich Grund zur Dankbarkeit angesichts einer befreienden Botschaft fanden die Akteure im zentralen Reformationsgottesdienst im Wetzlarer Dom  (v.l.):Simone Pfitzner, Svenja Lotz, Rüdiger Henke, Jörg Süß, Björn Heymer, Simon Volkmann, Stephan Hünninger, Ute Kannemann, Okko Herlyn, Alexandra Hans, Kerstin Sander, Hermann Frankfurt und Roland Rust.

Bild 2: „Gott sei Dank muss ich einmal nichts tun!“ In seiner Predigt über einen Bibeltext aus dem Römerbrief, der den Reformatoren besonders wichtig war, sprach Pfarrer Okko Herlyn von einem „befreienden Aufatmen“ als Inhalt der Reformationsbotschaft.

Bild 3: Rund 1.000 Besucher waren am Tag des 500. Reformationsjubiläums zum Abendmahlsgottesdienst in den Wetzlarer Dom gekommen und sangen „Ein feste Burg ist unser Gott“.

Bild 4: „Vergnügt, erlöst, befreit“ – das rheinische Motto zum Reformationsjubiläum sang der Chor Gospel+ unter Leitung von Jochen Stankewitz.