Letzte Synode des Evangelischen Kirchenkreises Wetzlar vor der Vereinigung:

200 Jahre Evangelischer Kirchenkreis Wetzlar – zu diesem Jubiläum hatte die Synode Anfang des Jahres noch einen Festgottesdienst in der Hospitalkirche gefeiert. Nun tagten die 56 Abgeordneten aus 18 Kirchengemeinden letztmals als Synode Wetzlar. Denn zum 1. Januar 2019 vereinigen sich die Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar zum „Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill“.

Die zweitägige Zusammenkunft im evangelischen Paul-Schneider-Gemeindezentrum in Hüttenberg war jedoch schon eher auf Zukunft und Aufbruch als auf Abschied angelegt. Lust auf Veränderung sollte die Synode machen, so die Intention von Superintendent Jörg Süß bei einer Tagung, auf der es mit Vorträgen, Diskussionen, Bibelarbeiten und einfallsreichen Projektvorstellungen recht lebendig zuging. Entsprechend befassten sich die Berichte aus den Gemeinden und den kreiskirchlichen Arbeitsbereichen und Einrichtungen mit der Frage nach guten Erfahrungen und nach den Zukunftsplänen.

So  beschrieb Jörg Süß in seinem Jahresbericht gesellschaftliche Trends und Veränderungen in der Kirche mit dem Ziel, daraus eine positive Motivation zu gewinnen. Dies nicht ohne auf die biblische Botschaft als Richtschnur hinzuweisen.

Zunächst zeigte der Superintendent angesichts des Mitglieds- und Bedeutungsverlustes der beiden Großkirchen  die Gefahr auf, die Pfarrperson zum „Manager eines großen Fürsorge-, Bildungs- und Vergnügungsvereins“ zu machen, was viel Kraft binde und zur Frustration führe. Missionstheologisch unterschied Süß die Haltung, Menschen durch anziehende Veranstaltungen in die Kirche einzuladen vom Bestreben, zu den Menschen hin zu gehen und in ihrer jeweiligen Lebenswelt eine neue Form von Kirche auszubilden. Beide Formen von Mission seien wichtig, gewissermaßen als „Leuchtfeuer und Lichternetz“, zitierte er einen Buchtitel von Thomas Schlegel. Und ein Netz könne auch durch Zusammenarbeit in der Region entstehen. Einige Gemeinden aus dem Kirchenkreis hatten in ihren Jahresberichten bereits über gelungene Kooperationen mit anderen Gemeinden und Institutionen erzählt.

Bewusst schloss sich der leitende Theologe im Blick auf die Hessenwahl der von der Frauenhilfe initiierten Aktion „Mut-Mensch“ an, die zum Dialog und zum Einsatz für die Schwachen aufruft, sowie der Stellungnahme des Evangelischen Dekanates Gießen für Toleranz und Respekt. Süß sprach von Strömungen zum Rechtsradikalismus in der AfD: „Flüchtlinge und Migranten werden zu Sündenböcken für alle gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gemacht.“ Hier sei der Widerspruch von Christen erforderlich: „Im christlichen Verständnis geht es nicht vorrangig um die Liebe zum eigenen Volk. Das spezifisch Christliche ist es, das zu lieben, was darüber hinaus geht: den Fremden.“

Weiter ging es mit dem Thema „Aufbruch und Veränderung“ am zweiten Tag der Synode:

„Gewohntes verlassen“, „Wertschätzung geben“, „Beziehungen knüpfen“ und „Vertrauen wagen“ hatten Delegierte als wichtige Anregungen nach den Bibelarbeiten in Gruppen beispielsweise zu Papier gebracht.

Darüber hinaus hielt Superintendent Süß anstelle des verhinderten Dr. Ralf Kötter, Dozent in Villigst, ein Impulsreferat in Anlehnung an dessen Buch „Das Land ist hell und weit“. Der ehemalige Pfarrer einer Landgemeinde hatte Vertrautes aufgegeben und mit seinem Presbyterium durch Reformen und interessante Projekte die Gemeindearbeit auf neue Füße gestellt.

Nicht Tradition und Gewohnheit seien die Schätze des Glaubens, sondern der entschiedene Gehorsam in der mutigen Nachfolge, sagte Süß. „Der schleichende Rückzug in kirchliche Mauerstrategien steht in krassem Widerspruch zum Geist des Aufbruchs in der Bibel“. Hier machten sich Menschen, ja, ganze Völker auf den Weg, von Gott aus ihrer Erstarrung herausgerissen. Mit einer „Good-Bye-Lenin-Strategie“ (überkommene Gewohnheiten beibehalten) machten sich die Gemeinden auf Dauer selbst überflüssig. „Heraus aus der verzagten Defensive, hin zur leidenschaftlichen Offensive!“ lautete der Appell des Theologen. Die Gemeinden müssten ihre Strategie immer wieder auf den Prüfstand stellen und gesellschaftliche Veränderungen wahrnehmen. Weltfremdheit dürfe nicht zum Markenzeichen werden: „Attraktiv geht anders.“ Stattdessen: „Wir müssen uns wieder bewusst machen, dass wir eine Botschaft für das Volk haben, dass wir Werte und Orientierung besitzen für die Fragen einer Gesellschaft.“

Die Delegierten aus den 18 Kirchengemeinden der Synode stellten daraufhin mit Symbolen gelingende Projekte vor, an denen sie Freude haben – auch mit dem Ziel, voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu bereichern. Da gab es beispielsweise eine joggende Pfarrerin, die eine meditative Lauftherapie anbietet, ein Konfirmandenprojekt „Reise gegen das Vergessen“ zur Erinnerung an ermordete Juden, ein Projekt „Kunstkirche“ mit je kreativer Gestaltung verschiedener Themen, eine kirchliche Projektband auf der Kirmes oder  Literaturgottesdienste sowie eine Liedzeile von Dom Helder Camara zum Ausblick: „Wenn viele gemeinsam träumen, dann ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit.“

Mit einem Abendmahlsgottesdienst in der Evangelischen Kirche Hochelheim endete die letzte Synode des Kirchenkreises Wetzlar. Die Predigt hielt Horst Daniel aus Lützellinden über Bibelverse aus dem Hebräerbrief, Kapitel 13, Vers 14, dem Phillipperbrief, Kapitel 3, Vers 14 und dem Markusevangelium, Kapitel 12, Verse 30 und 31. Der dienstälteste Pfarrer der Synode erklärte zur Frage „Kirche, wohin gehst du?“, die Gemeinde Jesu sei auf Veränderung hin angelegt, lebe zielorientiert und erhalte mit dem Gebot der Nächstenliebe Hilfe aus Gottes Wort: „Ziel ist  die Heimat im Himmel, Gottes Reich in der Ewigkeit. Von diesem Ziel her zu leben gibt Kraft und Mut im Hier und Heute.“

Mit herzlichen Dankesworten hat Superintendent Jörg Süß im Gottesdienst die ausscheidenden Mitglieder des Kreissynodalvorstandes verabschiedet: Krankenhauspfarrer im Klinikum Wetzlar Hans-Dieter Dörr als Skriba (Schriftführer) sowie Jürgen Martin (Hüttenberg) als stellvertretenden Synodal-Ältesten. Hans-Dieter Dörr war von 1996 bis zum Jahr 2000 stellvertretender Skriba und seitdem als Skriba im KSV Wetzlar tätig. Jürgen Martin hatte seit 2012 das Amt eines stellvertretenden Mitgliedes in dem Kirche leitenden Gremium inne.

Die liturgische Gestaltung des Gottesdienstes hatte der neue Ortspfarrer Carsten Heß übernommen, die Orgel spielte Kantor Dietrich Bräutigam.

Ein Grußwort zu Beginn der Synode hielt Reinhold Wiener, Beigeordneter der Gemeinde Hüttenberg in Vertretung von Bürgermeister Christof Heller. Eröffnet hatte die Tagung eine Andacht von Prädikantin Irmela Beyer (Wetzlar).

bkl

[vc_gallery interval=”5″ images=”6083,6084,6085,6086,6087,6088,6089,6090,6091,6092″ img_size=”full”]Bild 1: 56 Abgeordnete aus 18 Gemeinden des Kirchenkreises Wetzlar diskutierten auf ihrer letzten Synode über Aufbruch und Veränderung.

Bild 2:  In die Lebenswelt der Menschen hineinzugehen und dort eine neue Form von Kirche auszubilden, dazu ermutigte Superintendent Jörg Süß die Gemeinden in seinem Jahresbericht.

Bild 3: KSV Wetzlar (v.l.): Rolf Bastian, Alexandra Hans, Jörg Süß, Angelika Schroetter, Barbara Groß-Fengels, Rita Broermann-Becker und Hans-Dieter Dörr.

Bild 4 – 7: Engagiert wurde bei den Bibelarbeiten über „Aufbruchstexte“ (Hesekiel 12, 2-7 / Philipper 2, 5-11, Lukas 19, 1-10 und 1. Mose 12, 1-4) diskutiert.

Bild 8: Die Bibelarbeitsgruppen stellten ihre Ergebnisse im Plenum vor.

Bild 9: Ihre wichtigsten Projekte haben die Gemeinden einander präsentiert – hier Pfarrer Reiner Wagner aus Niederkleen mit seiner „Reise gegen das Vergessen“ für Konfirmanden.

Bild 10: Verabschiedung im Gottesdienst: Superintendent Jörg Süß dankte Pfarrer Hans-Dieter Dörr für insgesamt 22 Jahre KSV-Mitgliedschaft als stellvertretender Skriba (Schriftführer) und als Skriba sowie Jürgen Martin, der seit 2012 das Amt eines stellvertretenden Mitgliedes in dem Kirche leitenden Gremium innehatte.