Ernst von der Recke zu 1. Petrus 2,4:
Der 8. Mai 2020 ist der 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges. Dieser Tag ist gleichzeitig Gedenktag der Befreiung vom Nationalsozialismus.
Dass die evangelische Kirche noch im Jahr 1945 einen neuen Anfang im Blick hatte, macht Präses Manfred Rekowski in seinem Blog praesesblog.ekir.de/nie-wieder/deutlich. „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein“, so der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Und gerechter Frieden ist möglich. Das ist unser Bekenntnis. Dafür tun wir unseren Mund auf. Jesus lehrt uns nach der vom Evangelisten Matthäus überlieferten Bergpredigt, Gewalt zu überwinden und den Frieden Gottes schon hier auf Erden zu leben.“
Pastor Ernst von der Recke vom Arbeitskreis Frieden im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill geht in seiner Andacht zum 75. Jahrestag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht über 1. Petrus, Kapitel 2, Vers 4, auch auf gegenwärtige Herausforderungen wie die Modernisierung von Atomwaffen und Investitionen in moderne Kampfflugzeuge ein:
Wenn ihr zu dem lebendigen Stein kommt,
den die Menschen verworfen haben,
der vor Gott aber auserwählt und kostbar ist,
werdet ihr selbst wie lebendige Steine.
1. Petrus 2,4
Hunderte überzeugte Nationalsozialisten begingen während der ersten Tage im Mai 1945 in den Luftschutzkellern Berlins Selbstmord. Während oben die Truppen der sowjetischen Roten Armee Schrecken und Terror verbreiteten, mussten Rote Kreuz-Schwestern die Leichen aus den Kellern schaffen. Zum Teil waren sie heimlich nachts noch unterwegs, um die untergetauchten Männer des Widerstandes zu versorgen. Unter den Leichen befand sich auch der Reichsbischof der Deutschen Christen und sein Adjutant. – Ein „Haus“ stürzte zusammen und begrub seine Bauherren unter sich. Da half auch nicht, dass das Reich lange Zeit die stärkste Armee hatte. Es zerbrach an Hochmut und Habgier.
Im 1. Petrusbrief wurde ein anderer Weg gewiesen: „Kommt zu dem lebendigen Stein! Die Bauleute haben ihn verworfen, vor Gott aber ist er auserwählt und kostbar.“ Die Rede ist von Jesus Christus. Mit ihm verbindet sich die Hoffnung auf Rettung und auf ein „unvergängliches, reines und unverlierbares Erbe“.
Als Überbringer dieser Botschaft gilt Petrus. Er war unter den Jüngern wohl die härteste Nuss, die Jesus knacken musste, um sie vom Weg der Gewalt abzubringen. Auch wenn die Jünger sich auf Texte der hebräischen Bibel bezogen (Lukas 9,54), blieb Jesus unerbittlich: Tötende Gewalt ist für Jünger+innen kein Weg.
Der leitende römische Beamte zu der Zeit, Pilatus, hat diese Haltung Jesu sehr schnell verstanden. Er erkannte, dass die Anschuldigungen des Jerusalemer Hohen Rates erlogen waren. Seinem Gewissen nach hätte er Jesus gerne freigesprochen aber seine Verflechtung in Korruption machten ihn zum Getriebenen. Selbst bei erkannter Harmlosigkeit Jesu ließ sich für Pilatus dieser Konflikt nur blutig lösen. In dem Versuch, sich schadlos zu machen und der Wahrheit doch noch ihr Recht zu verschaffen, schrieb er als Urteilsbegründung „König der Juden“.
Was bedeutet es, wenn wir lesen, im Glauben an den auferstandenen Christus werden wir selbst zu lebendigen Steinen? Steine haben Gewicht. Wenn sie der Position eines Grundsteins folgen, liegen sie unverrückbar fest. Auf ihnen kann ein ganzes Gebäude errichtet werden. Woran bauen Christ+innen? Heißt „lebendige Steine sein“ nicht, unverrückbar in der Haltung der Gewaltfreiheit uns dahin zu begeben, wo Menschen in Angst und Not schweben? In der Friedenslogik Jesu ist das der erste Schritt – aufsuchen, Vertrauen aufbauen, Schmerzen lindern.
In der gegenwärtigen Diskussion um militärische Verteidigung wird viel von Sicherheitsarchitektur gesprochen. Politiker+innen in vielen Ländern der Erde erhöhen die Militärausgaben und investieren in immer raffiniertere Waffen. Das stärkste Verteidigungsbündnis der Welt, die NATO, investiert in die Modernisierung der Atomwaffen und deutsche Politiker+innen fordern, Milliarden Euro für moderne Kampfflugzeuge auszugeben, die im Ernstfall die Nuklearwaffen in ihr Ziel fliegen sollen.
Kirchen nicht nur in Deutschland fordern seit Jahrzehnten, die Doktrin der nuklearen Abschreckung zu beenden und eine GEMEINSAME Sicherheitsstruktur aufzubauen. Die Gefahren nuklearer Abschreckung sind nicht nur nicht zu kontrollieren, sie erzeugen permanenten Stress und gefährden die guten Erfahrungen an Vertrauensaufbau, die Kirchen und andere zivilgesellschaftliche Einrichtungen erreicht haben.
Die Nationalsozialist+innen und mit ihnen viele Christ+innen haben den „Stein“ verworfen, der vor Gott kostbar war. Als Gläubige stehen wir vor der Wahl, ob wir Zuschauer+innen sein wollen im Machtkampf der global Player und zulassen, dass gemeinschaftlicher Besitz in die Aufrüstung fließt oder ob wir uns verwandeln lassen wollen in lebendige Steine und Gottes Einladung folgen.
Amen.
Auch im Kirchenkreis war ein Gedenken zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren vorgesehen. Angesichts der Corona-Pandemie kann das für den 10. Mai geplante Requiem im Dom jedoch nicht stattfinden. Das für den 8. Mai in Braunfels vorgesehene Friedensgebet wird auf einen anderen Termin verschoben, der zu gegebener Zeit veröffentlicht wird, wie Pfarrerin Cornelia Starosta bekanntgab.
Ein Dankgottesdienst für 75 Jahre Frieden und Freiheit mit Berichten von Zeitzeuginnen und -zeugen kann man ab 18 Uhr auf der Homepage der Kirchengemeinde Bonn www.friedenskirche-bonn.de miterleben.
Um 10 Uhr wird das bundesweite Gedenken aus Anlass des 75. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs und der Befreiung vom Nationalsozialismus mit einem ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom eröffnet. Die Gottesdienstfeier wird vom Ersten Deutschen Fernsehen (ARD) live übertragen.
bkl / Foto: Junker
Plädoyer für das Leben angesichts des Gedenktages zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor 75 Jahren und angesichts aktueller Herausforderungen: Am Fliegerhorst Büchel in der Eifel gibt es jedes Jahr kirchliche Veranstaltungen, die sich gegen Nuklearwaffen richten.