Der Osteuropa Ausschuss im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill:

Am 31. Oktober 1992 beschließt die Synode des Kirchenkreises Wetzlar, die bereits seit zwei Jahren durch humanitäre Hilfe bestehenden Verbindungen mit der Eparchie Tambow in Zukunft als Partnerschaft zu leben. Für konkrete Planungen sorgt der ebenfalls 1992 berufene Osteuropa Ausschuss.

Das Ende der Sowjetunion hatte in Russland ein geistliches Vakuum hinterlassen. Hoffnungen und Erwartungen richteten sich auf die Kirche. Eine neue Religionsgesetzgebung vom Oktober 1990 gab den Kirchen erstmals seit der Oktoberrevolution von 1917 Wirkungsmöglichkeiten außerhalb der Kirchenmauern: in Krankenhäusern, Heimen, Schulen, Gefängnissen, Kindergärten. Innerer und äußerer Gemeindeaufbau war erforderlich. Begegnungen und geistlicher Austausch wurden gesucht. Der Tambower Erzbischof Evgenij und Bürgermeister Valerij Koval luden 1993 Superintendent Rainer Kunick mit einer Delegation von Vertreterinnen aus Kirche und Öffentlichkeit in die zentralrussische Stadt ein. Beim Gegenbesuch 1 ½ Jahre später unterzeichneten beide zusammen am 5. Oktober mit Pfarrer Ernst Udo Küppers als Vorsitzenden des Osteuropa Ausschusses eine zweisprachige Urkunde  „im Glauben an den dreieinigen Gott, wie er in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testamentes bezeugt wird und in den altkirchlichen Glaubenszeugnissen gültigen Ausdruck gefunden hat“ über die Partnerschaft.

Damit war der Weg geebnet für die bis 2019 jährlich oft mehrmals stattfindenden Begegnungen nicht nur zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen. Die Entwicklungen in der Tambower Eparchie (inzwischen Metropolie mit drei Bistümern), einem neuen Bischof (Metropolit Feodosij), neuen Ausbildungsstätten, kirchlichen Schulen, Religionsunterricht an staatlichen Schulen und an den Universitäten Theologie als Wissenschaft, stellten alle Beteiligten vor immer neue Herausforderungen.

Der seit dem 24. Februar 2022 durch Russland entfesselte Krieg in der Ukraine bringt für die Beteiligten der Partnerschaft täglich neue Fragen und Anforderungen: mit den auf unabsehbare Zeit nicht mehr möglichen Reisen sind 30 Jahre Partnerschaft ja nicht einfach „erledigt“. Im Gegenteil! Neue Wege der Kommunikation bieten digitale Konferenzen. Regelmäßige Email-Korrespondenzen sorgen für einen guten Informationsfluss. Allerdings ist hier angesichts der sich häufig ändernden Gesetzgebungen sprachlich äußerste Vorsicht geboten: die Universitäten sind dem Staat gegenüber zur absoluten Loyalität verpflichtet, die offizielle Kirche versteckt sich hinter ihrem Patriarchen. Proteste von Bischöfen und Priestern werden lauter. Auch aus Tambow liegen uns eindeutige Stellungnahmen vor. Konsens in den Bistümern ist: über den Krieg wird nicht gesprochen, er wird totgeschwiegen! Insbesondere in den Gottesdiensten. Und das gilt auch für die Gemeinden des Moskauer Patriarchates hierzulande. In den Fürbittgebeten darf nicht der in diesem Krieg gefallenen russischen Soldaten gedacht werden, das ist Privatsache.

Zwischen dem 21. und 26. November wird der Osteuropa Ausschuss zu einer weiteren Begegnung „Dialog Tambow“ digital einladen. Für den nächsten Sommer gibt es Planungen für ein Sommerfest der Tambower Freunde, und einen Jubiläumsgottesdienst am 5. Oktober.

Ursula Küppers, stellvertretende Vorsitzende des Osteuropa Ausschusses

 

Bild 1: Bei ihrem ersten Besuch in Tambow im Februar 1992 stehen Pfarrer Ernst Udo Küppers und Ursula Küppers (v.l.) mit Erzbischof Evgenij und Anatolij Helm nach dem Gottesdienst vor der Ikonostase in der Skorbjaschenskaja Kirche. Die Gemeinde kann ihnen Fragen stellen. (Foto: Eparchie Tambow)

Bild 2: Besuch im Mai 2019 : nach dem Gottesdienst in der Dreifaltigkeits-Kathedrale mit den Wetzlarer Teilnehmern und Teilnehmerinnen, Priester Alexander, Tambow und Mönchspriester Kornelius aus Krofdorf, außerdem die Kinder und Lehrer des Orthodoxen Gymnasiums. (Foto: Xenia Makarowa, Tambow)