Konsolidation mit dem Evangelischen Kirchenkreis Braunfels:

Zum 1. Januar 2019 haben sich die ehemaligen „Evangelischen Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar“ zum „Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill“ zusammengeschlossen. Er gehört zur „Evangelischen Kirche im Rheinland“ (EKiR). Das Gebiet erstreckt sich von Ahrdt (Hohenahr) im Norden bis Ebersgöns (Butzbach) im Süden, und von Holzhausen (Greifenstein) im Westen bis Odenhausen (Lollar) im Osten. Die fünfzig Kirchengemeinden dieses Gebietes sind damit im Lahn-Dill-Kreis, im Landkreis Gießen und im Wetteraukreis präsent. Das Gebiet deckt sich noch heute weitgehend mit den Grenzen der „Preußischen Kreise Wetzlar und Braunfels“ von 1816. Beide haben indes in der Geschichte deutlich unterschiedliche Entwicklungen erfahren:

Die beiden „Preußischen Kreise Wetzlar und Braunfels“ wurden am 14. Mai 1816 ins Leben gerufen. Es war die Konsequenz einer Entwicklung, die letztendlich zu einer umfassenden politischen Neuordnung auch unserer Region führen sollte. Die Gründung dieser Landkreise muss dabei im Kontext der politischen, religiösen und regionalen Veränderungen seit dem Übergang Wetzlars an Preußen am 9. Juni 1815 gesehen werden, welche die Geschicke unserer Region auf Jahrhunderte hinaus bestimmen sollten.

Welche Situation fand man 1815 in Wetzlar vor?

Die „Grafschaft Wetzlar“ bestand damals einzig und allein aus der Stadtgemarkung Wetzlar mit einer Fläche von gerade mal etwa sieben Quadratkilometern. Dieses winzige Areal war dabei umringt von den ausgedehnten Standesherrschaften der Fürsten zu Solms-Braunfels und Solms-Hohensolms-Lich auf der einen, und dem flächenmäßig noch bedeutenderen „Nassauischen Amt Atzbach“ mit den Bürgermeistereien Gleiberg und Hüttenberg auf der anderen Seite (27 Ortschaften, und damit flächenmäßig 15mal so groß wie der später neu geschaffene Kreis Wetzlar, wobei Gleiberg als Exklave noch durch einen schmalen Streifen Hessen-Darmstädtischen Territoriums entlang des Bieberbaches vom Hauptteil des „Amtes Atzbach“ getrennt war).

Das alles war zusätzlich umfasst vom Großherzogtum Hessen-Darmstadt im Osten und Norden, und dem Herzogtum Nassau im Westen: So gehörten Steindorf, Münchholzhausen und das damals noch selbstständige Niedergirmes zum Fürstentum Solms-Braunfels (und zwar ebenfalls als Exklaven ohne territoriale Verbindung nach dort; und da Niedergirmes bis an den heutigen Buderusplatz reichte, endete dort auch das Fürstentum Solms-Braunfels!). Hermannstein, Naunheim und Waldgirmes gehörten zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt, Blasbach zum Fürstentum Solms-Hohensolms, und schließlich Garbenheim, Dorlar und Atzbach zum Herzogtum Nassau. Frankenbach und Krumbach befanden sich sogar an der Grenze zum Bergrevier Kassel!

Nicht genug, Nauborn und Niederwetz dienten sogar jeweils zwei Herren: Die Ortsteile links des Wetzbachs gehörten jeweils zum Fürstentum Solms-Braunfels, jene rechts davon zum „Nassauischen Amt Atzbach“. Der Wetzbach war dort also „Landesgrenze“.

Diese territoriale Zerrissenheit bedeutete für alle Einwohner – die man damals noch „Unterthanen“ nannte – unterschiedliche Landesgesetzgebungen, Währungs-, Maß- und Gewichtseinheiten. Und wenn z. B. die Anwohner der heutigen Bahnhofstraße „Amtssachen“ zu erledigen hatten, mussten sie auf die fürstlich Solms-Braunfels’sche Bürgermeisterei nach Asslar, später Ehringshausen, wobei sie auf der Provinzialstraße zweimal die Großherzoglich Hessen-Darmstädtische Landesgrenze zu überschreiten hatten. Die Einwohner von Münchholzhausen mussten sich dafür zur Bürgermeisterei Schöffengrund mit Sitz in Schwalbach begeben, wobei sie das „Nassauische Amt Atzbach“ zu queren hatten. Sogar noch schlechter gestellt waren die Hermannsteiner, Naunheimer und Waldgirmeser Einwohner: Sie mussten für solche Zwecke nach Gießen fahren, ab 1866 sogar zum ca. 40 km entfernten Biedenkopf, was dann grundsätzlich einer vollen Tagesreise entsprach!

Doch damit endeten die Schwierigkeiten keineswegs: Wetzlar war jetzt zwar Teil des preußischen „Großherzogtums Niederrhein“ mit der Hauptstadt Koblenz geworden – eine territoriale Verbindung dorthin fehlte aber völlig, so dass die Stadt lediglich eine dem Preußischen Staat verwaltungsmäßig angegliederte Exklave war: Ein einsamer Zwerg unter übermächtigen Nachbarn. Diese dynastische, geografische und wirtschaftliche Zersplitterung war ebenso vielschichtig wie verworren.

Am 14. Mai 1816 wurde diese außergewöhnliche Situation jedoch mit einem Schlage durch Bildung der beiden Preußischen Kreise „Wetzlar“ und „Braunfels“ teilweise beendet, und mit Übergang des Kreises Braunfels in den Kreis Wetzlar am 31. August 1822 entstand die vorläufig endgültige Struktur des „Preußischen Kreises Wetzlar“. Damit war eine Epoche der politischen Vereinigung und verwaltungsmäßigen Neustrukturierung eingeleitet, die durchgängig bis in unsere Zeit wirkt.

 

Fast genau umgekehrt verhält es sich hingegen mit der Vorgeschichte des neuen „Evangelischen Kirchenkreises an Lahn und Dill“.

„Im Amtsblatt der Königlichen Regierung von Coblenz vom 25. Januar 1818 ist vermerkt, dass die Synode (Kirchenversammlung) Wetzlar mit allen Pfarreien ab sofort zum Bezirk des „Königlichen Konsistoriums des Großherzogthums Niederrhein“ zählen solle, was auch für den benachbarten Kirchenkreis Braunfels galt. Der Sitz der kirchlichen Verwaltung für diese Synoden war also in Koblenz, der „Rheinprovinz“ mit dem preußischen König als Oberhaupt. Während die preußischen Landkreise Braunfels und Wetzlar bereits 1822 zusammengeführt wurden, blieben deren beide Kirchenkreise getrennt, was auch konfessionelle Gründe hatte: Wetzlar war eher lutherisch geprägt, Braunfels reformiert (unter anderem macht sich dies äußerlich fest an der größeren Schlichtheit in der Kirchengestaltung und der Liturgie, mit Schwerpunktsetzung auf die Predigt). So blieben sowohl die territoriale Ausdehnung als auch die Gemeindegrenzen der zwei Kirchenkreise rund 150 Jahre lang unverändert erhalten.

Nach der Trennung von Religion und Staat durch die Weimarer Verfassung und der Neuordnung der kirchlichen und politischen Verhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten viele Kirchengemeinden und Kirchenkreise jedoch einen anderen Gebietszuschnitt als die entsprechenden Landkreise und Kommunalgemeinden. Sie regeln ihre Angelegenheiten unabhängig von den politischen Gegebenheiten. So haben die Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar die Herauslösung des Kreises Wetzlar 1932 aus der Rheinprovinz und den Zuschlag zur Provinz Hessen-Nassau nicht mitvollzogen, da sie bei der rheinischen Kirche bleiben wollten.

Erst Mitte der 1960er Jahre begannen die strukturellen Veränderungen der evangelischen Kirchenkreise: Während 1964 in Wetzlar aufgrund des steten Wachstums die Gemeinde in die Dom-, die Heilig-Geist- und die Kreuzkirchengemeinde geteilt werden konnte, wurde dies wegen der schwindenden Gemeinde-Mitgliederzahlen 2006 wieder rückgängig gemacht. Dabei deckten sich nicht immer kommunale und kirchliche Grenzen: So gehörten die Wetzlarer Ortsteile Blasbach, Nauborn, Niedergirmes und Steindorf kirchlich zur Synode Braunfels. Dies galt bis 1977 auch für Münchholzhausen, bevor die Kirchengemeinde aufgrund der abgelegenen Lage zum Kirchenkreis Wetzlar kam. Die evangelischen Kirchengemeinden in Hermannstein, Naunheim und Waldgirmes (Kommune Lahnau) hingegen zählen noch heute zum Dekanat Biedenkopf-Gladenbach und damit zur Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN).

Seit den 1970er Jahren entstanden zahlreiche pfarramtliche Verbindungen zwischen Gemeinden, beziehungsweise Gemeinden vereinigten sich. Grund dafür sind auch die demographischen Veränderungen, die zum Rückgang von Gemeindegliederzahlen führen. So wurden beispielsweise aus den vor 1972 existierenden fünf Kirchengemeinden Volpertshausen, Weidenhausen, Vollnkirchen, Niederwetz und Reiskirchen im Jahr 2015 zwei, nämlich Weidenhausen-Volpertshausen-Vollnkirchen und Niederwetz/Reiskirchen. 2013 entstand eine kirchenkreisübergreifende pfarramtliche Verbindung zwischen der Kirchengemeinde Garbenheim (Kirchenkreis Wetzlar) und der Kirchengemeinde Niedergirmes im Kirchenkreis Braunfels.

Die Kirchengemeinden Odenhausen und Salzböden sowie Krofdorf-Gleiberg, Wißmar und Launsbach bildeten eine eigene Exklave, da sie durch das Hessen-Darmstädtische Territorium (kirchlich zu Hessen-Nassau), vom „Nassauischen Amt Atzbach“ getrennt waren. Einzig die Kirchengemeinde Kinzenbach (damals mit Krofdorf-Gleiberg pfarramtlich verbunden) trat 1968 zur hessen-nassauischen Kirche über.

Im Kirchenkreis Wetzlar haben sich im Laufe der letzten Zeit im Jahr 2008 die Kirchengemeinden Hochelheim und Hörnsheim vereinigt, 2015 Volpertshausen-Weidenhausen und Vollnkirchen sowie Niederwetz und Reiskirchen, weiter 2017 Dutenhofen und Münchholzhausen (mit pfarramtlicher Verbindung zu Lützellinden) sowie Odenhausen und Salzböden.

Jetzt haben diese Umstrukturierungen mit der Vereinigung der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar zum „Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill“ zum 1. Januar 2019 auf kreiskirchlicher Ebene einen vorläufigen Abschluss gefunden.

Dennoch sind weitere Vereinigungen von evangelischen Kirchengemeinden zukünftig geplant, so die der Kirchengemeinden Nauborn und Laufdorf, der Kirchengemeinden Bonbaden, Schwalbach und Neukirchen und der Kirchengemeinden Krofdorf-Gleiberg, Launsbach und Wißmar. Die Kirchengemeinden Ebersgöns, Oberkleen, Dornholzhausen und Niederkleen werden sich zu einer “Gesamtkirchengemeinde” zusammenschließen.“

Insgesamt bleibt festzuhalten: Der neue „Evangelische Kirchenkreis an Lahn und Dill“ gehört zur Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) mit Sitz in Düsseldorf, obwohl er mitten im Gebiet der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) liegt. Darüber hinaus ist er nun zwar inhaltlich neu strukturiert; seine Grenzen entsprechen jedoch auch heute noch denen des „Preußischen Kreises Wetzlar“ von 1822, der (ebenfalls) keine territoriale Verbindung zur Preußischen Rheinprovinz hatte.

Karsten Porezag / Uta Barnikol-Lübeck

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bild 1: Der „Preußische Kreis Wetzlar“ am 14. Mai 1816 auf Grundlage der Karte „Der Kreis Wetzlar im Regierungsbezirk Coblenz 1832“: KW = Kreis Wetzlar, KB = zum Kreis Braunfels gehörig (Münchholzhausen, Niedergirmes) und A = „Nassauisches Amt Atzbach“, bestehend aus den einstigen Justiz-Ämtern Gleiberg und Hüttenberg (gemeinsam am 24. Oktober 1816 dem Kreis Wetzlar zugeschlagen).
Bild: Karsten Porezag

 

Bild 2: Zum 1. Januar 2019 haben sich die ehemaligen Evangelischen Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar zum „Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill“ zusammengeschlossen. Seine Grenzen entsprechen auch heute noch denen des „Preußischen Kreises Wetzlar“ von 1822.
Bild: Peter Graben, Asslar-Bechlingen.