Dietrich Lohffs Monumentalwerk im Wetzlarer Dom aufgeführt:

Selten hat ein kirchenmusikalisches Werk so bewegt wie das groß angelegte szenische Oratorium „Luther“ des Heidelberger Komponisten Dietrich Lohff (1941-2016), das am Sonntag im Wetzlarer Dom seine Aufführung erlebte. Das gewaltige, zeitgenössische Werk, ausgestattet mit einer mächtigen Klangfülle, zeichnete in fünf Akten Auszüge aus dem Leben Martin Luthers in der Zeit von 1517 bis 1525 nach. Der Reformator wollte keine Kirchenspaltung, aber eine Reform und Erneuerung  seiner Kirche. Leben und theologische Lehre Luthers zu entfalten, gelang dem erst im vergangenen Jahr verstorbenen Komponisten volksnah und gleichermaßen musikalisch anspruchsvoll, was auch bei den über 550 Besuchern ankam, die das Werk mit viel Applaus bedachten.

Mit der Kantorei Wetzlar und dem Projekt-Kinderchor (Leitung Jochen Stankewitz) hatten die rund 80 Sängerinnen und Sänger die Aufgabe übernommen, dieses monumentale Werke in würdiger Interpretation vorzustellen. Instrumental getragen wurde es von den über 40 Musikern der Kammerphilharmonie Frankfurt/Bad Nauheim. Die Solopartien waren mit Barbara Berg (Sopran), Burkard von Puttkamer (Bariton), Björn Christian Kuhn (Tenor), Maik Gruchenberg (Bass) und dem Sprecher Wolfram Becker glänzend besetzt. Die Gesamtleitung hatte Domkantor Dietrich Bräutigam.

Da das Oratorium als szenisches Werk angelegt war, wurde der ganze Altarraum zur Bühne und die Solisten setzten die Stationen aus dem bewegten Leben des Reformators spielerisch in Szene. Entsprechende Lichteffekte gaben dem Geschehen im Altarraum eine besondere, zum Teil bunte, Note.

 „Wir gedenken mit dieser Aufführung der Reformation vor 500 Jahren mit allen Licht- und Schattenseiten, dabei wollen wir auch der Person Martin Luther und seinem Handeln Raum geben“, betonte Dompfarrer Björn Heymer in seinem Grußwort.

Machtvoll schon der Beginn, als nach dem Vorspiel der Chor mit „Martinus, Martinus sündiger Mensch! Blick deinen Herrn und Heiland an“ auf Luther einsingt, der im Kloster von Selbstzweifeln geplagt, vor dem Altar kauert. „Es saust um mich, es zerrt und schreit ein Herr von tausend Dämonen“. Und als sein Vater (Wolfram Becker) ihn mit sonorer Stimme aus der Tiefe des Domes anspricht: „Auf mich hört er ja nicht, wer geht denn heute noch ins Kloster“, sinkt Luther in sich zusammen. Da begegnet er seinem zeitlebens väterlichen Freund Staupitz, der ihn wieder aufrichtet und ihm den Predigt- und Lehrauftrag erteilt.

Im zweiten Akt, der mit einem Magnificat beginnt, trifft Luther auf Tetzel, der marktschreierisch die Ablassbriefe verkauft. „Lässlich sind die meisten Sünden, los davon könnt ihr euch binden, seit befreit von Übeltaten nur durch einen Gelddukaten“. Dazu der Kinderchor „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt.“ Dazu halten sie die Ablassbriefe den Besuchern entgegen. In einem Quartett widersetzt sich Luther den Thesen von Tetzel und dessen Kumpan Cajetan. Den Akt beschließt Papst Leo X. mit einer Situationsaufnahme: „Dieser Mönch schlägt über die Stränge, er unterwirft sich mir, leckt mir die Füße, aber widerruft nicht“.

Auch im dritten Akt, dem Reichstag zu Worms 1521, nutzt Lohff die Mittel der unterschiedlichen Chöre und Orchester, baut Höhepunkte auf. Hier singt Luther vor Kaiser Karl V. die Arie „Hier stehe ich in Gotteswort, ich kann von diesem Wort nicht fort, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.“

Luther kehrt nach Wittenberg zurück und lernt dort die dem Kloster entflohene Katharina von Bora kennen – sie kommen sich näher. Deswegen müssen sie zunächst Spott und Hohn über sich ergehen lassen. Im dem bewegenden Duett bekennen beide ihre Zuneigung, „Nur wenigen hat es Gott gegeben, in Keuschheit seinen Dienst zu leben, und wir sind wohl nicht dazu berufen“. Trotz aller Anfeindungen stehen sie zusammen.

Das große Finale wird mit dem Hochzeitsständchen der Kinder eingeläutet und schließt mit dem Hymnus auf die Liebe aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 13 („Nichts wär, was von mir bliebe, entbehrte ich der Liebe – nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei, aber die Liebe ist die größte unter ihnen“). Ein gewaltiger Schlusschor beschließt die über zweistündige Aufführung.

In Lohffs Oratorium sucht man die erzählenden Gesänge fast vergebens. Auffallend die große Zahl der Solistenensemble, denen die Wiedergabe der handelten Personen und deren Stimmung anvertraut war. Mächtig auch die Chöre in ihrer dramatischen Wirkung. Mit der Kammerphilharmonie präsentierte sich ein glänzend disponierter Klangkörper. Er war mit seinem Spiel für Chor und Solisten eine sichere Stütze. Schließlich sind noch die fünf hervorragenden Solisten zu nennen. Allen voran Burkhard von Puttkammer. Der Bariton hatte mit der Rolle des Reformators eine Mammutaufgabe übernommen. Seine Interpretationen waren kraftvoll und virtuos in den Koloraturen. Die Sopranistin Barbara Berg als Katharina von Bora und anderen Rollen brillierte mit vollen warmen Timbre und klaren lieblichen Höhen,  die sie mit Leichtigkeit nahm. Auch Björn Christian Kuhn (Tenor) und Maik Gruchenberg (Bass) konnten als Tetzel, Staupitz und in weiteren Rollen mit ihrer Stimme überzeugen. Und nicht zu vergessen Wolfram Becker, der Sprecher, wurde seinen Aufgaben voll gerecht. Eine gewaltige Gemein-schaftsleistung, zusammengehalten und überzeugend geleitet von Domkantor Dietrich Bräutigam.

Als der Domkantor nach über zwei Stunden den Taktstock senkte, erhoben sich die begeisterten Besucher von ihren Plätzen und bedankten sich bei dem Ensemble mit viel Beifall für eine großartige Aufführung.

wv/bkl

 Bild 1: Unter der Leitung von Dietrich Bräutigam  boten die Sänger und Musiker eine geschlossene Ensembleleistung.

Bild 2:  Neun Jahre aus dem Leben des Reformators  Martin Luther stellte das Oratorium „Luther“ musikalisch und szenisch sehr vielfältig dar.

Bild 3: Der Kinderchor bietet dem Publikum musikalisch die Ablassbriefe an.

Fotos: wv/sti