Festlicher Erntedankgottesdienst erinnert an bewegte Geschichte und lebendige Gegenwart
Mit einem Erntedankgottesdienst im vollbesetzten Kirchensaal hat die Gnadenkirche Wetzlar am Sonntag, dem 5. Oktober, ihr 70-jähriges Bestehen gefeiert – ein Jubiläum, das Geschichten von Trümmern, Mut und neuer Gnade erzählte.
„Wir brauchen Feste, um den Alltag zu unterbrechen“
In seiner Predigt erinnerte Pfarrer Christian Silbernagel daran, dass Menschen Feste brauchen, um den Alltag zu unterbrechen – ganz im Sinne von Psalm 145, der die Güte Gottes preist. „Vor 70 Jahren hat eine ganze Gemeinde aus den Trümmern dieser Stadt eine Kirche entstehen lassen“, sagte er.
In eindrucksvollen Bildern schilderte er, wie die damalige Generation mit Mut, Glauben und viel Tatkraft Neues aufbaute. Der damalige Pfarrer Bückmann brachte Chöre aus England in die Gemeinde – als Zeichen der Versöhnung nach dem Krieg. Sie brachten Wolle als Gastgeschenk mit, aus der Gemeindemitglieder den Altarteppich knüpften. „So entstand eine Atmosphäre der Wohltat, die bis heute spürbar ist“, so Silbernagel.
Mut und Demut
Die Predigt stellte das Spannungsfeld zwischen Mut und Demut in den Mittelpunkt. „Manches werden wir als Gemeinde vielleicht nicht schaffen“, sagte Silbernagel, „aber das schafft dann vielleicht die nächste Generation.“
Angelehnt an den Propheten Jesaja betonte er, dass neue Zeiten immer dann anbrechen, wenn sich die Atmosphäre verändert – wenn aus einer Zeit der Sorge eine Zeit der Gnade wird.
Mit einem Augenzwinkern zitierte er den Kabarettisten Eckart von Hirschhausen: „Wenn du als Pinguin geboren wirst, machen sieben Jahre Therapie aus dir auch keine Giraffe.“ – und schloss daraus: „Veränderung beginnt immer mit Dankbarkeit.“
Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst vom Bläserchor, Olaf Schulz mit seinem Chor und einem eigens zum Jubiläum komponierten Lied sowie von einem Kinderchor der Kindertagesstätte Büblingshausen mit „Gottes Liebe ist so wunderbar“.
„Zeit ist Gnade“ – Eine Botschaft, die um die Welt ging
In seinem Grußwort erinnerte Oberbürgermeister Manfred Wagner an die weltbekannte Turmuhr der Gnadenkirche mit der Inschrift „Zeit ist Gnade“. Diese Botschaft sei weit über Wetzlar hinaus bekannt geworden und stehe sinnbildlich für den Geist dieser Gemeinde.
Er würdigte zugleich das außerordentliche Engagement der Gnadenkirchengemeinde: „Die Arbeit für Geflüchtete und Hilfesuchende ist einmalig – diese Kirche ist eine Quelle der Hoffnung und des Zusammenhalts.“
Wagner erinnerte an drei prägende Persönlichkeiten, die das Gemeindeleben über Jahrzehnte hinweg formten: die Pfarrer Brückmann, Henning und Silbernagel.
Stimmen aus der Gemeinde
Besonders bewegend waren die persönlichen Beiträge aus der Gemeinde:
Amina Janji, eine Geflüchtete aus Serbien bedankte sich öffentlich für die herzliche Aufnahme und Unterstützung, die sie und ihre Familie erfahren haben.
Der Konfirmand Mattis Eigendorf erzählte, wie sehr ihn der Glaube gerade durch das KonfiCamp gestärkt habe.
Auch Heidi Stiewink sprach vielen aus dem Herzen: „Kommen Sie in die Kirche – die Türen stehen immer offen!“
Dank, Gemeinschaft und ein Teller Suppe
Nach dem feierlichen Gottesdienst setzten sich die Feierlichkeiten im Gemeindehaus fort. Bei Suppe, Kuchen und vielen Gesprächen wurde gemeinsam gefeiert, gelacht und erinnert – so, wie es seit 70 Jahren in der Gnadenkirche Brauch ist.
Ein Jubiläum, das deutlich machte:
Die Gnadenkirche ist und bleibt ein Ort, an dem Zeit wirklich Gnade ist.
JCK
FOTOS: Jan-Christopher Krämer
FOTO 2: Olaf Schulz sang zusammen mit seinem Chor das eigens zum Jubiläum von ihm komponierte Lied „Zeit ist Gnade“.
FOTO 3: Pfarrer Christian Silbernagel sprach in seiner Predigt u. .a von den Anfängen der Gemeinde.
FOTO 4: Zum Gottesdienst war der Kirchraum bis auf den letzten Platz gefüllt.
FOTOS, 5, 6, 7: Oberbürgermeister Manfred Wagner, Amina Janji und Mattis Eigendorf sprachen gratulierten zum Jubiläum.
FOTO 8: Heidi J. Stiewink übernahm im Anschluss an den Gottesdienst die Moderation.
FOTO 9: Im Anschluss an den Gottesdienst wurde gemeinsam im Gemeindehaus weitergefeiert.