Ein Klage- und Trauergebet mit Stimmen von einem israelischen Juden, einem aus Gaza stammenden Palästinenser und einer in Deutschland verheirateten christlichen Palästinenserin fand am 23. August 2025 in der Pauluskirche in Hermannstein statt. Eingeladen hatten der Arbeitskreis Frieden im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill und die Christlich-jüdische Gesellschaft Gießen und Wetzlar.

Marina Gross aus Rechtenbach verlas den Beitrag von Nahedd El-Kayyali, einem früheren Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Gaza. Er durfte mit Erlaubnis der Bundesregierung nach dem 7.Oktober 2023 mit seiner Frau, der neugeborenen Tochter und seinen Eltern nach Deutschland fliehen. Er konnte persönlich leider nicht bei dem Gebet dabei sein. Hier folgt sein Bericht als ein Beispiel für die aktuelle Klage und Trauer auf palästinensischer Seite.

„Bei Gott, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Man fühlt sich innerlich ausgelöscht – von allem. Von Gefühlen, von Verzweiflung und von der Enttäuschung über eine Welt, die diese Massaker nicht stoppen kann. Oft fühle ich mich schuldig, weil ich nichts tun kann. Ich kann nichts tun, um meinem Volk zu helfen, das nicht nur durch Bombenangriffe stirbt, sondern jetzt auch ausgehungert wird. Ich habe früher immer das Sprichwort gehört: ‚Niemand stirbt an Hunger.‘ Aber leider sehe ich heute mit eigenen Augen, dass das nicht stimmt. In Gaza kann heute jeder am Hunger sterben.
Ich habe mittlerweile große Angst davor, soziale Medien zu öffnen – aus Angst, eine schockierende Nachricht zu lesen, dass ein Freund oder Verwandter getötet wurde oder ihm etwas Schlimmes passiert ist.
Ich habe viele geliebte Menschen verloren. Bis jetzt kann ich nicht glauben, dass ich sie nie wiedersehen werde. Jedes Mal, wenn ich die ausgehungerten Kinder sehe, stelle ich mir vor, ich wäre noch dort – meine Tochter vor mir – und ich könne nichts für sie tun. Der bloße Gedanke daran erschreckt mich zutiefst. Ich habe den Beginn des Krieges erlebt, als meine Tochter gerade erst geboren war, keine vier Wochen alt. Ich bin jeden Tag vor Angst um sie fast gestorben.
Vielleicht hatte ich Glück, dass ich es geschafft habe, der Zerstörung und dem Tod zu entkommen und hier nach Deutschland zu kommen, um ein neues Leben zu beginnen. Es war auf keinen Fall einfach für mich, in Gaza alles zu verlieren – meine Arbeit, mein Zuhause, mein ganzes Leben und meine Erinnerungen – und hier bei null anzufangen, an einem neuen Ort, an dem ich mich zusammen mit meiner Familie sicher fühlen kann. An dem ich das Gefühl haben kann, dass meine Tochter nicht das durchmachen muss, was ich erlebt habe – von dem Moment meiner Geburt bis zum letzten Tag in Gaza. Wir haben nie ein normales Leben geführt, obwohl das unser Recht ist, so wie allen anderen Menschen auf der Welt. Ich habe Hoffnung, dass ich mit meiner Familie ein gutes Leben beginnen kann.
Ich bitte die ganze Welt, aus ihrem Koma aufzuwachen. Gaza braucht Frieden. Gaza will leben. Die Menschen in Gaza sind gutherzig.
Ich verlange nichts Unmögliches. Alles, was ich mir wünsche, ist, dass Gaza in Frieden leben kann. Dass die Menschen dort das Recht haben, ein würdevolles Leben zu führen – so wie alle anderen auch. Ich wünsche mir, Gesichter voller Hoffnung zu sehen statt voller Angst. Und Kinder, die rennen, weil sie spielen – statt vor Bomben zu fliehen und ein Leben führen zu müssen, das viel zu schwer für ihr Alter ist.
Genug Krieg, genug Zerstörung, genug Blutvergießen und Aushungern.“

Ernst von der Recke

 

FOTO: Mike Labrum @Unsplash