„Friedensaktivitäten führen eher zum Erfolg als militärischer Einsatz“. So könnte man Vortrag und Lesung des Friedensaktivisten Jürgen Grässlin (67) im Gemeindesaal der Hospitalkirche zusammen fassen. Der einstige Lehrer und Buchautor aus Freiburg im Breisgau schilderte sein Leben, das er in der Autobiografie „Einschüchtern zwecklos. Unermüdlich gegen Krieg und Gewalt – Was ein Einzelner bewegen kann“ niedergeschrieben hat. Zu dem Abend eingeladen hatten der Arbeitskreis Frieden im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill sowie der Wetzlarer Friedenstreff. Anlass war die ökumenische FriedensDekade, die vom 10. bis 20. November sein wird. Seit über 40 Jahren engagiert sich die Ökumenische FriedensDekade für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Sie will einen Beitrag zur Vertiefung des christlichen Friedenszeugnisses leisten und zur friedenspolitischen Willensbildung in Kirchen, Gemeinden und Gesellschaft beitragen.

„In mir regte sich Widerstand“

Grässlins Vater hat bei der Wehrmacht gedient. Auch er sei als junger Mensch zur Bundeswehr gegangen. Ein Schlüsselerlebnis am ersten Tag auf dem Schießplatz habe ihn zum Umdenken gebracht. Die Vorgesetzten sagten: „Wir üben jetzt das Kopfschießen auf Chinesen. Stellt euch vor, ihr schießt genau in die Mitte. Die Vorgesetzten haben damals vor der gelben Gefahr gewarnt.“ Grässlin bekennt: „Ich mir regte sich Widerstand. An diesem Tag wurde ich Pazifist“.

40 Jahre lang war er anschließend als Lehrer tätig, kam nach Sulz am Neckar. In der Nachbarstadt Oberndorf stellt das Rüstungsunternehmen „Heckler & Koch“ Gewehre her, die weltweit in Konflikten und Kriegen eingesetzt werden. Deutschland habe 15 Lizenzen vergeben an „befreundete Staaten“ wie die Türkei, Mexiko, Saudi-Arabien, Katar und weiteren Ländern. Nach der russischen Kalaschnikow sei das G3 mit 15 Millionen Exemplaren das am weitesten verbreitete Gewehr weltweit. Grässlin schloss sich der örtlichen Friedensbewegung an und hat seitdem dem Rüstungsunternehmen das Leben schwer gemacht durch Prozesse, Demonstrationen und Aktionen. 1984 sei ein weiteres Schlüsselerlebnis für ihn gewesen, als in Oberndorf der Film „Fern vom Krieg“ gezeigt wurde. Es sei eine bedrohliche Stimmung im Saal gewesen durch Mitarbeiter von Heckler & Koch. Der Film thematisiert die Folgen des Einsatzes von G3-Gewehren. Ihn habe damals das standhafte Auftreten des Filmautors beeindruckt. Sein pazifistischer Einsatz habe zu Klagen gegen ihn geführt. 30 Prozesse habe er alle gewonnen.

Mit anderen „Dachverband Kritischer AktionärInnen Daimler“ (KAD) gegründet

„Ich wurde Kapitalist“, schildert der Buchautor, sogar Großkapitalist“, denn er habe sich Aktien gekauft bei Rheinmetall, Heckler&Koch, Daimler oder Deutsche Bank. Das eröffne ihm die Möglichkeit bei den Aktionärsversammlungen kritische Fragen zu stellen. Anfang der 1990er Jahre gründete Grässlin mit anderen den „Dachverband Kritischer AktionärInnen Daimler“ (KAD) und ist seither einer seiner Sprecher. Grässlin schloss sich der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ an, kam in den Landesvorstand und in die Bundespolitik. Doch der Kurs der Grünen weg von einer Friedenspartei hin zu einer politischen Vereinigung, die Waffenlieferungen befürworte, konnte er nicht mitgehen.

Grässlin ist in Länder gegangen, in denen er Opfer von G3-Gewehren traf und hat 220 Interviews geführt und als Buch veröffentlicht. Der Referent ist auch Bundesvorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK). Als er 2009 einen Prozess gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG, Jürgen Erich Schrempp, vor dem Bundesgerichtshof gewann, hätten die Medien darüber berichtet, wie ein Einzelner einen Konzern in die Knie zwingen könne. „Das stimmt nicht, wir sind viele, die gemeinsam etwas erreichen können“, korrigierte Grässlin im Gemeindehaus die Sicht auf diesen Erfolg. Damit ermutigte er auch die örtlichen Friedensgruppen, in ihrem Einsatz für den Frieden nicht nachzulassen. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine und das Land Israel beurteilte er kritisch.

red.

Bild 1: Die Lesung zur ökumenischen FriedensDekade war gut besucht.

Bild 2: Jürgen Grässlin mit seiner Autobiografie „Einschüchtern zwecklos. Unermüdlich gegen Krieg und Gewalt – Was ein Einzelner bewegen kann“.