Der Sozialethische Ausschuss im Kirchenkreis an Lahn und Dill hatte am 09.10.2024 zu einer neuen Ausgabe der Reihe „Wetzlarer Gespräche“ in den Gemeindesaal der Hospitalkirche in der Langgasse eingeladen. Im Zentrum des Abends stand §218 des Strafgesetzbuches, der die strafrechtlichen Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs regelt. Laut diesem und den Paragrafen 218a und 219 StGB in der Fassung von 1993, ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, jedoch in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn zuvor ein Beratungsgespräch stattgefunden hat.
Mit Daniela Padva und Belén Perez-Baum von der Beratungsstelle der Diakonie Lahn hatte der Ausschuss zwei Expertinnen für diesen Abend gewinnen können, die genau diese Beratungen vor den möglichen Schwangerschaftsabbrüchen anbieten und aus ihrem beruflichen Alltag berichteten. Durch den Abend führte der Mediziner Dr. Gerhard Noeske (Wißmar).
Schutz des Lebens steht über allem
Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat zum §218 eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er dafür plädiert, Abtreibungen in bestimmten Fristen außerhalb des Strafrechts zu regeln. In diese gab Noeske zu Beginn der Veranstaltung eine kurze Einführung. Nach ihr steht der Schutz des Lebens über allem. „Allerdings spricht sich der Rat der EKD für eine „abgestufte Fristenkonzeption“ aus“, so Noeske. Bei dieser soll zwischen den verschiedenen Schwangerschaftsstadien unterschieden werden. „Spätestens ab der sogenannten extrauterinen Lebensfähigkeit (ab der 22. Schwangerschaftswoche) sollte aber ein Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich geregelt und nur in klar definierten Ausnahmefällen zulässig sein“, berichtet Noeske weiter. Der Schutz des Lebens des Ungeborenen sei also mit fortschreitender Schwangerschaft zunehmendes Gewicht einzuräumen. Dr. Gerhard Noeske wies auch darauf hin, dass die Stellungnahme der EKD nicht theologisch sei.
Auch die Bundesregierung hat zu dieser Thematik eine Kommission für reproduktive Selbstbestimmung berufen, berichtet Noeske. Sie hat die Aufgabe einen Weg zu finden, wie Abtreibungen außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden können. Dabei verfolgt die Kommission einen ähnlichen Ansatz, wie das Positionspapier des Rats der EKD. Demnach soll in der Frühphase einer Schwangerschaft, sprich in den ersten Wochen nach der Einnistung ein rechtmäßiger Abbruch möglich sein. Umso länger die Schwangerschaft allerdings andauert, umso gewichtiger müssen die Gründe für einen Abbruch sein.
Bereits vor Beratung verantwortungsvolle Entscheidung getroffen
Nach dieser ein Einführung berichteten Daniela Padva und Belén Perez-Baum von aus ihrem Alltag in der Beratungsstelle der Diakonie. Eine Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch habe vielfältige Gründe, wie z. B. eine abgeschlossene Familienplanung, eine unsichere Partnerschaft, große physische und psychische Belastung, Erkrankungen, aber auch die Angst vor beruflicher Benachteiligung. Ca. 100 Beratungsscheine werden von ihnen im Jahr ausgestellt, an Frauen mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren. „Die Frauen kommen zu uns in einem Zwangskontext. Sie müssen in die Beratung“, so Belén Perez-Baum. Die beiden haben die Erfahrung gemacht, dass Frauen sich bereits vor der Beratung diesen Schritt gut überlegt und die Entscheidung für einen Abtreibung verantwortungsbewusst getroffen haben.
Durch Entkriminalisierung wesentlich bessere ärztliche Versorgung
„Der Paragraph 218 sollte aus dem STGB gestrichen werden“, plädierte Daniela Padva, aber einen Anspruch auf Beratung bei Schwangerschaftskonflikten solle beibehalten werden. Diese Entkriminalisierung würde die ärztliche Versorgung der Frauen deutlich verbessern. Denn viele Ärzt:innen bieten diese Eingriffe nicht an, da sie Angst haben vor Anfeindungen und Belästigung haben. Auch werde die Anzahl der Abbrüche durch eine Liberalisierung nicht erhöht, wie die Zahlen aus Ländern wie Frankreich, Dänemark und Schweden zeigen. Studien belegen außerdem, dass Frauen mit einem Schwangerschaftsabbruch nicht anfälliger für depressive Erkrankungen sind.
Bessere sexuelle Aufklärung nötig
Doch wie lässt es sich verhindern, dass es zu diesen ungewollten Schwangerschaften kommt? „Wir brauchen eine wesentlich bessere sexuelle Aufklärung, besonders zum Thema Verhütung und zwar nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei jungen Frauen.“ sagte Perez-Baum.
JCK