Buchvorstellung mit Diskussion im Gertrudishaus:

Die Friedensbewegung hat Reformbedarf. Angesichts der russischen Krieges gegen die Ukraine muss sie ihre Position selbstkritisch hinterfragen und sich mit der Friedensethik neu und intensiv auseinandersetzen.

Zu diesem Schluss kommt Dr. Johannes Ludwig in seinem Buch „Abschied vom Pazifismus? Wie sich die Friedensbewegung neu erfinden kann“. Im Gertrudishaus in Wetzlar hat es der Politikwissenschaftler anhand eines von ihm verfassten Thesenpapiers vorgestellt. Dabei verstand es der erst 27-jährige Referent, seinen Vortrag kurz zu halten, um der Diskussion genügend Raum zu lassen. So hatten die rund 50 Teilnehmenden nach dem gut halbstündigen Vortrag anderthalb Stunden lang Gelegenheit zur Aussprache, die auch engagiert in Anspruch genommen wurde.

Ludwig plädiert mit seinem aktuell erschienenen Werk dafür, die Friedensbewegung zukunftsfähig zu machen: „Sie müsste gerade heute mit starker Stimme dastehen, droht jedoch, zu verstummen.“ Ein Teil von ihr drifte in den Populismus ab, monierte er und nannte als Beispiel das sogenannte „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer 2023 sowie deren Kundgebung am Brandenburger Tor. Der russische Angriffskrieg drohe, mit einer Täter-Opfer-Umkehr legitimiert zu werden. Hier müsse die Friedensbewegung sich abgrenzen.

Der Referent, der auch die historischen Ursprünge der Friedensbewegung bis in die unmittelbare Gegenwart hinein kurz nachzeichnete, sieht in der Friedensethik das moralische Gut, den Schutz der Menschenwürde, während die Friedenspolitik das Ziel verfolge, dieses Gut zu erreichen. „Wenn ich die Menschenwürde schützen möchte, kann ich für Gewaltfreiheit plädieren. Im Verteidigungsfall kann es aber auch legitim sein, für Waffenlieferungen einzutreten.“ Das gelte für die Ukraine wie für den Israel-Palästina-Konflikt. Es sei ein Unterschied, ob man Frieden als Abwesenheit von Krieg definiere oder als gerechten Frieden auf der Basis des ursprünglichen Zustandes, wie Selenskyj es sehe. „Der Stimme der Leidtragenden ist absolute Priorität einzuräumen“, so Ludwig, der für ein halbes Jahr einen Menschen aus der Ukraine aufgenommen hatte. „Es gibt keinen Frieden über die Köpfe der Ukrainer hinweg.“ Für die vielfältigen Konflikte in der Welt gebe es keine Patenrezepte, sagte der Autor. Man könne keine Antworten geben bevor Fragen gestellt seien.

Die anschließende Diskussion mit vielen Fragen und Denkanregungen zeigte die unterschiedlichen Positionen der Anwesenden auf. So sagte ein Teilnehmer, für ihn sei es wichtiger, sein Anliegen positiv zu formulieren um die Politiker an ihre Aufgabe zu erinnern, als sich abzugrenzen. Ein anderer erklärte, der Ukraine-Krieg habe ihn zum Umdenken gebracht: „Ich bin von einer Taube zum Falken geworden.“ Ein Kriegsdienstverweigerer machte deutlich: „Ich erwarte von niemandem, dass er mich verteidigt.“ Angesprochen wurden zudem eine notwendige spirituelle Verortung und eine Brückenbauer-Funktion der Kirchen: „Auch der Feind hat eine Würde.“

Ludwig, der sein Buch als Orientierungshilfe verstanden wissen will, den eigenen Standpunkt zu finden, erklärte am Schluss, nicht das „Was“ der Friedensbewegung stehe in Frage, sondern das „Wie“: „Wie schaffen wir es, unsere Position wirkungsvoll in die Debatte einzubringen?“ Möglichkeiten hierzu sieht der Autor in Strategien wie einer Politik der kleinen, aber effektiven Schritte und klarer Adressaten für friedenspolitische Forderungen.

Eingeladen zur Buchvorstellung hatten Pax Christi Rhein Main und der Arbeitskreis Frieden im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill. Durch den Abend führte Pfarrer Christian Enke, Geistlicher Beirat im Vorstand von Pax Christi Rhein Main.

Das Buch „Abschied vom Pazifismus? Wie sich die Friedensbewegung neu erfinden kann“ von Johannes Ludwig ist 2024 im Herder-Verlag erschienen und hat 208 Seiten. Es kostet 24 Euro und ist auch als E-Book erhältlich.
ISBN: 978-3-451-39749-3

 

Hintergrund Dr. Johannes Ludwig

Johannes Ludwig ist seit 2022 Referent für globale Vernetzung und Solidarität im Bistum Limburg. Er hat Internationale Beziehungen studiert, Internationale Sicherheitspolitik, International Political Economy sowie katholische Theologie in Dresden, Boston, Paris und London. Seine Promotion erlangte er für eine Arbeit zur Menschenrechtspolitik des Heiligen Stuhls.

 

bkl

 

Bild 1: Johannes Ludwig stellte im Wetzlarer Gertrudishaus die Positionen seines Buches „Abschied vom Pazifismus?“ dar.

Bild 2: Dr. Johannes Ludwig (2.v.l.) ist vom Arbeitskreis Frieden im Evangelischen Kirchenkreis an Lahn und Dill (Ernst von der Recke, l.) sowie von Pax Christi Rhein Main (Christian Enke und Peter Hofacker, 1. u.2.v.r.) zu einem Gesprächsabend über eine Neuausrichtung der Friedensbewegung eingeladen worden.

Bild 3: „Abschied vom Pazifismus“ lautet der Titel des Buches von Dr. Johannes Ludwig, das er beim Gesprächsabend vorstellte.