„Es geht um die Kinder!“ Mit diesem eindrucksvollen Appell aus Erich Kästners 1949 erschienenem Roman „Die Konferenz der Tiere“ ist die Brisanz und Aktualität heutiger Problemlagen trefflich erfasst.
„Menschen-gemachte“ Probleme erkannte der Menschenfreund Kästner vier Jahre nach dem massenmörderischen und verheerenden 2. Weltkrieg in fortdauerndem Zank, in „Krieg, Hinterlist und Geiz“. Damit ruiniere man die Zukunft der Kinder.
Die im „Hochhaus der Tiere“ einmalig tagende Welt-Tierkonferenz reagiert auf die blauäugige Sorglosigkeit und Verantwortungsscheu der weltweiten Elternschaft und übernimmt selbst die Patenschaft für den menschlichen Nachwuchs. Weltweit werden alle Uniformen von Motten zerfressen.
Der ‚alte weiße Mann‘ General Zornmüller kann das nicht zulassen, seine berufliche Existenz steht auf dem Spiel: „Und wenn die Welt voll Motten wär‘ – uns schreckt das nicht. Die Tiere wollen uns Menschen zur Einigkeit zwingen. Das wird ihnen nicht gelingen! Der Wille der Staatsmänner ist der Wille der Menschheit!“.
Dem stellen sich die einig handelnden Tiere mit einer couragierten Strategie und einer „Springflut aller Arten und Gattungen“ entgegen und feiern am Schluss gemeinsam mit den Eltern und Kindern ihren Sieg über die Machtgier und Unbelehrbarkeit der von ihren Thronen vertriebenen „Eliten“. Der Jubel darüber ist so groß, dass sich für eine Weile „die Erdachse um einen halben Zentimeter verbog“. Die Utopie ist eine Welt ohne Grenzen: „Sie sägten sämtliche Pfähle und Barrieren kurz und klein. Wo früher die Sperren gewesen waren, errichteten sie Blumenpforten und zogen Girlanden. Sogar die Polizei half mit.“
Die Tierfiguren waren – angefangen von der Schnecke Minna und dem Regenwurm Fridolin bis zum Löwen Alois („Ich könnte mich schwarz ärgern, wenn ich nicht so blond wäre!“) und dem Elefanten Oskar („Es geht um die Kinder!“) – aus dem Dutzend Laienschauspielern des WALI-Ensembles vom künstlerischen Leiter Erich Schaffner gut und mit Bedacht besetzt worden. Deren Spielfreude verstärkte die Faszination, die von Kästners knapp 75 Jahre altem „Märchen von einer besseren Welt“ bis heute ausgeht. Eingeleitet wurde der Theaterabend durch eine Tischharfen-Interpretation des israelischen Friedensliedes „Hevenu shalom aleichem“, dessen eingängiger Refrain „Wir wollen Frieden für alle, Frieden für die Welt“ am Schluss von allen gemeinsam auf Hebräisch und Deutsch gesungen wurde.
Auf der Bühne optisch illustriert wurden die Geschehnisse um das „Hochhaus der Tiere“ durch die Projektion von phantasievoll-bunten Zeichnungen aus einer aktuellen, im Züricher Atrium-Verlag erschienenen Textausgabe von „Die Konferenz der Tiere“.
Im ersten Teil des Theaterabends hatten die WALI-Akteure eine Auswahl bekannter – aber auch wenig bekannter – Kästner-Gedichte aus dem Saal heraus vorgetragen, was die Distanz zu den rund 100 Besucherinnen und Besuchern einebnete. Darunter waren die Antikriegsgedichte „Jahrgang 1899“, „Primaner in Uniform“ und „Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?“. In den Gedichten „Die Entwicklung der Menschheit“ und „Der Synthetische Mensch“ zeigt sich Kästners Skepsis gegenüber einem Verständnis von menschlichem Fortschritt, das nur technokratisches Fortschreiten im Blick hat. Die Texte „Maskenball im Hochgebirge“ und „Ansprache an die Millionäre“ sind eine ironisch-sarkastische Abrechnung mit einem durch Gier, Maßlosigkeit und Dekadenz an immer neue Abgründe getriebenen Lebensstil. „Chor der Fräuleins“ und „Hinweis auf die Hände einer Waschfrau“ legen Zeugnis davon ab, dass Erich Kästners feministischer Humanismus Alltagssituationen von Frauen einfühlsam zu beschreiben und zu deuten vermochte.
Einige WALI-Akteure hatten Verwandte und Bekannte zum Theaterabend eingeladen. Und eigene Kinder standen am Schluss als Debütanten mit auf der Bühne: Amy Su, Marius und Luisa trugen Kästner-Aphorismen vor, die sie aus einem von Regisseur Schaffner vorgelegten Katalog selbst ausgewählt hatten. „Sie sehen, wir betreiben auch aktiv Nachwuchs-Förderung!“, vermerkte der schmunzelnd in Richtung Publikum.
In Grußworten hatten sich die Wetzlarer Stadträtin Bärbel Keiner („Ich komme immer gerne zu den WALI-Aufführungen!“) und die WALI-Vorsitzende Susanne Sievers lobend zur bodenständigen und seit dem „Goethejahr 1999“ (Motto „Die Bestimmung des Menschen ist Tätigkeit!“) kontinuierlich weitergeführten Kulturarbeit vor Ort geäußert.
Klaus Petri / Fotos: WALI