Diese Predigt zum Sonntag, 10. Mai, zum Bibeltext aus dem Lukasevangelium, Kapitel 17, Verse 11 bis 19, stammt von Manuela Bünger, Pfarrerin der Kirchengemeinden Dorlar und Atzbach. Die Predigt steht unter dem Thema „Dankbarkeit“.
Wir lesen Worte aus Lukas 17, 11-19:
Und es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog.
Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser.
Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.
Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimm
und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.
Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?
Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?
Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.
Liebe Gemeinde!
„Dankbarkeit macht das Leben reich“ – so hat es einmal der Theologe Dietrich Bonhoeffer formuliert. Das heißt dann aber auch umgekehrt: Wer nicht mehr danken kann und alles nur noch als selbstverständlich ansieht, ist letztlich ein „armer Schlucker“!
Ein Ehemann kommt abends schlecht gelaunt nach Hause, wirft sich in den Sessel und greift zur Zeitung. „Du solltest dir mal an unserem Nachbarn ein Beispiel nehmen“, hält ihm seine Frau vor, die den ganzen Tag sich um Haushalt und Kinder gesorgt hat: „Wenn der nach Hause kommt, umarmt er seine Frau, küsst sie zärtlich und haucht ihr ein ‚Dankeschön, Liebling‘ ins Ohr. Warum tust du das nicht auch?“ „Na, Du hast vielleicht Nerven!“, brummt er. „Ich kenne die Frau doch gar nicht!“
Liebe Gemeinde,
wer „Danke!“ sagt, bringt seine Wertschätzung zum Ausdruck.
Wer „Danke!“ sagt, der hat hinterher zwar auch nicht mehr als vorher. Aber er nimmt das, was er hat, viel bewusster wahr.
Und doch, obwohl wir das alle wissen, fällt uns das Danken oft schwer.
So, wie offensichtlich auch den neun von 10 Aussätzigen in unserer Geschichte. So wie sie vergessen auch wir leicht, unseren Dank in Worte und Gesten zu fassen oder noch konkreter gesagt, wir denken gar nicht darüber nach, dass wir eigentlich dankbar sein könnten.
1. Dankbarkeit ist Übungssache
Das hat sicherlich damit zu tun, dass Danken heute nicht nur etwas „aus der Mode gekommen“ ist, es scheint auch keine dem Menschen angeborene Grundhaltung zu sein.
Was wir dagegen von klein auf mitbringen ist so eine Art Automatismus der Unzufriedenheit, und dieser Automatismus erschwert das Gefühl der Dankbarkeit nicht unerheblich, wie folgendes Experiment deutlich macht:
Einer Versuchsgruppe wurde ein Blatt mit zehn einfachen Rechnungen vorgelegt. Da stand beispielsweise: 12 + 7 = 19; 26-4 = 22; 5 + 8 = 13, aber auch: 37-5 =33, also sofort erkennbar nicht richtig. Die Frage an die Teilnehmer lautete: „Fällt Ihnen an diesem Blatt etwas auf?“ – und alle, ausnahmslos alle, antworteten spontan: „Da ist eine Rechnung falsch!“ Keiner sagte: „Da sind neun Rechnungen richtig“.
Als ich von diesem Versuch zum ersten Mal hörte, musste ich betroffen erkennen: „Das ist eine Haltung, mit der ich selbst ganz oft durchs Leben gehe!“
Ich wache morgens auf, und das erste, worauf sich meine Gedanken automatisch richten, ist irgendein ungelöstes Problem vom Vortag – während ich völlig vergesse, dass ich gesund bin, einen Beruf habe, der mir Freude macht, Freunde, genug zum Essen, wunderbare Hunde, und das alles deshalb, weil ich im Wohlstand lebe ohne Krieg oder Diktatur und so weiter. Dies muss ich mir tatsächlich immer wieder erst aktiv bewusst machen, sonst richtet sich der Fokus meiner Aufmerksamkeit ganz schnell auf die Dinge, die nicht stimmen.
Wie schnell vergessen wir die Vielzahl der wunderbaren Dinge in unserem Leben. Und es kann noch schlimmer kommen: Haben wir einmal begonnen, die Welt durch diese dunkle Brille wahrzunehmen, filtert unser Gehirn aus der Umwelt tendenziell nur noch die Reize heraus, die zu unserer Stimmungslage passen, also die negativen Aspekte. Je dunkler die Brille, desto dunkler die Wahrnehmung.
Umso mehr sehen wir Fehler, das, was uns scheinbar fehlt und das, was andere alles mehr haben. Und viele Menschen, auch viele Christen, leben eher in diesem negativen Klage-Modus. Dieser Automatismus der Unzufriedenheit ist ein sich selbst verstärkender, seelisch destruktiver Mechanismus, in den wir leider ganz schnell hineingeraten.
Dankbarkeit dagegen ist eine Ressource, die wir im Laufe des Lebens erst entwickeln müssen. Eine dankbare Haltung ist kein Zufall. Das ist Übung, das ist Arbeit: Danken muss man sich bewusst vornehmen. Doch es lohnt sich. Denn: „Die glücklichsten Menschen sind nicht die, die am meisten haben, leisten oder können, sondern die, die am meisten danken.“ Das hat einmal der schwäbische Pfarrer Wilhelm Öhler gesagt
Erst das Danken macht uns zufrieden! Nur einer in unserer biblischen Geschichte hat daran gedacht, seinen Dank bewusst zu äußern – und das war auch noch ein Ausländer, ein Samariter. Dabei ging es ja nicht nur um 100 Euro oder um irgendein ein anderes Geschenk: Es ging um eine schreckliche Krankheit, die damals in den meisten Fällen tödlich endete. Jene zehn Männer wussten das ganz genau: Ihr LagerMfür die Leprakranken außerhalb des Dorfes war ihre letzte Lebensstation: Es war nur eine Frage der Zeit, ob ihre Gliedmaßen schnell oder eher langsam verfaulten.
Derart düster waren ihre Aussichten. Leprakranke mussten damals zerrissene Kleider tragen, durften ihre Haare nicht kämmen und mussten laut „unrein, unrein“ rufen, damit niemand sie aus Versehen berührte. So standen sie also einige Meter von Jesus entfernt und riefen: „Jesus, Herr, hab Erbarmen mit uns“, der übliche Ruf eines Bettlers. Vielleicht hofften sie auf ein Wunder. Vielleicht hofften sie aber auch nur auf ein wenig Geld oder etwas zu essen. Doch Jesus befahl ihnen, sich den Priestern zu zeigen, die ihnen bestätigen würden, dass sie gesund sind und wieder in die Gesellschaft zurückkehren dürften.
Die zehn gingen also von Jesus weg und da geschah etwas mit ihren zerschundenen Körpern. Als sie so gingen, wurden sie geheilt. Die wundgeschürfte Haut wurde wiederhergestellt. Das kehlige Krächzen, in das die Krankheit ihre Stimmen verwandelt hatte, klang auf einmal wie wunderbare Musik. Sie rannten nach Hause und riefen nach ihren Familien. Mit einer Ausnahme. Einer machte kehrt und rannte dorthin zurück, wo er gerade hergekommen war. Er sah Jesus und fiel vor Dankbarkeit vor ihm nieder.
Jesus hat sie alle von ihrer furchtbaren Krankheit geheilt. Doch 90 Prozent haben vergessen, wie „Danke“ auf Hebräisch heißt. Sie hatten offensichtlich nur eines im Sinn, so schnell wie möglich in ihr altes Leben zurückzukehren. Ich bin sicher, dass sie an jenem Abend ausgelassen gefeiert haben. Viele Freudentränen des Glücks vergossen haben.
Doch Jesus war ihnen letztlich egal. Das führt zu einem weiteren Gedanken:
2. Durch Dankbarkeit entsteht Beziehung
Ehrliches Danken vertieft eine Beziehung. Man bringt zum Ausdruck: „Ich hole mir nicht nur mein Geschenk ab. Du bist mir auch als Person wichtig. Ich sehe, was du für mich tust oder empfindest.“
Zehn Menschen wurde in unserer Geschichte das Leben geschenkt. Nur einer kam zurück, um dem Geber dieses Geschenkes zu danken. Man fragt sich, warum der einzig Dankbare dann auch noch ein Ausländer war.
Ich frage mich, ob er sich wohl dieses großzügigen Geschenks umso bewusster war, weil er eben ein Samariter, ein andersgläubiger und Jesus ein Jude war. Und er von allen, am wenigsten, Anspruch darauf gehabt hätte.
Ja, wer zu viel hat, wird leicht undankbar. Das Trügerische an der Dankbarkeit ist, dass wir meinen, wir wären dankbarer, wenn wir immer mehr der Dinge bekommen, die wir haben möchten. In Wirklichkeit wird ein Kind, das alles bekommt, was es will, immer undankbarer. Dann stellt sich nämlich ein verhängnisvoller Gewöhnungseffekt ein. D.h. wiederholt vorkommende Reize blenden wir mit der Zeit aus und richten unsere Aufmerksamkeit auf neue Ziele.
(Beispiel: Neues Handy, man freut sich, dann hat man es und nach kurzer Zeit hat man ein neues Objekt, was man sich wünscht.)
Die große Gefahr dabei ist, all die Reichtümer im Leben mit der Zeit für selbstverständlich zuhalten, abzustumpfen und übersättigt zu werden.
Und das Schlimme ist: Wir leben dann auch auf einmal mehr und mehr auf Dinge hingerichtet, und meinen von ihnen Glück und Zufriedenheit zu erlangen. Aber es sind und bleiben nur Dinge, Sachen, die irgendwann auf der Müllhalde landen. Ohne Dankbarkeit verlieren wir auch Beziehungen aus dem Bick. Indem wir nicht alles selbstverständlich annehmen und hinnehmen, sondern von Herzen danke sagen für all die Geschenke , die unser Leben reicher machen, werden auch Beziehungen wieder enger und ehrlicher – zwischen Kindern und Eltern, zwischen Enkeln und Großeltern, zwischen Partnern, zwischen Freunden. Und vor allem auch zwischen Gott und Mensch.
Und darum ging es auch Jesus: Bei seinen Wundern hatte Jesus natürlich zunächst die ganz konkrete Not der Menschen im Blick. Und die war oft ja auch schrecklich.
Aber es ging ihm noch um viel mehr: Er wollte die Menschen zurückholen in eine lebendige Beziehung zu ihrem Schöpfer. Er wollte ihnen deutlich machen: „Eure Krankheit oder euer Hunger oder eure anderen Sorgen sind nur ein Teil eures Problems. Das größte Problem ist, dass ihr Gott aus den Augen verloren habt. Das größte Problem ist, dass ihr nicht mehr wisst, wo ihr hingehört und wer euch wirklich liebt.“
Luther konnte das sehr drastisch ausdrücken: „So schändlich lebt kein Tier, auch keine Sau, wie die Welt lebt. Denn eine Sau kennt doch die Frau oder Magd, von welchen sie Kleie oder das Futter zu fressen kriegt, läuft ihr nach und schreit ihr nach. Aber die Welt kennt und achtet Gott gar nicht, der ihr so reichlich und überschwänglich wohltut, geschweige denn, dass sie ihm dafür danken und loben sollte.“
Ich glaube, auch an diesem Punkt verhalten wir uns heute oft ziemlich ähnlich. So oft werden Stoßgebete zum Himmel geschickt: „Lieber Gott, du musst mir jetzt unbedingt helfen… Du musst, Könntest du… Aber an ein Dankgebet verschwenden viele hinterher keinen einzigen Gedanken. Man holt sich den Segen ab – aber für den Geber dieses Segens interessiert man sich nicht.
Von Prof. Helmut Thielicke erzählt man, dass er in einer Theologievorlesung kurz nach dem zweiten Weltkrieg den Studenten erläutere: Wissen Sie, es gab mal eine Zeit, da betete man vor dem Essen: Gott segne unsere Mahlzeit! Das wurde dann irgendwann verkürzt und man wünschte sich nur „Gesegnete Mahlzeit“, irgendwann ließ man auch noch das „gesegnete“ weg und sagte nur noch „Mahlzeit“, ja und jetzt, meine Herren, ist auch noch die Mahlzeit weggefallen.
Durch Dankbarkeit entsteht Beziehung. Für den Samariter in unserer Geschichte hieß das: Nicht im ewig alten Trott weitermachen. Auch die anderen hatten Jesus etwas zugetraut. Das wollen wir hier nicht kleinreden. Immerhin sind auch sie zu den Priestern losgelaufen, als sie noch krank waren. Sie trauten Jesus etwas zu. Aber in einem ganz tiefen Sinn hat nur jener Samariter den Glauben und das wahre Leben mit Gott entdeckt. Er bekam mehr als die körperliche Gesundheit geschenkt, er wurde heil an Leib und Seele und fand eine echte Beziehung zu Gott.
3. Danken macht dankbarer
Hört sich etwas seltsam an, aber genauso ist es. Danken erweitert unsere Sicht der Wirklichkeit. Wenn ich mir bewusst mache, wie viele positive Aspekte und Dinge es in meinem Leben gibt, ersetze ich gewissermaßen mein inneres Teleobjektiv, das nur auf die Defizite im Leben gerichtet bzw.fokussiert ist, durch ein Weitwinkelobjektiv, mit dem ich auch all das wahrnehme, was in Ordnung ist. Auf diese Weise verhindert Danken auch, dass ich nur noch um mich selber und meine Probleme kreise. Je mehr Dinge mir bewusst werden, für die ich dankbar sein kann, desto heller wird dann auch die Brille, mit der ich ins Leben schaue, und desto mehr Sachen fallen mir auf, die positiv sind und mein Leben bereichern. Das Leben ist ein Geschenk, und jeder Tag ist ein unbezahlbares Wunder, jede Sekunde eine Zugabe. (Oft weiß man das erst nach einer überstandenen Krankheit richtig zu schätzen!)
Ich weiß nicht, warum das Leben so ist, wie es ist. Ich weiß nicht, warum manche Menschen wieder gesund werden. Und andere sterben. Ich weiß nicht, warum manche Gebete erhört werden und andere (scheinbar) nicht. Aber ich weiß, dass das Leben ein Geschenk ist. Ich weiß, dass es nichts ist, was wir verdienen, erschaffen, kontrollieren oder selbst erhalten können.
Liebe Gemeinde!
Wir vergessen oft, dass wir sterben müssen. Aber auch das andere ist wahr: Wir vergessen, dass wir leben. Und das dieses Leben ein einzigartiges und einmalige Geschenk Gottesan uns alle ist.
Ich schließe mit Meister Eckhardt, der sagte: „Wenn das einzige Gebet, das du während deines Lebenssprichst, „Danke!“ heißt, würde das genügen. Danke, Gott. Und „Danke“ an all die Menschen, die uns unterstützt haben, auch am Muttertag ein „herzliches Danke“ an alle Mütter!
Amen.